In den Raum greifen: Nachruf auf Zaha Hadid

Mit dem Tod von Zaha Hadid verliert die Architekturwelt eine ihrer schillerndsten Figuren und eine von Mut, Willen und Energie befeuerte Architektur voller überbordender Freude am Raumerlebnis.

Es war nur ein kleines Feuerwehrhaus, doch gefeiert wurde es wie ein Ereignis. Das lang erwartete erste Werk der Architektin Zaha Hadid, 1993 auf dem Gelände des Möbelbauers Vitra im deutschen Weil am Rhein errichtet, war der Start in eine steile Karriere. Die Aura der Berühmtheit hatte die 1950 in Bagdad geborene und in London lebende Kosmopolitin schon vorher umgeben, dank ihrer atemberaubenden, von Kasimir Malewitsch inspirierten Zeichnungen von Architekturen, die den Raum zu biegen und zu sprengen schienen, die selbstbewusst in die Welt hineingriffen. Auch Hadids Feuerwehrhaus mit seinen schiefen, scharfkantigen Betonwänden schien kurz vor dem Auseinanderfliegen zu sein. Dass es für die Feuerwehrmänner nur bedingt benutzbar war - egal. Hier war ein Gebäude, elektrisch aufgeladen vor Vitalität und Energie, das dadurch seine Umgebung veränderte. Es sollten noch viele und größere Bauten nach demselben Credo folgen.

Zaha Hadid war, so schien es damals, und so scheint es jetzt, nach ihrem plötzlichen Herztod vorige Woche in Miami, noch mehr, zum Star geboren. Dennoch hätte 1993 wohl niemand darauf gewettet, dass das Oeuvre der kompromisslosen Künstlerarchitektin 23 Jahre später über 900 Projekte umfassen würde, darunter Dutzende realisierte Großbauten. Großartig, wild und avantgardistisch, aber jenseits des konstruktiv Möglichen schien das damals. Hadids Spuren in der Welt verdanken sich nicht nur ihrem legendären Willen, ihrer Energie und Durchsetzungskraft, sondern auch der Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die ihre schwindelerregenden Geometrien erst baubar machten.

Zaha Hadid war wie gemacht für das Zeitalter der globalen Beeindruckungsarchitektur. Kaum eine Architektin ist so eins mit ihrem Werk geworden wie sie. Die Person Zaha Hadid und ihre Bauten, Möbel und Schuhe verschmolzen zu einer sofort erkennbaren Marke. Bisweilen hat ihr das heftige Kritik eingebracht. Nicht immer zu Unrecht, denn ihre raumgreifenden Wunderwerke funktionierten am besten dort, wo sie auf möglichst wenig Sachzwänge trafen und deckungsgleich mit ihren hochästhetisierten Zeichnungen wurden. Der städtische Kontext, etwa bei ihrem Shoppingcenter Galaxy Soho in Peking, wurde oft breitschultrig beiseite geschoben. Auch wenn sie ihren parametrischen Entwürfen stolz Flexibilität und Anpassungsfähigkeit attestierte, waren ihre Bauten sofort wiedererkennbar. Ein Hadid sah immer aus wie ein Hadid, ob in Istanbul, Miami oder China.

Doch damit war Hadid nicht alleine, und die Vorwürfe, die sie angesichts der Arbeitsbedingungen und Herrschaftsformen in den Regimes ihrer Auftraggeber von Katar bis Aserbaidschan anhören musste, hätte auch zahlreiche andere Kollegen treffen können. Zwar ließ sich Hadid, die 2004 als erste Frau und Muslimin mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, nie als Gallionsfigur vereinnahmen, doch einstecken musste sie dafür einiges.

Wenn sie das verletzte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie hatte keine Zeit für Lamentos, sie hatte schließlich zu tun. Die energische Konsequenz, mit der sie ihre ureigensten Ideen in die Welt setzte, schuf kraftvolle Gesamtkunstwerke wie das glattgeschliffene Beton-Raumschiff des Phaeno-Museums in Wolfsburg, das opulente Opernhaus in Guangzhou und die perfekt proportionierte Schönheit der sahneweißen Kurven ihres Heydar Alijev Centers in Baku. Ihre besten Bauten lassen den Benutzer die reine Freude an der Bewegung durch den Raum erleben: 3D-Kino für den ganzen Körper.

Auch in Österreich hinterließ sie ihre Spuren: Die Studentenwohnungen am Wiener Donaukanal lassen sich zwar als Beispiel für den Sieg der Sachzwänge einordnen und zeigten, dass durchreglementierter Wohnbau und Hadid keine ideale Kombination waren, aber nach diesem Fehlstart folgte eine Reihe buchstäblich herausragender Ikonen: In Innsbruck sind ihre luftig verzwirbelte Bergisel-Sprungschanze und die Glas-Schneewehen der Stationen der Hungerburgbahn zu doppelten Wahrzeichen geworden. In Wien dominiert der in die Luft schießende Bug ihres Library & Learning Centers den WU-Campus.

Neben ihren gebauten Werken beeinflusste Zaha Hadid die österreichische Architektur vor allem durch ihre 15jährige Professur an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo sie als ebenso bewunderte wie gefürchtete Lehrerin auftrat und mit ihrer Aufforderung zu Forschung und Experiment eine Generation von Architekten prägte, die keineswegs zu reinen Hadid-Epigonen wurden. Wie wichtig ihr das Experiment war, zeigte sie 2003 sowohl auf ihrer opulent angelegten Einzelausstellung im Wiener MAK als auch auf der gemeinsam mit ihrem Büropartner Patrik Schumacher kuratierten Ausstellung „Latente Utopien“ in Graz, die österreichische und internationale Architekten – und keineswegs nur solche aus der Star-Liga – versammelte, die sich mit Mut zur Utopie und Veränderung bekannten. Ein Zeichen, dass sie keineswegs als egomanische One-Woman-Show operierte, sondern dass ihr die Weiterentwicklung der Architektur ein grundsätzliches Anliegen war. Dort, wo man ihr den Raum gab, ergriff sie ihn auf großartige Weise. Sie hinterlässt eine deutlich weniger funkelnde Architekturwelt.

 

 

Erschienen in: 
Falter 14/2016, 6.4.2016