Nach dem Anschluss baute das NS-Regime in Linz 11.000 Wohnungen. Eine Ausstellung widmet sich den Hintergründen der "Hitlerbauten"
Im Dezember 1940, kurz nachdem das Dritte Reich den "Erlass zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaus von 1940" beschlossen hatte, hielt Robert Ley, Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau, in einer Rede fest, was es mit dem Programm, das außergewöhnlich große Wohnungen vorsah, auf sich hatte: "Wenn eine Vier-Raum-Wohnung da ist, und dann stehen zwei Schlafzimmer leer, dann wird sie das Schicksal schon dazu zwingen, damit diese beiden Schlafzimmer voll werden." Kinder statt Zinsen, so lautete das Leitbild des Wohnens in Kriegszeiten. Wohnraum als Nährboden zur folgsamen Produktion einer wachsenden Volksgemeinschaft.
Umgesetzt wurde davon nicht viel, der Krieg ließ nicht nur die monumentalen Träume Albert Speers in der Schublade der Geschichte verschwinden, sondern auch die vergleichsweise nüchternen Wohnbaupläne. Mit einer Ausnahme: Linz. Hitlers "Patenstadt", mit Berlin, München, Nürnberg und Hamburg eine der fünf "Führerstädte", fiel im Dritten Reich eine besondere Rolle zu.
Prunkstück an der Donau
Nach dem Anschluss 1938 sollte die Stadt zu einem Prunkstück an der Donau werden. Prachtbauten entlang des Flusses und entlang einer neuen kilometerlangen Achse nach Süden. Gebaut wurde davon nur die Nibelungenbrücke mit den beiden Kopfbauten am Linzer Hauptplatz. Wie man mit ihnen umgehen soll, wird noch heute immer wieder diskutiert. Diesen Bauten widmet auch die am Freitag im Nordico-Stadtmuseum eröffnete Ausstellung "Hitlerbauten" in Linz einen Raum. Hauptthema der umfangreichen Schau ist aber der bislang wenig untersuchte Wohnbau.
11.000 Wohnungen, vor allem für Arbeiter der Hermann-Göring-Werke, wurden nach 1938 errichtet. Noch heute stellen diese "Hitlerbauten", wie sie von den Linzern genannt werden, zehn Prozent des gesamten Wohnungsangebots. Siedlungen wie Spallerhof, Bindermichl, Kleinmünchen und Harbach sind heute beliebte Wohnlagen, die Grundrisse sind praktisch, die großen Höfe begrünt.
Beliebte Wohnlage
"Nicht wenige Interessenten fragen explizit nach einer Wohnung im Hitlerbau", berichtete Vizebürgermeister und Wohnbaureferent Erich Watzl bei der Eröffnung. Nicht aus ideologischen Gründen natürlich, wie er sich beeilt zu sagen.
Was für Nicht-Linzer befremdlich klingt, ist schlicht pragmatischer Usus. Jeder weiß, was gemeint ist. Die Debatten zur NS-Architektur kreisten ohnehin meist um die repräsentativen Monumentalbauten in ihrer eindeutig ideologischen Programmatik. Schwieriger schon die Frage, wie ideologisch ein Wohnhaus überhaupt sein kann. Gibt es Nazi-Grundrisse? Hitler-Küchen? Faschistoide Besenkammerln? Oder sind die Grundbedürfnisse an eine Wohnung eh immer dieselben, egal, welche Fahne vor dem Haus flattert?
Qualitätssprung
"Es gab Anfang des 20. Jahrhunderts gemeinsame europäische Tendenzen im Wohnungsbau. Das Leitbild der aufgelockerten, grünen Siedlung gab es genauso in England, und der sogenannte Wohnungs-Reichstyp von Robert Ley fand sich in ähnlicher Form in Schweden", erklärt die Hamburger Architekturhistorikerin Sylvia Necker, die die Ausstellung kuratiert hat.
"Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die einen Bauten für die Volksgemeinschaft sind und die anderen nicht. Die 80-Quadratmeter-Grundrisse mit fließend Wasser und eigenen Bädern wurden damals als absolut luxuriös empfunden, das war ein eindeutiger Qualitätssprung."
Der ideologische Hintergrund war - siehe Fortpflanzungsprogrammatik - jedoch immer präsent. "Dass es den Nationalsozialisten um Wohnungen für große Familien ging, war kein Geheimnis. Das Elternschlafzimmer war oft das größte Zimmer. Die Wohnzimmer waren relativ klein, da das Zentrum der Familie die Küche sein sollte", sagt Sylvia Necker. Noch dazu wurden die Bewohner genau ausgewählt - Ariernachweis und "Erbgesundheit" waren Voraussetzung.
Kasernenhaft und luftgerecht
Neben diesen sozialpolitischen Aspekten richtet die Ausstellung auch einen Fokus auf die wenig bekannten Architekten der Hitlerbauten. Die ersten entstanden unter der Leitung des Reichsbaurats Roderich Fick, der auch die Brückenbauten am Hauptplatz errichtete.
Anfangs Hitlers Lieblingsarchitekt, war er vom Heimatstil der 1920er-Jahre geprägt und durfte Hitlers Refugium auf dem Obersalzberg bauen. In Linz verlor er aufgrund seiner Kritik am Monumentalismus bald an Einfluss und wurde durch seinen Münchner Rivalen Hermann Giesler ersetzt.
Nach außen stellten sich die Hitlerbauten meist als kantige Blöcke, wie aufgeblähte Vierkanthöfe, mit grünen Innenbereichen dar. In der Anordnung oft kasernenhaft monoton, wurden sie mit sparsamen Baudetails aus der gesamtdeutschen Baugeschichte garniert, Torbögen sollten an die Linzer Altstadt erinnern.
Die Innenhöfe dürften damals dem Blockwart die Kontrolle durchaus erleichtert haben. Nebenbei folgte die Anordnung dem Prinzip des " luftgerechten Bauens" - einer aufgelockerten Bebauung rechnete man bei Bombenangriffen höhere Überlebenschancen aus. Ein Luftschutzkeller war trotzdem Standardausstattung.
Wiederentdeckung
Heute sind die Innenhöfe ein gesuchter Wohnbonus. "Ich vermute, dass man in den 1970er-Jahren merkte, dass die Nachkriegs-Plattenbauten doch nicht so toll waren. Die NS-Bauten mit ihren grünen Wohnhöfen wurden daher als positives Gegenmodell wiederentdeckt", spekuliert Sylvia Necker.
Der "Hitlerbau" als positiver Begriff - kein Drama. Doch das Wie und Warum wird noch viele Untersuchungen wert sein.
(erschienen in: Der Standard, 22./23.9.2012)