Wer macht hier Schule?

Das Wiener Schulmodell „Campus plus“ ist mit großem Erfolg gestartet. Doch jetzt gehen die Architekten auf die Barrikaden und rufen zum Boykott auf. Der Grund: Public Private Partnerships

Fünf Jahre ist es her, da rieb sich die Wiener Architektenschaft die Augen. So etwas hatte man noch nie gesehen. Was die Stadt Wien beim Wettbewerb für den Bildungscampus im Sonnwendviertel alles auflistete, kam einer Revolution gleich: Kein Frontalunterricht, keine Normklassenzimmer, kein „Eh scho immer so gmacht“, stattdessen ein kluges und detailliertes Bildungskonzept fürs 21. Jahrhundert. Es war, als habe ein träger Supertanker plötzlich einen eleganten Salto hingelegt. Allenthalben wurde die beispielhafte Zusammenarbeit zwischen Architekten, Schulbetreibern und der Stadt gelobt. Und das genau zur rechten Zeit, in der Wiens Einwohnerzahl rapide wächst und die Stadtentwicklungsgebiete von Atzgersdorf bis Aspern neue Schulen brauchen.

Zeitsprung ins Jahr 2015: Ein Kind zieht ein trotziges Schnoferl, darüber der Satz: „Ich will nicht auf die Investorenschule!“ Entworfen wurde das Plakat vom Architekturbüro FRANZ, und dieses Plakat war es, das die Architekten 2015 beim Wettbewerb für den Bildungscampus in der Donaustädter Berresgasse einreichten. Ein lupenreiner Boykott, und eine koordinierte Aktion: Von 88 Einreichungen waren 55 ungültig. Eine solche Aktion hatte es bisher nie gegeben. Schließlich verzichteten die protestierenden Architekten hier auf einen möglichen lukrativen Großauftrag.

Ende Jänner 2016: Der nächste Wettbewerb steht an, dieses Mal für den Bildungscampus Nordbahnhof II. Hier soll in den kommenden Jahren auf rund 2,3 Hektar Brachfläche ein Campus für 1600 Kinder entstehen. Wieder kommt es zu einem breiten Boykott der Architektenschaft. Darunter auch Büros, die bereits städtische Schulen geplant haben. Nicht nur das: Auch namhafte Experten wie Christian Kühn, Architekturkritiker und Dekan an der TU Wien, haben inzwischen ihren Rückzug aus den Jurys der Wiener Schulwettbewerbe erklärt.

Die rosige Zukunft einer Wiener Bildungsrevolution, in der alle an einem Strang ziehen, hat sich verdunkelt. Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort hat drei Buchstaben: PPP. Das Kürzel steht für „Public Private Partnership“: ein Konstrukt, das vom ersten Moment an ein Zankapfel war. Kurz gesagt geht es um Folgendes: Die Maastricht-Kriterien der EU und der 2012 zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgeschlossene Österreichische Stabilitätspakt verbieten den Kommunen ab 2016 die Neuverschuldung. Konnte die Stadt Wien bisher die kompletten Kosten für eine neu zu errichtende Schule ins Jahresbudget aufnehmen, muss man sich jetzt etwas anderes überlegen.

Hier kommt das Modell PPP ins Spiel: Die Stadt vergibt den Auftrag an einen privaten Partner, der die Schule nicht nur baut, sondern auch für 20 bis 30 Jahre betreibt, Glühbirnenwechsel inklusive. Die Stadt zahlt lediglich die jährliche Miete, die sich im Jahresbudget bequem unterbringen lässt.

Klingt ja eigentlich ganz vernünftig, aber das im Thatcher-England der 80er-Jahre entwickelte Modell PPP hat seine Tücken. Der deutsche Bundesrechnungshof kritisierte Milliardenmehrkosten bei öffentlich-privaten Autobahnprojekten, und selbst im britischen Mutterland klagte der Haushaltsausschuss, dass diese Projekte wenig wirtschaftlich und die Berechnungen geschönt seien.

Auch das Wiener Campus-Modell hat einen holprigen PPP-Start hingelegt: Der ersten PPP-Schule, dem 2010 fertiggestellten Gertrude-Fröhlich-Sandner-Campus am Nordbahnhof, hat die Prüfbehörde Eurostat jetzt attestiert, dass der Vertrag zwischen Stadt und Investor die Kriterien des Stabilitätspakts nicht erfüllt. Kein gutes Omen. Die rote Wiener Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka, aus deren Büro das Campusmodell stammt, kontert gelassen: „Wir lernen von einem Projekt zum nächsten. Der Vertrag zum Gertrude-Fröhlich-Sandner-Campus wurde vor rund sieben Jahren abgeschlossen. Seither hat Brüssel die Auslegungen geschärft.“ Aber was ist es nun, das die Wiener Architekten so auf die Barrikaden treibt? „Wir sind überzeugt, dass die öffentliche Hand ihre Aufgaben als verantwortungsbewusster Bauherr wahrnehmen muss“, sagt Protest-Mitinitiator Robert Diem von FRANZ Architekten. „Durch PPP-Projekte wird der Gestaltungsspielraum von Bauherrn und Planern massiv eingeschränkt, die Qualität der zukünftigen Schulbauten beeinträchtigt.“

Das Problem: Die Kriterien des Stabilitätspakts schreiben vor, welche Risiken der private Partner tragen muss. Mit dem Ergebnis, dass Architekten nicht mehr mit dem ganzen Leistungsumfang beauftragt werden können. Konnten diese, wie noch beim Bildungscampus Sonnwendviertel, alle Details bis hin zu den Schulmöbeln entwerfen, ist nun mit der Einreichsplanung Schluss. Ein privater Errichter denkt vor allem an seine eigene Wirtschaftlichkeit. Ist diese mit dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Bildungseinrichtung, die zudem weit länger als 30 Jahre funktionieren muss, vereinbar? Ist es nicht, war man sich bei der Architektenkammer sicher, und suchte nach Alternativen.

Ein Jahr lang setzte man sich mit Vertretern der Stadt Wien zusammen, um einen Ausweg zu finden. Im Herbst 2015 wurden die Verhandlungen ohne Einigung beendet. „Die Stadt argumentiert, dass eine Beauftragung von Architekten über die Einreichplanung hinaus nicht Maastricht-konform wäre. Das haben wir aber in einem mühsamen Prozess innerhalb des letzten Jahres widerlegt“, sagt Architektenkammer-Vizepräsident Bernhard Sommer. Das Verhältnis zwischen Architekten und der Stadt scheint an einen Tiefpunkt angelangt. Im September 2015, kurz nach dem Scheitern der Gespräche, verlieh die Interessengemeinschaft IG Architektur der Stadt Wien für ihre PPP-Politik den „Planlos Award“.

Haben die Architekten nur Angst, ihr Auftragsvolumen zu verlieren? Keinesfalls, betont Bernhard Sommer. PPP-Modelle seien gesamtgesellschaftlich falsch und obendrein 20 bis 30 Prozent teurer als gedacht: „Wenn man dem PPP-Nehmer für Wagnis und Gewinn nur ein Prozent pro Jahr zugesteht, dann sind das eben nach einer Laufzeit von 25 Jahren 28 Prozent Mehrkosten. Ein Gewinn, den die öffentliche Hand nicht macht. Und ein Wagnis, das, so zeigen es viele Problemfälle, im Ernstfall erst recht wieder die öffentliche Hand trägt.“

Noch dazu, sagt Sommer, seien die oft enorm umfangreichen PPP-Verträge der öffentlichen Kontrolle entzogen. „Am Ende verdienen daran die Juristen und es werden Gerichte beschäftigt. Geld, das man besser in das Projekt, in die Planung und durchaus auch in die Ausführung gesteckt hätte.“ Eine schleichende Privatisierung der Demokratie also? Immerhin hat sich die Stadt Wien in ihren 2005 formulierten „baukulturellen Leitsätzen“ zur Transparenz verpflichtet.

Brigitte Jilka winkt ab: „Dass PPP-Modelle der demokratischen Kontrolle entzogen sind, ist für Wien schlicht und ergreifend auszuschließen. Jeder PPP-Vertrag muss durch den Gemeinderat.“ Versteht sie den Unmut der Architektenschaft? „Ich verstehe die Skepsis gegenüber dem Modell. Hier bestehen aber noch sehr viele Missverständnisse. Von einem Verzicht auf Qualität oder einer Privatisierung des Schulwesens kann keine Rede sein.“ Es bestehe überdies auch gar kein Zwang zur Durchführung von PPP-Projekten. Falls die Haushaltslage es erlaube, sei auch eine konventionelle Finanzierung möglich, meint Jilka. „Im Jahr 2018, wenn der nächste Campus an der Reihe ist, sieht die Bilanz vielleicht ganz anders aus, und man kann wieder über Kredite finanzieren. Das ist aber eine Entscheidung des Finanzressorts.“

Der auf Architektenrecht, Liegenschafts- und Immobilienrecht spezialisierte Rechtsanwalt Hannes Pflaum von der Kanzlei Pflaum Karlberger Wiener Opetnik beschäftigt sich seit langem mit dem Thema und sieht das kritischer: „Dass der erste Campus nicht als konform mit den Kriterien des Stabilitätspakts anerkannt wurde, führt zu einer extrem hohen Unsicherheit.“ Zusätzlich sei durch den Zwang, alle Anforderungen der nächsten 20 Jahre schon im PPP-Vertrag festzuschreiben, jegliche Flexibilität ausgeschlossen. „In den letzten Jahren hat sich das Bildungswesen extrem verändert. Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Das heißt, jeder Schulbau braucht Raum für Veränderungen. Das ist mit PPP nur möglich, wenn alle Eventualitäten vertraglich geregelt werden. Diese Verträge sind oft tausende Seiten lang, mit entsprechend hohen Kosten.“ Das Ziel, jede Neuverschuldung zu vermeiden, sei schlicht nicht umsetzbar. „Schulen zu bauen und gleichzeitig den Stabilitätspakt einzuhalten – das geht nicht auf“, sagt Pflaum.

Sind Public-Private-Partnerships also an sich böse oder nur für eine gesellschaftliche Grundausstattung wie Bildung, Kultur oder auch Krankenhäuser ungeeignet? „Man sollte PPP nicht an sich verteufeln“, sagt Rechtsanwalt Hannes Pflaum. „Bei Infrastrukturprojekten kann das sehr sinnvoll sein. Ein Prüfen von Fall zu Fall fände ich gesamtgesellschaftlich viel sinnvoller.“ Architekt Robert Diem ist weniger kompromissbereit: „Wir lehnen PPP aus gesellschaftspolitischen Gründen grundsätzlich ab. Bei baukulturell weniger sensiblen Bauaufgaben wie Autobahnen oder Tunnelbauwerken wäre das Modell im Zweifelsfall noch akzeptabel, obwohl wir auch hier keinen tieferen Sinn außer dem kurzfristigen Erfüllen von Budgetzielen erkennen können.“

Man könnte sich bei all dem auch fragen: Wenn Stadtbaudirektorinnen, Architekten und Juristen sich monatelang über Finanzierungsmodelle austauschen müssen, wo sie doch eigentlich viel lieber über Bildung und Baukultur reden würden, haben sich die Prioritäten offensichtlich verschoben. Ist es in einer heute so dynamisch wachsenden (und, nebenbei gesagt, äußerst kreditwürdigen) Stadt wie Wien überhaupt sinnvoll, sich in den Entwicklungsmöglichkeiten derart selbst zu beschneiden? Sind die Schulen im Stabilitätspakt wirklich so gut aufgehoben? Bernhard Sommer empfiehlt, auf höherer Ebene anzusetzen: „Wir verstehen nicht, dass Wien, das ja als eine der größten Städte Europas doch einiges Gewicht haben müsste, nicht mehr Druck auf Brüssel ausübt, die Maastricht-Kriterien abzuändern.“

Auch bei der Stadt scheint man nicht so ganz glücklich mit der Privatisierungsschiene zu sein. Bürgermeister Häupl äußerte bereits den Wunsch, man solle zumindest das Bildungswesen aus dem Stabilitätspakt herausnehmen, und auch Vizebürgermeisterin Renate Brauner sagte im August 2014: „Der Stabilitätspakt würde uns ab 2015 wichtige Zukunftsinvestitionen deutlich erschweren, ab 2016 teilweise verunmöglichen.“ Deshalb sei es wichtig, dass einer wachsenden Stadt nicht finanziell die Hände gebunden würden, sondern im Stabilitätspakt Ausnahmen für langfristige Investitionen festgeschrieben werden.

Vielleicht hilft hier ein Blick über die Grenzen. Europäische Städte, deren Bevölkerung stark wächst und die ihre Schulen und ihre Infrastruktur ebenso schnell ausbauen müssen, gibt es genug. Auch dort ringt man mit denselben Problemen und hat einschlägige Erfahrungen gemacht: Nachdem das chronisch finanzknappe Berlin seine Wasserwerke für 1,6 Milliarden Euro verkauft hatte, entließ der Investor prompt 2000 Mitarbeiter und erhöhte die Wasserpreise auf Rekordniveau. Auf Ebene der europäischen Städtesolidarität werde bereits einiges getan, bekräftigt Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka: „Bürgermeister und Vizebürgermeisterin sind hier die Speerspitzen in den Städtenetzwerken.“

Sollte sich herausstellen, dass das PPP-Modell wirklich von niemandem gewollt ist, könnte es auch in Wien zur großen Versöhnung kommen: wenn sich Architekten, Ingenieure und Mitarbeiter der Stadtverwaltung zur gemeinsamen Sitzblockade nach Brüssel aufmachen.

 

Erschienen in: 
Falter 6/2016, 10.02.2016