80 Jahre Werkbundsiedlung: Das Wien Museum zeigt eine Ausstellung über eine Ausstellung - mit einigen Überraschungen
Was sich da vor 80 Jahren, am 4. Juni 1932, auf einer sumpfigen Wiese in der Lainzer Hagenau am Wiener Stadtrand zutrug, war zweifellos ein Großevent. Eine Menschenmenge lauschte den Reden von Bundespräsident Wilhelm Miklas und Bürgermeister Karl Seitz, umringt von kunterbunt hingewürfelten, buntgetünchten und flachbedachten Kisten: die 70 Wohnhäuser der Werkbundsiedlung, die an diesem Tag eröffnet wurde.
31 Architekten aus mehreren Generationen, darunter Prominente wie Adolf Loos, Gerrit Rietveld und Josef Hoffmann, hatten unter Leitung von Josef Frank die Musterhäuser entworfen, an die 50 weitere Gestalter hatten sie mustergültig möbliert. Den Besuchern sollte beispielhaft gezeigt werden, wie sich auch auf kleinstem Raum komfortabel leben ließ. An großbürgerlichen Statussymbolen wie Dienstbotenzimmern fehlte es trotzdem nicht.
100.000 Besucher später ging die Ausstellung nach zwei Monaten als voller Erfolg zu Ende. Auch die internationale Resonanz war äußerst positiv. Das Ziel, die Musterhäuser in Serie gehen zu lassen, schien greifbar nahe. Doch man war zu spät gekommen. Der Mittelstand war nach der Wirtschaftskrise verarmt oder zu konservativ für moderne Architektur, die Arbeiterschaft konnte sich die Häuser nicht annähernd leisten. Der politische Schwenk zu Ständestaat und Faschismus, der kaum ein Jahr später einsetzte, tat ein Übriges, und die Werkbundsiedlung verschwand in der Obskurität.
Aus dieser ist sie seither mehrmals, und letztlich endgültig, wieder aufgetaucht. Zunächst in den 1950er-Jahren von Architekten wie Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Friedrich Achleitner wiederentdeckt, wurde sie in den 1970er-Jahren unter Denkmalschutz gestellt und in den 80ern erstmals saniert. Heute ist sie das Ziel architekturinteressierter Bustouristen. Seit 2011 erfolgt nun die nächste Sanierung, beginnend mit vier Häusern von Rietveld und Hoffmann.
Pünktlich zum 80. Geburtstag der Siedlung eröffnet nun im Wien Museum die Schau „Werkbundsiedlung 1932 – Ein Manifest des Neuen Wohnens“, bei der jedoch Sanierung und Wiederentdeckung kaum eine Rolle spielen. Vielmehr konzentriert man sich auf das Jahr 1932; quasi eine „Ausstellung über eine Ausstellung“, wie Kurator Andreas Nierhaus bemerkt. Eine richtige Entscheidung, denn es gab noch einiges zu entdecken.
Neben der Vorgeschichte des 1912 gegründeten Werkbunds und der Siedlerbewegung der frühen 1920er-Jahre wird anfangs der Vergleich zu den um 1930 stattfindenden Werkbund-Ausstellungen in Städten wie Stuttgart, Breslau, Prag und Brünn gezogen. Von diesen unterschied sich die Lainzer Siedlung auf sehr wienerische Weise. „Die Moderne war in Österreich nie so doktrinär wie anderswo, sondern näher am Handwerk als an der Massenproduktion“, sagt Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums. Eine gewisse Gemütlichkeit und Behaglichkeit wollte man sich eben nicht nehmen lassen.
Vor allem Josef Frank kritisierte die „Leblosigkeit“ der Neuen Sachlichkeit deutscher Prägung und hielt ihr entgegen: „Eine Traditionslosigkeit gibt es nicht.“ Konsequenterweise war Josef Frank, der als einziger Österreicher an der berühmten Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927 beteiligt war, dort für die bunte Puppenstubigkeit seiner Innenräume kritisiert worden.
Genauso vehement kritisierte Frank die Gemeindebauten des Roten Wien, mit ihrem aus seiner Sicht zynischen Widerspruch zwischen winzigen, ungünstig geschnittenen Wohnungen und bombastischem Außendekor. Es sollte doch möglich sein, so Frank, großzügige Räume für alle zu schaffen. Fassadenschmuck war ihm dabei genauso wenig wichtig wie Experimente mit modernen Baustoffen. Wohnbedürfnisse änderten sich schließlich nicht. Man will drinnen und zufrieden sein. Oder, wie sein Werkbund-Kollege, der außerordentlich einflussreiche Soziologiegigant Otto Neurath, als Motto vorgab: ein Maximum an Glück – und eben nicht das damals krisenbedingt diskutierte Existenzminimum.
Es ist das Verdienst der Ausstellung, den Fokus weniger auf das ohnehin umfassend dokumentierte und schon 1932 auf Fotogenität getrimmte Außenbild der Siedlung zu richten, sondern auf die Innenräume, deren Möblierung eigens und ausschließlich für die zweimonatige Ausstellung 1932 angefertigt und danach wieder entfernt wurde. Neben einzelnen Möbelstücken zeigt dies ein komplett eingerichtetes Arbeitszimmer, das trotz seiner Winzigkeit sowohl Bildungsbürgerlichkeit als auch modern-aufgeklärte, zeitlose Gemütlichkeit ausstrahlt und das medial festbetonierte Bild von modernen Bauten als in lichtdurchflutetem Weiß aufgelöste Riesenräume korrigiert.
„Gerade die Kammern und die Nebenräume waren in der Werkbundsiedlung extrem klein“, erklärt Kuratorin Eva-Maria Orosz. „Zum Beispiel wurde damals kritisiert, dass man in den Küchen keinen Wiener Strudelteig ausziehen könne.“ Auch die steilen „holländischen Stiegen“ fand die Wiener Öffentlichkeit befremdlich. Wie, um Himmels willen, solle man denn so beispielsweise einen Sarg in den ersten Stock und wieder hinunter bekommen? Diese Vorbehalte und vor allem die hohen Kosten – rund 120.000 Euro nach heutigem Wert – ließen die moderne Innovation zur Sackgasse werden.
Trotz Besucherandrangs hatten von den Häusern, die im Katalog mit Preisangaben versehen waren, am Ende der Ausstellung nur 14 Objekte Käufer gefunden. Die übrigen wurden vermietet und gingen 1938 ins Eigentum der Stadt Wien über. Man war tragischerweise einige Jahre zu spät dran, die Aufbruchsstimmung der 20er-Jahre war verflogen.
Dabei hätte man es beinahe rechtzeitig geschafft, wenn auch an ganz anderer Stelle. Denn wie die im Wien Museum zum ersten Mal gezeigte Pläne offenbaren, sollte die Werkbundsiedlung ursprünglich am Südhang des Wienerbergs entstehen. Josef Frank hatte den groben Entwurf schon 1929 geliefert, doch kurz darauf errichtete die Stadt Wien einen wuchtigen Gemeindebau direkt neben dem geplanten Bauplatz. So viel Favoritner Arbeiterschaft in nächster Nähe wollte man dann doch nicht. Man fürchtete, die bürgerliche Zielgruppe zu verschrecken, und verlegte die Siedlung ins proletarisch unberührte Lainz – wo die Häuser aufgrund des feuchten Bodens gleich noch ein bisschen teurer wurden und nicht wenige Grundrisse an Qualität verloren.
Gesellschaftlich also eine Siedlung zwischen allen Stühlen, als Schlussakkord einer von Optimismus und Utopien geprägten Ära, und ein Brennpunkt persönlicher Schicksale. Viele der Architekten waren jüdischer Herkunft und mussten, wie Josef Frank, kurz nach der Werkbund-Ausstellung emigrieren, ebenso einige der Bewohner, wie das beispielhafte Schicksal der Familie Schanzer im Wien Museum zeigt.
Auf der anderen Seite stehen widersprüchliche Figuren wie Hermann Neubacher, der sozialdemokratisch geprägte Präsident des Werkbundes, der schon ein Jahr nach der Werkbund-Schau in die NSDAP eintrat, nach dem Anschluss ans „Dritte Reich“ Bürgermeister wurde, sich aber gleichzeitig um den Erhalt der von den Nazis verachteten Siedlung bemühte, die schon 1938 zum ersten Mal saniert wurde.
Wenn die jetzige dritte Sanierung abgeschlossen ist, tut es gut, der sauberen Selbstmusealisierung im einheitlichen Gewand der Moderne die hier gezeigten Umstände ihrer Entstehung von 1932 entgegenzustellen.
(erschienen in: FALTER 37/12; 12.09.2012)