Der Stadtsoziologe Jens Dangschat erklärt, was die Architektur für die Integration leisten kann
Städte leben von der Zuwanderung. Doch wie und wo in der Stadt funktioniert die Integration – und wo nicht? Im Gemeindebau, im öffentlichen Raum oder doch besser im Containerdorf irgendwo im niederösterreichischen Gewerbegebiet? Wie sichtbar oder unsichtbar soll das Fremde in der Stadt sein? Auch in der Architektenschaft wird engagiert nach Lösungen gesucht.
Der Soziologe Jens Dangschat forscht seit langem zum Zusammenleben in Städten und erarbeitet zurzeit mit seinen Studenten an der TU Wien Ideen zum Thema "Zuwanderung, Flucht, Identität und öffentlicher Raum". DER STANDARD traf ihn im Mobilen Stadtlabor der TU Wien, das derzeit auf einer asphaltierten Brachfläche in St. Marx Station macht.
Die Stadt an sich gilt seit jeher als "Integrationsmaschine" für Zuwanderer. Kann sie diese Rolle heute angesichts der emotionalen Flüchtlingsdebatten noch erfüllen?
Dangschat: So einfach ist es nicht. Die Stadt war immer nur dann eine Integrationsmaschine, wenn der städtische Arbeitsmarkt Leute brauchte. Aber im Moment gehen Stadtgesellschaft, Stadtpolitik und der städtische Arbeitsmarkt auf diese Leute nicht gerade mit offenen Armen zu. Der bezahlbare Wohnraum wird immer knapper, dazu kommen Verteuerung und Gentrifizierung. Noch schwieriger wird es, wenn die Stadtgesellschaft nicht mehr urban, offen und neugierig ist und sich gewissen sozialen Gruppen gegenüber skeptisch zeigt. Im Moment ist die Integrationskraft der Städte ins Straucheln geraten.
Ist diese Skepsis berechtigt?
Dangschat: Sie ist psychologisch verständlich. Es gibt gefühlte Unsicherheiten, die ineinander verschwimmen. Wenn der Bewohner, der im Gemeindebau auf seinem Balkon sitzt, private Probleme hat, vielleicht sein Fußballverein gerade verloren hat und dann noch eine türkische Familie auf der Wiese grillt, ist das nicht gerade ein Klima, in dem er tolerant sein will. Das sieht man beispielhaft am Wählerwechsel von der SPÖ zur FPÖ im Gemeindebau.
Gleichzeitig protestieren auch die Bewohner von Nobelvierteln, etwa im Hamburger Villenvorort Blankenese, gegen den Bau von Flüchtlingsquartieren. Woran liegt das?
Dangschat: Es ist einfach, sich auf Facebook engagiert zu zeigen, aber wehe, die neuen Zuwanderer rücken mir wirklich nahe! Dann geht es sofort um Grundstückspreise, und das Einzelkind wird schnell auf die Privatschule geschickt und in Sicherheit gebracht. Die Ober- und Mittelschicht zündet zwar nichts an, aber es wird natürlich gleich der Anwalt angerufen. Doch es gibt auch Gegenbeispiele: In Hamburg gab es großen Widerstand gegen Flüchtlingsbauten, mit Argumenten wie "Ich als Familienvater!", und Baustopps. Dann sind die Schüler auf die Straße gegangen und haben sich gegen die Peinlichkeit ihrer Eltern gewehrt. Das fand ich großartig! Die jüngere Generation ist oft viel aufgeschlossener, gerade bei den etablierten Mittelschichten.
Seit der Agora im antiken Athen ist der öffentliche Raum in der Stadt der Ort für die Begegnung mit dem Fremden. Kann dieser die Rolle der Integrationsmaschine übernehmen?
Dangschat: Unser Bild von der griechischen Agora ist ja eine sehr bildungsbürgerliches. Damals durfte gerade mal ein Zehntel der Bewohner dort mitdiskutieren. Das Ideal der europäischen Stadt ist: öffentliche Räume mit wenig Kommerz, in denen sich die Bürger anständig verhalten. Das ist unsere Vorstellung vom souveränen Citoyen.
Kann die Architektur und Stadtplanung durch die Gestaltung von Straßen und Plätzen einen Beitrag leisten?
Dangschat: Den Glauben vieler Architekten, dass man mit einer guten Gestaltung soziale Kohäsionsprozesse in Gang setzen kann, halte ich für überzogen. Natürlich sind gut gestaltete öffentliche Räume mit Aspekten wie Beleuchtung und Transparenz notwendig, aber sie reichen nicht aus. Als Architekt kann ich das Bühnenbild entwerfen, aber ich schreibe nicht das Drehbuch und ich kann auch niemandem eine Rolle zuschreiben. Ich kann dieses Bühnenbild zwar so gestalten, dass klar wird, was auf diesem Platz zu passieren hat, aber dieser Determinismus funktioniert nicht. Das kann leicht ins Gegenteil umschlagen. Einen großen Platz für alle zu bauen, ist nicht unbedingt immer das Richtige. In manchen Fällen ist es vielleicht sogar besser, eine Mauer zu bauen, damit sich die Leute aus dem Weg gehen können.
Das klingt recht defensiv.
Dangschat: Wir haben diese Fragen in einer Studie für die Stadt Wien untersucht, mit der Erkenntnis: Toleranz bedeutet, die Nähe zu den anderen selbst bestimmen zu können. Das heißt, man kann einerseits den öffentlichen Raum benutzen, aber auch aus den Kulissen auf die Szenerie schauen. Man kann die Leute nicht zur Beteiligung zwingen. Damit das funktioniert, braucht es die Selbstverständlichkeit der europäischen Urbanität.
Das heißt?
Dangschat: Das heißt, dass die verschiedenen Gruppen zumindest aneinander vorbeispazieren und Sichtkontakt haben. Man muss nicht mit allen reden, man muss sich nicht um den Hals fallen, aber die anderen gewähren lassen und sich anständig verhalten. Ideal wäre es, wenn der öffentliche Raum so flexibel wäre, dass man sich ihn aneignen kann. Dann kann aus den zivilen Parallelgesellschaften Integration erwachsen.
Stichwort Parallelgesellschaft: Hier wird oft der Vorwurf der Ghettobildung laut, andererseits leben Zuwanderer weltweit in Chinatowns und Little Italys. Welche städtische Verteilung ist denn am besten für die Integration?
Dangschat: Es ist völlig logisch, dass die Zuwanderer dorthin gehen, wo ihre sozialen Anknüpfungspunkte sind, ihre Verwandten und Nachbarn. Das deckt sich auch mit allen soziologischen Theorien. Man schließt sich zusammen mit denen, die schon länger da sind und einem sagen können, wie man sich durchschlägt, wo man einen Job bekommt, wie man Behördengänge absolviert. Das ist auch insofern hilfreich, als andere kulturelle Verhaltensweisen so erst einmal aufgefangen werden. Dann erst kommt die Stadt als Integrationsmaschine mit den Aspekten Sprache, Bildung und Arbeitsmarkt ins Spiel. Wenn dieser Arbeitsmarkt schon belastet ist, muss man eben andere Möglichkeiten finden.
Welche?
Dangschat: Selbstversorgung zum Beispiel. Das sind eher informelle städtische Räume, die müssen gar nicht durchgeplant sein. Bei uns gibt es das in Form von Urban Gardening oder Food-Kooperativen, und die Zuwanderer kennen ähnliche Formen aus ihren Herkunftsländern. Es muss ja nicht gleich die Ziege in der Wohnung stehen, aber eine gewisse Selbstversorgung zuzulassen, wäre eine Möglichkeit.
Nicht zuletzt, weil viele der Migranten aus selbstständigen Berufen kommen.
Dangschat: Ja, aber wir hindern sie daran, ihren Beitrag zu leisten: Sie warten auf den Asylbescheid, haben aber Energie und wollen etwas Sinnvolles machen. Die wollen nicht herumgammeln! Vielleicht funktioniert das über informelle Selbstversorgung, aber so etwas wird, gerade in Österreich, sofort paternalistisch kontrolliert. Da werden sofort zehn Regeln aufgestellt, was man auf diesem Territorium machen darf. Auf der Donauinsel grillen alle Nationalitäten – aber wehe, man meldet sich nicht ordentlich an für Picknickplatz Nummer 27/6!
Lassen sich diese informellen Räume planen?
Dangschat: Ich denke schon! Das geht sogar bei Bauträgerwettbewerben. Man muss ja auch nicht jeden Freiraum landschaftsplanerisch bis ins letzte Eck durchgestalten. Man muss Aneignung ermöglichen und schauen, wo es temporäre Räume gibt. (Deutet aus dem Fenster.) So wie diese Brachfläche hier!