Das Symposium "Superstadt" spekulierte über die urbane Zukunft. Ob optimistisch oder düster: Der Futurismus ist wieder im Kommen - Architekt Liam Young über die Stadt von morgen
Die Zukunft schien in der Architektur ziemlich altmodisch geworden zu sein. Seit den fliegenden Träumen der 60er, als Pop-Art- Büros wie Superstudio aus Italien und Archigram aus London ihre Walking Cities wie riesige psychedelische Yellow Submarines durch die Welt von morgen staksen ließen, ist der Blick nach vorn immer grimmiger, humorloser und pessimistischer geworden.
Dort, wo sich der Futurismus noch sonnig-optimistisch gibt, tut er das im nostalgischen Retrogewand, als Replikat der technologiebegeisterten Ära von James-Bond-Autos und Mondraketen. Alternativ gibt man sich global und grün, doch hinter der fugenlos gerenderten Öko-Architektur steckt ein beinharter Markt und in der Substanz oft wenig mehr als mit Fassadengrün behangene, pseudobiologische Rundformen.
Doch es gibt auch die, die sich mit den Technologien von heute beschäftigen, die sehr wohl Lösungen für die Zukunft bieten, wenn man nur genau hinschaut. Eine Handvoll von ihnen versammelte sich vorige Woche beim Symposium "Superstadt" an der Kunst-Uni Linz, um die Stadt von heute weiterzudenken.
"Die Metropolen wachsen heute ohne Utopie vor sich hin", wie Initiatorin Sabine Pollak anmerkte. Das Mittel dagegen liege weniger im Eskapismus kuschelig-spaciger Blobs, sondern in interdisiplinärer Research Architecture, die sich die Erkenntnisse der Wissenschaft zu eigen macht.
So ließ der Schwede Magnus Larsson in seinem provokant Beyond Biomimicry betitelten Vortrag den oberflächlichen Bio-Look hinter sich, um sich mit weißem Laborkittel in biochemische Prozesse zu vertiefen. Ergebnis: sein Projekt Green Wall Sahara, das so simpel wie bestechend ist. Um das Vordringen der Wüste einzudämmen, schlug Larsson vor, Bakterien in die Dünen zu injizieren, die den Sand binnen 48 Stunden zu Sandstein verhärten.
Dank des Mikroorganismus als Bauarbeiter wird der Sand zum Sandstein, die kühlen Hohlräume bieten Platz für Oasen oder gleich ganze Städte. Forschende Intelligenz statt formschöner Nachahmung der Natur in Beton: Die "Post- sustainable City" brauche aktive Häuser, die sich selbst bauen, argumentierte Larsson.
Die stadtforschenden Szenarien der Thinktanks um den Briten Liam Young wiederum spekulieren wild in alle Richtungen über den Einfluss neuer Technologien: Überwachungsdrohnen, Vögel als Warnsystem für Luftverschmutzung, Implantate als Informationsträger.
Noch ist es eine architektonische Randgruppe, die sich in Begeisterung fürs Wissenschaftliche ergeht. Das mag ganz banal daran liegen, dass es krisenbedingt momentan wenig zu bauen gibt, doch das sieht man einfach als Chance: "Es gibt für Architekten keine bessere Zeit als jetzt, um über die Zukunft nachzudenken", sagt Magnus Larsson euphorisch.
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Die Zukunft suchen am Ende der Welt
Architekt Liam Young über die Stadt von morgen und den Architekten als Szenografen
Standard: Sie nennen Ihren Thinktank "Tomorrow's Thoughts Today". Hat die Zukunft unter Architekten heute wieder Konjunktur?
Young: Nach den Visionen der 60er- und 70er-Jahre hat sich jahrelang keiner für die Zukunft interessiert. Heute sind wir an einem Punkt, an dem die neuen Technologien noch völlig unberechenbar sind, und das Morgen wieder ein aufregendes Projekt wird. Klimawandel, Biotechnologie, Computer, all diese Entwicklungen hängen in der Luft wie Jonglierbälle, von denen niemand weiß, wann und wo sie herunterkommen.
Standard: Dennoch spekulieren Sie eifrig über die Stadt von morgen. Werden unsere Städte aussehen wie in den futuristischen Träumen der 60er-Jahre?
Young: Raumschiffe, Lichtschwerter und Laserstrahlen kommen in unseren Szenarien jedenalls nicht vor! Eher geht es Richtung Orwells 1984. Also nicht um Eskapismus, sondern um eine mögliche Realität.
Standard: Heute sind futuristisch-biomorphe Formen in der Architektur groß in Mode. Wird die Biologie das Aussehen unserer zukünftigen Städte bestimmen?
Young: Die Anlehnung an die Biologie ergibt diese Art glibbriger, zähflüssiger Gebäude. Das ist reine Fantasy. Computer und Mobiltelefone sind im Moment viel wichtiger als Biotechnologie - auch wenn sie immer mehr zu einem Ding verschmelzen. Was unsere Städte heute am meisten beeinflusst, sind keine physischen Objekte, sondern Informationen. Städte werden um drahtlose Netzwerke, Internet-Backbones und Mobiltelefone herumgebaut. Da geht es nicht mehr um Architektonisches wie Achsen, Sichtbeziehungen oder Symmetrien.
Standard: Die Stadt der Zukunft braucht also keine Städtebauer?
Young: Doch. Aber sie werden eine völlig andere Rolle spielen: Sie müssen Strategen und Planer von Szenarien sein, die die neuen Technologien kritisch untersuchen und der Öffentlichkeit bildhaft begreifbar machen.
Standard: Der Architekt der Zukunft baut also gar nichts mehr?
Young: Das traditionelle Bild des Baumeisters ist, außer für die wenigen, die sich eine solche Architektur noch leisten können, völlig irrelevant. Natürlich wird es immer jemanden geben, der eine Kapelle von Peter Zumthor oder ein Designer-Strandhäuschen will. Nur passiert das außergewöhnlich selten. Dabei können wir so viel, dass der Gipfel unseres Berufes nicht ein Museum in Dubai sein kann, mit dem ein Kunde seinem Konkurrenten zeigen kann, wie viel Geld er hat. Wir könnten der Welt doch etwas Wertvolleres, Kritischeres geben!
Standard: Sind Utopien für den Zukunftsforscher noch interessant, oder reizt die Apokalypse mehr?
Young: In der Praxis sind Architekten natürlich per se utopisch. Keiner sagt zu seinem Kunden: "Ich habe hier ein riesiges Projekt für Sie, das wird ganz furchtbar!" Aber wenn es um Zukunftsszenarien geht, tendieren die Architekten zur Dystopie. Kritisch zu sein ist eben einfacher, als optimistisch zu sein. Man geht kein Risiko ein. Ich versuche, hier die Eindeutigkeit zu vermeiden. Nur so erreicht man eine Reaktion, ein Nachdenken.
Standard: Welche Rolle spielt bei der Frage "Utopie oder Katastrophe" die Ökologie?
Young: Die Idee von Natur als etwas Unberührtes, das mit allen Mitteln geschützt werden muss, ist ein rein kulturelles Konstrukt. Genauso die Nachhaltigkeit: Dort geht es nur um Erhaltung, um den Status quo. Aber die Natur war noch nie statisch. Sie hat sich immer entwickelt. Erst wenn Natur und Technologie zusammenkommen, wird es interessant. Die Technologie kann ökologische Probleme lösen und umgekehrt. Wir müssen lernen, diese Technologien zu benutzen. Das ist wichtiger, als einen Baum vor dem Abholzen zu schützen.
Standard: Trotzdem haben Sie mit Ihrer Forschungsgruppe "Unknown Field Division" den tropischen Regenwald besucht.
Young: Wir sind zum Amazonas gereist, um herauszufinden, was wir als natürlich empfinden. Der Regenwald dort ist nachweislich kein unberührter Dschungel, sondern ein Garten, der von nomadischen Stämmen kultiviert wurde. Also ein technologisches Objekt!
Standard: Was sucht man als Stadtzukunftsforscher eigentlich an den Enden der Welt?
Young: Städte sind keine isolierten Objekte, sondern Teil einer riesigen Anzahl von Infrastrukturlandschaften, die um sie herum, oder auch weit davon entfernt, existieren. Deswegen folgen wir den Öl-Pipelines nach Alaska oder schauen uns das riesige Loch in Australien an, in dem das Eisenerz gewonnen wird, das dann zum Stahl für die chinesischen Städte wird, die von Londoner Büros wie Zaha Hadid entworfen werden.
Standard: Am 21. Dezember reisen Sie zu den Maya-Tempeln nach Lateinamerika. Was planen Sie dort herauszufinden?
Young: Wir wollen untersuchen, wo unsere Angst vor der Zukunft herkommt. 50 Millionen Menschen werden zu diesen Maya-Ruinen strömen. Sie werden Yogaübungen machen, Kristalle reiben oder auf Aliens warten. Das wird ziemlich wild! All dies an einem Ort, wo sich unsere Angst von Umweltkatastrophen und Apokalypse bündelt. Wir werden das beobachten, um über unsere eigenen Zukunftsvorhersagen nachzudenken. Wir haben übrigens nur Einfach-Flüge gebucht, denn selbstverständlich wird die Welt an diesem Tag untergehen!
(erschienen in: Der Standard, 27./28.10.2012)