Der Stadtsoziologe Jens Dangschat erklärt, was die Architektur für die Integration leisten kann

Städte leben von der Zuwanderung. Doch wie und wo in der Stadt funktioniert die Integration – und wo nicht? Im Gemeindebau, im öffentlichen Raum oder doch besser im Containerdorf irgendwo im niederösterreichischen Gewerbegebiet? Wie sichtbar oder unsichtbar soll das Fremde in der Stadt sein? Auch in der Architektenschaft wird engagiert nach Lösungen gesucht.

Der Soziologe Jens Dangschat forscht seit langem zum Zusammenleben in Städten und erarbeitet zurzeit mit seinen Studenten an der TU Wien Ideen zum Thema "Zuwanderung, Flucht, Identität und öffentlicher Raum". DER STANDARD traf ihn im Mobilen Stadtlabor der TU Wien, das derzeit auf einer asphaltierten Brachfläche in St. Marx Station macht.

Die Stadt an sich gilt seit jeher als "Integrationsmaschine" für Zuwanderer. Kann sie diese Rolle heute angesichts der emotionalen Flüchtlingsdebatten noch erfüllen?

Dangschat: So einfach ist es nicht. Die Stadt war immer nur dann eine Integrationsmaschine, wenn der städtische Arbeitsmarkt Leute brauchte. Aber im Moment gehen Stadtgesellschaft, Stadtpolitik und der städtische Arbeitsmarkt auf diese Leute nicht gerade mit offenen Armen zu. Der bezahlbare Wohnraum wird immer knapper, dazu kommen Verteuerung und Gentrifizierung. Noch schwieriger wird es, wenn die Stadtgesellschaft nicht mehr urban, offen und neugierig ist und sich gewissen sozialen Gruppen gegenüber skeptisch zeigt. Im Moment ist die Integrationskraft der Städte ins Straucheln geraten.

Die UNESCO-Bericht ist entsetzt über die Hochhauspläne beim Eislaufverein. Zeit, ein paar Fragen zu stellen: Wie kam es soweit? Wie geht es weiter? Und braucht Wien das Weltkulturerbe überhaupt?

Das kommt nicht überraschend: Der Ende März vorgelegte Bericht der UNESCO macht unmissverständlich klar, dass die Pläne für die Intercont-Erweiterung beim Eislaufverein das Weltkulturerbe Wiener Innenstadt "irreversibel gefährden". Im November 2015 hatte sich der italienische Architekt Giancarlo Barbato in UNESCO-Mission bei einem Lokalaugenschein die Pläne erläutern lassen und hatte auch mit den Gegnern des Projektes gesprochen.

Mit dem Ergebnis: Das Hochhaus störe den Canaletto-Blick vom Belvedere und die Einheit des Ersten Bezirk, die dank der zahlreichen Dachausbauten der letzten Jahre sowieso schon bedenklich am Kippen sei. Sogar das 1964 errichtete Intercontinental-Hotel selbst ist der UNESCO schon zu hoch und sollte idealerweise auf Baublockhöhe gestutzt werden.

Das Bundeskanzleramt (der Weltkulturerbestatus ist ein Vertrag auf Bundesebene) antwortete am 31.März in einem äußerst knapp gehaltenen Schreiben: Die Meinung der zahlreichen Experten im kooperativen Verfahren, das dem Architekturwettbewerb vorausging, habe gezeigt, dass es im Umfeld des Eislaufvereins gar nicht in erster Linie auf die Höhe ankomme, sondern auf die urbane Qualität des Stadtraums. Außerdem sei noch nichts entschieden. Man gehe davon aus, dass die Neubaupläne letztendlich mit dem Weltkulturerbe kompatibel seien. Fertig.

Eine Einigung scheint so ausgeschlossen, es sei denn, der Investor zieht plötzlich einen komplett anderen Entwurf aus der Tasche. Das endgültige Urteil wird auf der UNESCO-Jahressitzung im Juli fallen. Was dann? Wird Wien das Weltkulturerbe aberkannt? Läuft die seit zwei Jahren währende, oft ins Hysterische ausschlagende Hochhaus-Diskussion, die Architektenschaft und Öffentlichkeit spaltet, in Endlosschleife weiter?

Mit dem Tod von Zaha Hadid verliert die Architekturwelt eine ihrer schillerndsten Figuren und eine von Mut, Willen und Energie befeuerte Architektur voller überbordender Freude am Raumerlebnis.

Es war nur ein kleines Feuerwehrhaus, doch gefeiert wurde es wie ein Ereignis. Das lang erwartete erste Werk der Architektin Zaha Hadid, 1993 auf dem Gelände des Möbelbauers Vitra im deutschen Weil am Rhein errichtet, war der Start in eine steile Karriere. Die Aura der Berühmtheit hatte die 1950 in Bagdad geborene und in London lebende Kosmopolitin schon vorher umgeben, dank ihrer atemberaubenden, von Kasimir Malewitsch inspirierten Zeichnungen von Architekturen, die den Raum zu biegen und zu sprengen schienen, die selbstbewusst in die Welt hineingriffen. Auch Hadids Feuerwehrhaus mit seinen schiefen, scharfkantigen Betonwänden schien kurz vor dem Auseinanderfliegen zu sein. Dass es für die Feuerwehrmänner nur bedingt benutzbar war - egal. Hier war ein Gebäude, elektrisch aufgeladen vor Vitalität und Energie, das dadurch seine Umgebung veränderte. Es sollten noch viele und größere Bauten nach demselben Credo folgen.

Zaha Hadid war, so schien es damals, und so scheint es jetzt, nach ihrem plötzlichen Herztod vorige Woche in Miami, noch mehr, zum Star geboren. Dennoch hätte 1993 wohl niemand darauf gewettet, dass das Oeuvre der kompromisslosen Künstlerarchitektin 23 Jahre später über 900 Projekte umfassen würde, darunter Dutzende realisierte Großbauten. Großartig, wild und avantgardistisch, aber jenseits des konstruktiv Möglichen schien das damals. Hadids Spuren in der Welt verdanken sich nicht nur ihrem legendären Willen, ihrer Energie und Durchsetzungskraft, sondern auch der Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die ihre schwindelerregenden Geometrien erst baubar machten.

Der Autor und Architekturtheoretiker Geoff Manaugh hat für sein Buch "The Burglar's Guide to the City" die Verbindungen zwischen Verbrechen und Stadtraum untersucht

George Clooney, der als Meisterdieb in "Ocean's Eleven" ein Modell des Raumes baut, in dem die zu erbeutenden Kasinomillionen liegen. Sherlock Holmes, der neblige Gassen und das Themse-Ufer entlangeilt und uns so ein akkurates Bild des viktorianischen London vermittelt. Die immer wieder scheiternden Panzerknacker, die in ihrem unstillbaren Drang, Dagobert Ducks Geldspeicher zu knacken, zu ingenieurtechnischen Höchstleistungen getrieben werden: Das Handwerk der Einbrecher ist ein eng mit Architektur und Stadt verwobenes. Der Amerikaner Geoff Manaugh, Architekturtheoretiker, Autor und seit 2004 Betreiber des renommierten Blogs BLDGBLOG, hat sich für sein neustes Buch "The Burglar's Guide to the City" mit genau diesen architektonischen Aspekten der Kriminalität beschäftigt. Dem STANDARD erklärte er, wie Einbrecher räumliches Wissen für ihre Zwecke benutzen, welche Städte am besten für Tunnels geeignet sind und was Architekten davon lernen können.

Das Wiener Schulmodell „Campus plus“ ist mit großem Erfolg gestartet. Doch jetzt gehen die Architekten auf die Barrikaden und rufen zum Boykott auf. Der Grund: Public Private Partnerships

Fünf Jahre ist es her, da rieb sich die Wiener Architektenschaft die Augen. So etwas hatte man noch nie gesehen. Was die Stadt Wien beim Wettbewerb für den Bildungscampus im Sonnwendviertel alles auflistete, kam einer Revolution gleich: Kein Frontalunterricht, keine Normklassenzimmer, kein „Eh scho immer so gmacht“, stattdessen ein kluges und detailliertes Bildungskonzept fürs 21. Jahrhundert. Es war, als habe ein träger Supertanker plötzlich einen eleganten Salto hingelegt. Allenthalben wurde die beispielhafte Zusammenarbeit zwischen Architekten, Schulbetreibern und der Stadt gelobt. Und das genau zur rechten Zeit, in der Wiens Einwohnerzahl rapide wächst und die Stadtentwicklungsgebiete von Atzgersdorf bis Aspern neue Schulen brauchen.

Zeitsprung ins Jahr 2015: Ein Kind zieht ein trotziges Schnoferl, darüber der Satz: „Ich will nicht auf die Investorenschule!“ Entworfen wurde das Plakat vom Architekturbüro FRANZ, und dieses Plakat war es, das die Architekten 2015 beim Wettbewerb für den Bildungscampus in der Donaustädter Berresgasse einreichten. Ein lupenreiner Boykott, und eine koordinierte Aktion: Von 88 Einreichungen waren 55 ungültig. Eine solche Aktion hatte es bisher nie gegeben. Schließlich verzichteten die protestierenden Architekten hier auf einen möglichen lukrativen Großauftrag.

Ende Jänner 2016: Der nächste Wettbewerb steht an, dieses Mal für den Bildungscampus Nordbahnhof II. Hier soll in den kommenden Jahren auf rund 2,3 Hektar Brachfläche ein Campus für 1600 Kinder entstehen. Wieder kommt es zu einem breiten Boykott der Architektenschaft. Darunter auch Büros, die bereits städtische Schulen geplant haben. Nicht nur das: Auch namhafte Experten wie Christian Kühn, Architekturkritiker und Dekan an der TU Wien, haben inzwischen ihren Rückzug aus den Jurys der Wiener Schulwettbewerbe erklärt.

Die rosige Zukunft einer Wiener Bildungsrevolution, in der alle an einem Strang ziehen, hat sich verdunkelt. Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort hat drei Buchstaben: PPP. Das Kürzel steht für „Public Private Partnership“: ein Konstrukt, das vom ersten Moment an ein Zankapfel war. Kurz gesagt geht es um Folgendes: Die Maastricht-Kriterien der EU und der 2012 zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgeschlossene Österreichische Stabilitätspakt verbieten den Kommunen ab 2016 die Neuverschuldung. Konnte die Stadt Wien bisher die kompletten Kosten für eine neu zu errichtende Schule ins Jahresbudget aufnehmen, muss man sich jetzt etwas anderes überlegen.

Die Zeit der genialistischen Einzelkämpfer in der Architektur geht dem Ende zu. Das mit dem Turner Prize ausgezeichnete britische Team Assemble bringt frischen Wind in die Branche

Der rituelle Aufschrei hatte in diesem Jahr einen besonders schrillen Sound: Als im Dezember der wichtigste Preis der britischen Kunstwelt, der mit 25.000 Pfund dotierte Turner Prize, an das Architektenteam Assemble vergeben wurde, war die Kulturwelt der Insel in Aufruhr: Das Ende des Turner Prize, eine Bankrotterklärung, ein Affront! Was hatte Architektur denn mit Kunst zu tun? Selbst für die an Skandalen und aufgeregten "Ist das noch Kunst?"-Diskussionen nicht gerade arme Geschichte des Preises (von Damien Hirsts eingelegtem Hai über Tracey Emins zerwühltes Bett, kopulierende Sexpuppen und protestierende Eierwürfe bis zu den unvermeidlichen Wortmeldungen von Prince Charles) war das ein Novum.

Graz 2003, Linz 2009 – was kommt als Nächstes? Im Jahr 2024 wird Österreich wieder eine Kulturhauptstadt stellen. Eine engagierte Schar von Architekten, Aktivisten und Studenten will die Auswahl nicht den Beamten überlassen

Vor genau einem Jahr knirschte es in einem belgischen Gebälk. Aus der spektakulären Wolke aus rot bemalten Holzlatten, die der heimische Künstler Arne Quinze im Stadtzentrum von Mons installiert hatte, krachten Anfang Jänner 2015 mehrere Stücke zu Boden. Kurz darauf wurde das gesamte 400.000 Euro teure Kunstwerk aus Sicherheitsgründen eingestampft. Was ein feierlicher Auftakt des Kulturhauptstadtjahrs hätte werden sollen, wurde eine unsanfte Landung noch vor dem Start. Dabei hatte man alles aufgeboten: einen neuen teuren Bahnhof von Stararchitekt Santiago Calatrava, der leider erst 2018 fertig wird, und ein Museum von Stararchitekt Daniel Libeskind, das aussieht wie ein B-Klasse-Libeskind-Museum aus der Serienproduktion. Am Ende des Jahres hatte Mons dennoch die angepeilte Marke von zwei Millionen Besuchern übertroffen. Ob dies ein langfristiger Erfolgsgarant ist und die Investitionskraftakte die wallonische Industrieregion auf Dauer kulturell beleben, wird sich erst noch zeigen.

Die Soziologin erklärt, wie Städte den Bedrohungen der Zeit widerstehen und für alle lebenswert bleiben können

"The Global City" machte Saskia Sassen 1991 bekannt, jetzt erscheint ihr neues Buch "Ausgrenzungen – Brutalität und Komplexität in der globalen Wirtschaft" auf Deutsch. Darin untersucht die US-Soziologin die zunehmende weltweite Vertreibung von Menschen aus ihrem Lebensumfeld – durch die Flüchtlingskrise akuter denn je. Kürzlich war Sassen auf Einladung der Vienna Art Week in Wien. Mit dem STANDARD sprach sie darüber, wie unsere Städte den Bedrohungen der heutigen Zeit widerstehen und für alle lebenswert bleiben können.

Sie kommen gerade aus Paris. Die Stadt steht unter Schock, und in Brüssel herrschte Ausnahmezustand. Wie können unsere Städte mit der Bedrohung von Angst und Gewalt umgehen, ohne ihre Offenheit zu verlieren?

Sassen: Die beste Verteidigung ist, die Diversität zu erhalten und darauf zu achten, dass jede Bevölkerungsgruppe wirklich Teil der Stadt ist. Paris ist im Prinzip so eine offene Stadt. Städte haben schon zahllose Machthaber überlebt: Regierende, Könige, Großunternehmen – die sind heute alle tot! Aber die Städte, in denen sie ihre Macht ausübten, leben immer noch. Wir müssen die Städte offen und beweglich halten.

Wie können wir das erreichen?

Sassen: Eine Stadt kann man, anders als einen Gewerbepark, nie ganz kontrollieren. Die Unterschiede sind zu stark, es gibt zu viele Schwerpunkte und Schnittmengen. Eine echte Stadt, die nicht nur ein dicht bebautes Megaprojekt ist, ist ihr eigener bester Freund.

Vor kurzem wurde der Wettbewerb "Wien-Museum neu" entschieden. Damit gehen jahrelange Standortfragen und Denkmalschutz-Diskussionen zu Ende. Das Siegerprojekt von Čertov, Winkler+Ruck liefert erfreuliche Antworten

Der Karlsplatz, so das bekannte und noch gültige Bonmot von Otto Wagner, ist weniger ein Platz als eine Gegend. Ein Durcheinander von Wegen und Inseln, umstellt von ba lichen Schwergewichten. Viele haben versucht, diese Gegend in den Griff zu bekommen. Geworden ist daraus eine Grabstätte ungebauter Ideen – auch jener von Otto Wagner selbst, der mit seinem Entwurf für ein neues Stadtmuseum 1902 der Lösung schon sehr nahe kam. Seinem Bau wäre es immerhin gelungen, der dominierenden Karlskirche keine Konkurrenz zu machen und trotzdem selbstbewusster Stadtbaustein zu sein.

Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt startet eine Kampagne zur Rettung des vielgeschmähten Brutalismus der 70er Jahre. Denn dieser erfährt gerade neue Wertschätzung. So auch das akut vom Abriss bedrohte Kulturzentrum in Mattersburg.

40 Jahre: Das Alter, in dem Humanoide gerade ihren ersten Lamborghini kaufen, berufsjugendlich aufs Longboard klettern, den Agenturjob hinwerfen und sich Jungwinzer-Visitenkarten drucken lassen, ist für Gebäude des gefährlichste überhaupt. Wenn sich die ersten Zipperlein zeigen, stehen Bauwerke am Scheideweg zwischen Abriss, Neuentdeckung und Denkmalwürdigkeit. Besonders gefährdet sind diejenigen, die ihr kritisches Alter zum Höhepunkt der Vollwärmeschutz-Euphorie erleben (nämlich genau jetzt) und entweder im bauphysikalischen Rausch komplett abgerissen werden oder unter einem Einheits-Plastikpullover verschwinden.

Genau dieses Schicksal erleiden zur Zeit die hassgeliebten Bauten aus der Zeit des Brutalismus: Die wuchtigen, aus Sichtbeton zu skulpturalen Gebirgen geformten Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Universitätsbauten, die in den 60er und 70er Jahren vor allem in der Schweiz, den USA und Großbritannien entstanden. Oft als "Betonmonster" geschmäht, waren sie nicht selten progressive baukünstlerische Statements, bautechnisch solide ausgeführt, und funktionell durchdacht. Andere waren als Teil des technokratischen "Bauwirtschaftsfunktionalismus" vor der Ölkrise 1973 tatsächlich vor allem auf maximale Masse aus.

Trotzdem werden auch die besten unter ihnen nicht von der Abrissbirne verschont. Gleichzeitig wächst das Interesse an dieser rauen, charakterstarken Architektur. Handeln ist also geboten, solange die "Monster" noch zu retten sind.