Wiesbaden: Die unbekannteste Mittelgroßkleinstadt Deutschlands. Kein Mensch kennt auch nur ein Gebäude, ein Wahrzeichen, eine Person aus Wiesbaden. Die Weltgeschichte weiß von keiner Schlacht bei und keinem Frieden von Wiesbaden, die Stadt scheint im Windschatten aller anderen gemütlich, wohlhabend und ein bisschen langweilig dahinzuexistieren, so schattig, dass man bisweilen daran zweifelt, ob sie wirklich existiert. Dann aber bekommt man Post von jemandem, der behauptet, tatsächlich in einem anscheinend doch vorhandenen Wiesbaden zu leben, dort ein prachtvolles Magazin namens Stijlroyal herauszugeben, und für die nächste Nummer Geschichten von Autoren über Orte in eben diesem Wiesbaden zu sammeln. Der Clou an der Sache, so diese Person weiter, sei, dass keiner dieser Autoren je vor Ort gewesen sei und abgesehen von einem zerknautschten Foto nur ein äußerst dürres Briefing bekäme.
In Wien Mitte eröffnete vorige Woche nach jahrelangem Hickhack endlich "Wien Mitte The Mall". Also, ein bisschen jedenfalls.
Der Straßenzug Invalidenstraße und Hintere Zollamtsstraße ist nicht gerade einer der schönsten in Wien. Man könnte sogar sagen, er ist eine fast nahtlose Aneinanderreihung von Hässlichkeit, ein plumpes Bollwerk der Geschmacksverirrung zwischen erstem und drittem Bezirk. Vom formlosen Raiffeisen/W3-Komplex über die ungelenk verdrehte Klebeplättchen-Architektur des Justiztowers bis zum düster verspiegelten Gebirge des Rechnungshofs am Donaukanal.
Eine Ausstellung über die Sowjetmoderne im Architekturzentrum Wien erzählt von der Vielfalt das Bauens an den Rändern des Imperiums
Dass die flachen Weiten des Ostens von Minsk bis Sibirien eine Fülle von Geschichten bergen, bezeugt die Weltliteratur mehr als deutlich. Dass sich Erzählungen auch aus der vermeintlich in öden Apparatschikberichten dokumentierten Periode der Planwirtschaft destillieren lassen, zeigte zuletzt "Rote Zukunft", Francis Spuffords großartiger Doku-Roman-Hybrid über die vom Zukunftsoptimismus erfüllte Wirtschaftspolitik der Chruschtschow-Ära.
Im schicken neuen Bahnhof Tullnerfeld, der am 9. Dezember eröffnet, werden täglich die Intercitys halten. Fraglich bleibt, ob auch jemand aussteigt.
Der Streit zwischen Wolf Prix und David Chipperfield lässt vermuten, dass unsere Denkweise auch in globalisierten Zeiten noch lokal geprägt ist.
Es war irgendwann in der Mitte der 90er Jahre, als der damals frisch zum Jungstar avancierte Greg Lynn im Audimax einer deutschen Universität sein neuestes Projekt vorstellte. Lynn erklärte sein parametrisches Design, das durch in den Computer eingespeiste Umweltfaktoren, automatisch in permanenter Veränderung begriffene dreidimensionale Formen generierte. So etwas hatte man damals - Zaha Hadid hatte gerade mal ihr Vitra-Feuerwehrhaus vorzuweisen - noch nie gesehen. Der vollbesetzte Hörsaal lauschte fasziniert. Wie er nun auf die endgültige Form gekommen sei? Nun, erklärte Lynn fröhlich, er habe einfach in dem Moment auf "Stopp" gedrückt, in dem ihm die Form gefallen habe. Und genau so solle das nun auch gebaut werden.
Das Symposium "Superstadt" spekulierte über die urbane Zukunft. Ob optimistisch oder düster: Der Futurismus ist wieder im Kommen - Architekt Liam Young über die Stadt von morgen
Die Zukunft schien in der Architektur ziemlich altmodisch geworden zu sein. Seit den fliegenden Träumen der 60er, als Pop-Art- Büros wie Superstudio aus Italien und Archigram aus London ihre Walking Cities wie riesige psychedelische Yellow Submarines durch die Welt von morgen staksen ließen, ist der Blick nach vorn immer grimmiger, humorloser und pessimistischer geworden.
Tourismus: Drei Reisebücher, die keine Reiseführer sind, über Geschichte und Kunst des Unterwegsseins
Seit das Reisen nicht einfach Wegfahren bedeutet, sondern zu Tourismus und weiter zur Tourismusindustrie geworden ist, firmiert es als Lieblingsgegenstand von Forschung, Literatur und polemischer Kritik. Schon 1958 haute ihm Hans Magnus Enzensberger seine „Theorie des Tourismus“ um die Ohren: Romantik ohne Revolution, Ferne als Erlösung, die Sehenswürdigkeit als Befreiung vom schlechten Gewissen des Nichtstuns und der pikierte Dünkel der Pioniere über die nachfolgende Masse.
Daran hat sich nicht viel geändert. Allerdings hat, wie Enzensberger heute schreibt, im Easyjet-Zeitalter, in dem jeder Trafikant New York und Bali längst auswendig kennt, das Fernweh seinen Glanz verloren. Wie eine Wanderheuschrecke zieht der Mensch mit der Masse um die Welt.
Beide Enzensberger-Texte finden sich im Sammelband „Die Zukunft des Reisens“, herausgegeben von SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld. Entstanden als Auftragsarbeit für den Schweizer Tourismuskonzern Kuoni, stellt er eine eigenartige Mischung aus Feuilleton und Marktforschung dar, eine Kombination, die dem Thema Tourismus wie angegossen passt.
Was den Baumeister Solness antreibt
Beitrag im Programmheft des Staatsschauspiels Dresden zum Stück "Baumeister Solness" von Henrik Ibsen.
Der Baumeister Halvard Solness kommt uns bekannt vor. Ein Archetyp unter Architekten: der getriebene Egomane, der seinen Mitmenschen zwar Wohnungen baut, aber, sind wir ehrlich, sich letztendlich doch nur selbst verwirklichen will. Und hinter seinem Drang in die Höhe, seiner Turmsehnsucht, ahnen wir jahrelang gärende Komplexe, wenn nicht gar ein handfestes Trauma. Ja, unsere durch Bücher, Filme, Vorabendserien und die kopfschüttelnde Anschauung überdimensionierter Beton- und Stahlgebilde in unseren Städten genährten Vorurteile werden von „Baumeister Solness“ voll und ganz bestätigt.
Nach dem Anschluss baute das NS-Regime in Linz 11.000 Wohnungen. Eine Ausstellung widmet sich den Hintergründen der "Hitlerbauten"
Im Dezember 1940, kurz nachdem das Dritte Reich den "Erlass zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaus von 1940" beschlossen hatte, hielt Robert Ley, Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau, in einer Rede fest, was es mit dem Programm, das außergewöhnlich große Wohnungen vorsah, auf sich hatte: "Wenn eine Vier-Raum-Wohnung da ist, und dann stehen zwei Schlafzimmer leer, dann wird sie das Schicksal schon dazu zwingen, damit diese beiden Schlafzimmer voll werden." Kinder statt Zinsen, so lautete das Leitbild des Wohnens in Kriegszeiten. Wohnraum als Nährboden zur folgsamen Produktion einer wachsenden Volksgemeinschaft.
80 Jahre Werkbundsiedlung: Das Wien Museum zeigt eine Ausstellung über eine Ausstellung - mit einigen Überraschungen
Was sich da vor 80 Jahren, am 4. Juni 1932, auf einer sumpfigen Wiese in der Lainzer Hagenau am Wiener Stadtrand zutrug, war zweifellos ein Großevent. Eine Menschenmenge lauschte den Reden von Bundespräsident Wilhelm Miklas und Bürgermeister Karl Seitz, umringt von kunterbunt hingewürfelten, buntgetünchten und flachbedachten Kisten: die 70 Wohnhäuser der Werkbundsiedlung, die an diesem Tag eröffnet wurde.