Kalte Füße auf glattem Eis

Zurück an den Start: Der umstrittene Turmbau beim Eislaufverein wurde abgesagt. Es bleiben viele Fragezeichen.

Eine Vollbremsung auf spiegelglattem Eis resultiert in der Regel in einem Umfaller. Exakt dieses Manöver legte vorige Woche die Stadt Wien auf dem Areal des Wiener Eislaufvereins hin: Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou verkündete, dass die umstrittene Planung von Developer Michael Tojners Wertinvest und Architekt Isay Weinfelds Hochhausentwurf vom Fachbeirat für Architektur und Stadtgestaltung abgelehnt worden sei, und erteilte der dafür notwendigen Änderung des Flächenwidmungsplans eine Absage. Was als Paarlauf zwischen Stadt und Investor begann, endet nun in einem abrupten Bauchfleck. Es sei, so Vassilakou, für alle Beteiligten eine „Denkpause“ angebracht. Dieser Abpfiff bedeutet jedoch in jedem Fall das Aus für den 73-Meter-Turm. Auf den Zuschauerrängen der Gegentribüne dürften jetzt nicht wenige Sektkorken knallen.

Der Beirat bemängelte vor allem Proportionalität und Höhe der Bauvolumen, die Breite der Verbindung zwischen dem 1. und 3.Bezirk und das Hereinragen der Eisfläche in den Straßenraum – die Lothringerstraße hätte für die Neuplanung verlegt werden müssen, die Fußgänger hätten die Bande der Eisfläche umrunden müssen. Ebenso habe die Strategische Umweltprüfung negative Auswirkungen auf das Stadtbild festgestellt. Zwar sieht die Wiener Bauordnung keine Verpflichtung vor, dem Urteil des Beirats Folge zu leisten, doch eine entgegengesetzte Entscheidung hätte gut begründet werden müssen. Das wäre wohl angesichts der bereits aufgeheizten Debatte äußerst schwierig geworden. Dass der Beirat Projekte negativ beurteilt, ist keine Seltenheit, zuletzt war das Gastrokonzept „Sky and Sand“ auf der Donaukanalwiese nach dessen scharfer Kritik gecancelt worden.

Bemerkenswert ist der Zeitpunkt für die Vollbremsung. Erst im März hatte der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassende Vorbericht der ICOMOS das Projekt als höchst gefährlich für das UNESCO-Weltkulturerbe  Wiener Innenstadt verdammt, ein abschließendes - und erwartbar gleichlautendes -  Urteil ist bei der UNESCO-Tagung im Juli fällig. Die Reaktion der Stadt Wien darauf war mit Spannung zu erwarten, zumal das Bundeskanzleramt Ende März in seinem Antwortschreiben an die ICOMOS knappen Worten beschieden hatte, man gehe davon aus, dass das Projekt sich als konfliktfrei herausstellen würde. Ähnlich zuversichtlich hatte sich auch Maria Vassilakou noch im Frühjahr gegeben.

Das Urteil des Fachbeirats sei Teil des Widmungsverfahrens und habe mit dem UNESCO-Urteil nichts zu tun, heißt es auf Falter-Anfrage aus dem Büro Vassilakou. Auch dass die Absage an den Turmbau zu einem Zeitpunkt kommt, in dem die Kritik aus den eigenen grünen Reihen, vor allem aus dem 1. und 3. Bezirk, immer lauter wurde, sei ein Zufall, und das immer wieder auftauchende Gerücht, es hätte bereits eine Zusage an den Investor gegeben, sei falsch, schließlich könne man die Entscheidung des Gemeinderats nicht vorwegnehmen.

Das mag sein. Allerdings ist es wenig glaubhaft, dass das Urteil des Fachbeirats, dessen teils berechtigte Kritikpunkte seit Verkündung des Wettbewerbsergebnisses von verschiedenen Seiten immer wieder aufgebracht wurden, nun alle überrascht. Dass es der eigenen Basis schwer zu vermitteln ist, dass ausgerechnet die Grünen im Paarlauf ein Investorenprojekt begleiten, schon eher.

Man kann die Kollision auf Glatteis auf zwei Arten deuten: Entweder als Musterbeispiel einer beispielhaft praktizierten Stadtdemokratie mit unabhängigen Entscheidungen unbeeinflussbarer Gremien, oder als Fallbeispiel einer vielköpfigen Stadtverwaltung, in der die Unzahl an Magistratsabteilungen, Stadtbauämtern und Beiräten einen idealen Anlass bietet, im Konfliktfall unschuldig auf den jeweils anderen zu verweisen. Sprich: Unabhängiges Punktrichter-Urteil, oder kalte Füße auf glattem Eis.

Welcher Deutung man nun anhängt, und ob man nun Gegner oder Befürworter des Projektes ist:  Für alle Beteiligten dieses Eistanzes sind 3 Jahre investierte Arbeit verloren. Für eine Neugestaltung bedürfe es jetzt einer breiten fachlichen Grundlage, heißt es aus dem Büro Vassilakou. Doch genau dies war eigentlich das Ziel des kooperativen Verfahrens gewesen, das am Anfang des Ganzen stand.

Der Zweck dieses damals neuartigen Verfahrens war es, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um Expertise zu sammeln und Konflikte rechtzeitig auszuräumen. In vielen Fällen, etwa beim Sonnwendviertel, hat diese Methode seither sehr gut funktioniert. Beim Eislaufverein ist sie gescheitert, obwohl Vertreter der Architektenschaft, der Stadtverwaltung, des Investors, der UNESCO und des Denkmalschutzes beteiligt waren. Zukünftige Investoren werden sich gut überlegen, ob sie sich eine solche Tour de Force antun.

Und der Intercont-Investor? Der wurde von der Vollbremsung überrascht. Man könne noch nicht abschätzen, wie es nun weitergehe, so Wertinvest-Geschäftsführerin Daniela Enzi, man erwarte sich aber konkrete Vorgaben der Stadt Wien. In der Tat hat es solche seither kaum gegeben. Wenn es eine Lektion aus diesem dreijährigen Manöver gibt, dann vielleicht diese: An sensiblen Orten wie der Glacis reicht eine Stadtplanung, die nur moderiert, um sich bei starkem Gegenwind wieder zurückzuziehen, nicht aus.

Nicht nur ein Investor braucht klare Vorgaben, auch eine Stadt braucht sie. Davor scheut man in Wien seit jeher zurück: Sowohl die sich oft nach schmerzfreiem Konsens sehnenden Grünen, als auch eine Baukultur, in der Städtebau historisch bedingt schon immer architektonisch-künstlerisch gesehen wurde, mit der kuriosen Ansicht, stadtplanerische Grenzen würden architektonische Qualität und künstlerische Freiheit ruinieren.  Will man in Zukunft solch verschwenderisch sinnlose Leerlauf-Runden vermeiden, braucht es von Seiten der Stadt einen mutigen Schritt aufs Eis.

 

Erschienen in: 
Falter 20/2016, 18.05.2016