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Das "Neunerhaus " in Wien bietet Obdachlosen ein Zuhause auf dem Weg in die Normalität. Mit Architektur, die mehr ist als nur Norm

Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben", sagt Ernst S. und blickt aus seinem Fenster im dritten Stock in den Hof. Gut, er sei zwar ein Naturmensch, deswegen habe er kurz gezögert vor dem Einzug im April. Viel Grün gibt es nicht auf der Eckparzelle im dritten Bezirk. Aber der Prater ist nur wenige hundert Meter entfernt. Zum Angeln fährt er zum Wienerbergteich.

Ein Tisch, zwei Stühle, Bett, Regal, Küchenzeile, 25 Quadratmeter – eine der 73 Wohnungen im "Neunerhaus", das Ende Juni eröffnet wurde. Nicht lange ist es her, da wohnte der heute 58-Jährige ganz anders. Vier Jahre lang auf einem Dachboden, im eisigen Winter unter mehreren Decken, im Sommer war es brütend heiß. Seine Papiere wurden gestohlen, von einem Überfall trägt er noch eine Narbe. Heute hat er sein eigenes Reich hinter seiner eigenen Tür – im wohltemperierten Passivhaus. "Es ist schön ruhig hier."

Da ist sie nun: Die Falter-Beilage "Wie Wien wird", mit 64 Seiten zum Thema Stadtplanung. Die Fragen, wo, warum und wie Wien zur Zweimillionenstadt wird, wie Wien wurde (und nicht wurde), wie Wiener wohnen, welche Personen die (Wiener und weltweite) Stadtplanungsgeschichte prägten und warum, was Stadtplanung überhaupt ist und was sie vom Städtebau unterscheidet, was das Wesen Weltstadt heute bewegt (von G wie Grün bis G wie Gentrifizierung), all das und mehr wird beantwortet in den Texten der fantastischen Autorinnen und -oren Wojciech Czaja, Matthias Dusini, Gottfried Pirhofer, Sabine Pollak, Elisabeth Postl, Elke Rauth, Andreas Rumpfhuber, Manfred Russo, Manfred Schenekl, Hannah Schifko und Dietmar Steiner - und von Armin Thurnher und mir, die das Ganze konzipiert haben. Nicht zu vergessen ein 10seitiges Streitgespräch zum Thema "Wiener Stadtentwicklung" im Spannungsfeld zwischen Investoren, Weltkulturerbe und Wohlstand für alle - mit Gabu Heindl, Christian Kühn, Reinhard Seiß, Silja Tillner und dem Wiener Planungsdirektor Thomas Madreiter.

Die Geschichte eines weggeshitstormten Basketballkorbs - und was man daraus über unser Stadtverständnis lernen kann.

Wer kennt sie nicht, die versonnenen Blicke mitteleuropäischer Touristen, wenn sie in atmungsaktiven Partnerlookjäckchen kurzurlaubend durch mediterrane Städte schlendern. Die engen Gässchen, wäscheleinenüberspannt wie in einem 50er-Jahre-Film, hier das Kätzchen, dort die knopfäugig-fotogenen herumtollenden Kinder, und schau nur, dort oben schreien sich zwei Frauen aus ihren Fenster über die Gasse den neuesten Klatsch zu. Kann Urbanität noch pittoresker sein?

Mit Gigabytes voller Nahaufnahmen südlichen Straßenlebens und patinös abblätternder Fassaden auf der Speicherkarte kehrt man zurück in die Heimat - um dort wieder auf der Eigenparzelle hinter blickdichten Zwei-Meter-Thujenpalisaden über dem Ulrich-Seidl-Keller in Deckung zu gehen, und sollte die Nachbarin herüberschreien, wird per Mail mit dem Anwalt gedroht. Urbanität ja, aber bitte nicht zu Hause.

Zugegeben, wir haben hier herzhaft in den Klischeetopf gegriffen, und doch bleibt festzuhalten: Urbanität bedeutet vor allem: Konfrontation mit dem Fremden, Unbekannten und Überraschenden. In der Stadt endet die Privatheit nicht am Jägerzaun, sondern in der Regel an der Wohnungstür. Was davor ist, ist Verhandlungssache.

Wien wächst, und das findet nicht jeder gut. Schon lange wurde nicht mehr so heftig über Stadtentwicklung gestritten wie jetzt. Die Hochhausdiskussionen sind dabei nur ein Schauplatz von vielen.

Schreiduelle auf Pressekonferenzen, hitzige Debatten online und offline, gekündigte Freundschaften und ein Stadtrat, der über die immergleichen Diskussionen stöhnt. Nicht nur in Öffentlichkeit und Onlinekommentaren, auch unter Architekten wurde schon lange nicht mehr so heftig über ein Thema gestritten wie zurzeit über die Wiener Stadtentwicklung. Und nein, es geht dabei nicht um die Verkehrsberuhigung einer gewissen Einkaufsstraße. Der Streit um die Stadt entzündet sich nicht am horizontalen Pflaster, er kreist um die Vertikale. Man fühlt sich bisweilen an die Urmenschen erinnert, die in Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ aufgeregt um den schwarzen Monolithen tanzen – keiner weiß, warum.

Die Wiener Monolithen stehen an Donau und Wienfluss. Das heißt, ob sie dort stehen werden oder nicht, ist genau das, was debattiert wird. Da sind zum einen die Danube Flats, der von Investor Soravia Group und Project A01 Architekten geplante, rund 150 Meter hohe Wohnturm an der Reichsbrücke. Nicht nur eine Bürgerinitiative aus Bewohnern des benachbarten Harry-Seidler-Turms, sondern auch die Architektenkammer kritisiert das Projekt: Deren Stellungnahme zur Änderung des Flächenwidmungsplans im Dezember ließ kaum ein gutes Haar am Verfahren. Keiner der städtebaulichen Pläne habe an dieser Stelle je ein Hochhaus vorgesehen, die Begründung für die Aufzonung sei unzureichend und offensichtlich rein auf die Interessen des Investors zugeschnitten.

Dabei ist die Debatte um die Danube Flats noch relativ verhalten. Kritisiert wird weniger das Hochhaus an sich – derer gibt es auf der Donauplatte schließlich reichlich – als die defensive Haltung der Stadt gegenüber dem Investor. Feuriger geht es in Sachen Hochhaus beim Eislaufverein zu: Seit dem Wettbewerbssieg des Entwurfs von Isay Weinfeld für die Erweiterung des Intercont-Hotels strebt jede Diskussion um Stadtentwicklung früher oder später auf dieses Aufregerthema zu. Auch hier waren Architekten als Teilnehmer und als Protestierer involviert: Im Mai 2013 schickten sie einen offenen Protestbrief an die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou mit vielen offenen Fragen, vor allem der, warum das private Interesse eines Investors plötzlich ein so dringendes öffentliches geworden sei.

Von wegen Schlafstädte: Ein Blick auf die transdanubischen Plattenbausiedlungen der 1960er-Jahre zeigt erstaunliche urbane Qualitäten

„G’hörn Sie zu der Siedlung?“, fragt die forsche ältere Dame mit dem Dalmatiner und schaut das Besuchergrüppchen kritisch-neugierig an. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn Christoph Lammerhuber und Manfred Schenekl, an die sich die Frage vor allem richtet, wohnen zwar nicht hier in der weitläufigen Gemeindebau-Wohnanlage an der Siebenbürgerstraße in Wien-Donaustadt, aber sie kennen die Siedlung gut. Die Dame mit dem Dalmatiner kennen sie auch schon. Sie wohnt seit Anfang an hier, wie sie mit grätzelpatriotischem Stolz erklärt, und beobachtet alles, was sich tut, genau. Für den Skaterpark hat sie sich eingesetzt, auch das neue Fußballfeld für die Jugendlichen findet sie gut. Nur die neuen Sitzbänke seien nicht ordentlich verarbeitet, „da reißt man sich an den Schrauben die Kleidung auf“.

Lammerhuber, Architekt beim Wiener Büro pool architects, und der Historiker Schenekl analysieren schon seit längerem im Auftrag der MA 50 (und im Auftrag ihrer eigenen Leidenschaft) die in die Jahre gekommenen Großsiedlungen der 1960er-und 70er-Jahre, insbesondere die transdanubischen. „Inzwischen bräuchten wir schon eine Dienstwohnung, so oft sind wir hier unterwegs“, sagt Lammerhuber.

Es ist an der Zeit, eine Lanze für den Beruf der Landschaftsarchitekten zu brechen: Wie kaum eine andere Berufsgruppe wird ihre Existenz oft und gerne verschwiegen, dabei ist es einer der schönsten Berufe überhaupt. Auch bei der Neugestaltung der Mariahilfer Straße braucht es einiges an Detektivarbeit, bis man herausfindet, wer die Idee für die neuen Möbel hatte, die jetzt nach und nach die Fußgänger- beziehungsweise Begegnungszone befüllen. Auch auf den offiziellen Verlautbarungsseiten findet sich kein Hinweis. Fast sollte man meinen, die Stadt Wien hätte sich das alles selbst ausgedacht.

Dabei handelt es sich bei den Planern nicht um Unbekannte. Bureau B+B heißt das Unternehmen aus Amsterdam, das – gemeinsam mit dem Büro Orso.Pitro – 2013 den Wettbewerb für die neue Mariahilfer Straße gewann. Die Leute vom Bureau B+B zählen in Holland zu den angesehensten und erfahrensten Landschaftsarchitekten und haben zahlreiche Plätze, Straßen und Parks gestaltet.

Wiens Hauptbahnhof ist mehr oder weniger eröffnet. Eine Kathedrale will er nicht sein. Aber ist er mehr als nur eine Haltestelle mit einem Dach darüber und einem Shoppingcenter darunter? Leider nein.

Bevor wir anfangen, eine grundsätzliche Frage: Ist eine Architekturkritik angebracht, wenn der betreffende Bauherr darauf besteht, dass der Bau, um den es geht, gar keine Architektur sei? Dass ein Resultat technischer Notwendigkeiten und wirtschaftlicher Flächenverwertung eben nur genau dies sei, und nicht mehr? Wenn wir diese Frage mit Nein beantworten, können wir an dieser Stelle aufhören und uns anderen Dingen widmen. Der Oktober ist ja nach dem schlimmen Sommer wieder recht schön sonnig geworden, nicht?

Nun handelt es sich in diesem Fall allerdings um den Hauptbahnhof einer bedeutenden europäischen Hauptstadt. Die Hauptstadt heißt Wien. So einfach ist die Sache also nicht. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Hauptbahnhof ein Gebäude darstellt, werden wir uns mit seiner Architektur zu beschäftigen haben. Vergangenes Wochenende wurde dieser Hauptbahnhof offiziell eröffnet. Mehr oder weniger – denn Züge fahren ihn schon seit 2012 an, der nächste Fahrplanwechsel ist erst im Dezember, und der Vollbetrieb mit 100 Zügen pro Tag wird überhaupt erst in zwei Jahren erreicht. Der Bahnhofsbau selbst ist aber schon fertig, und um diesen soll es gehen.

Goodbye, Normklassenzimmer: Der Bildungscampus im Sonnwendviertel gilt als Revolution des Wiener Schulbaus. Jetzt ist er fertig. Eine erster Rundgang durch die neue Pädagogik.

Beginnen wir mit einem kleinen Selbstexperiment: Erinnern Sie sich an die Schulgebäude, nein, besser noch, an die besten Spielplätze Ihrer Kindheit. Was machte sie so ideal zum Spielen? Hand aufs Herz: Sicher nicht die Tatsache, dass sie rot, gelb und blau angemalt waren. Viel wichtiger: Die räumliche Vieldeutigkeit. Das Klettergerüst war ein Indianerfort, aber auch ein Raumschiff, zehn Minuten später der Palast von Marie Antoinette, gleichzeitig auch die Stelle, wo man beim Fangespielen sicher war. Welche Farbe das Klettergerüst hatte, war komplett wurscht. Neugier und Lernen braucht nicht Farbe, sondern Raum.

Aber so wie man die Episoden der Kindheit gerne vergisst, werden auch ihre Qualitäten oft ignoriert, was unseren Spielplätzen die Möblierung mit buntem, aber sinnlosem Wippgeflügel beschert hat, das nichts anderes kann als wippen. In den Schulen kam jahrzehntelang weder Farbe noch räumliche Spannung auf, dank seit dem 19.Jahrhundert gesetzlich festgelegter Normklassenzimmer mit Normbänken, Normtafeln und Normwaschbecken. Etwas anderes als Normunterricht war hier nur mit Mühe zu realisieren.

Dabei war man schon einmal weiter: In der Aufbruchstimmung der 1960er und 1970er Jahren wurde mit neuen Lern- und Raummodellen experimentiert. In den Niederlanden waren dies die offenen Lernlandschaften des humanistischen Architekten Herman Hertzberger; in Österreich die Bauten von Ottokar Uhl oder die reformpädagogische Stadt des Kindes von Anton Schweighofer. Es blieben Experimente. Erst in den letzten Jahren ist so etwas wie die zweite Welle des innovativen Schulbaus zu verzeichnen: Die Schule im dänischen Hellerup, zwei Jahre lang von einem interdisziplinären Team ausgetüftelt, die komplett auf Klassenzimmer verzichtet, wurde ein weltweit beachtetes Vorzeigeobjekt. Bewegung, Projektunterricht, klassenübergreifendes Lernen anstatt Frontalunterricht.

Der Wettbewerb fürs Wiener Hotel Intercontinental ist entschieden: Am Eislaufverein soll ein 73-Meter-Turm stehen. Vorher sind allerdings noch einige Fragen zu klären.

Ein Haus in den besten Jahren: Im März feiert das Hotel Intercontinental seinen 50.Geburtstag. In der Jubiläumsbroschüre schwelgt man in Fotos aus der Originalzeit, deren Interieurs in der Tat dem interkontinentalen Anspruch gerecht wurden: Ein luftiges Foyer mit klaren Linien und eleganten Sesseln, kurvige Cocktailbars fürs Jet-Set. Leider wurde der internationale Stil inzwischen durch eine "teuer" meinende, aber billig aussehende Kronleuchter-Messing-Melange Marke "Arbeiterkammer Minsk" ersetzt. Dass man sich im 50.Jahr wieder auf die Anfangszeit besinnt, hat seinen Grund. Der Neu-Eigentümer Michael Tojner, dessen WertInvest das Fünf-Sterne-Haus 2012 für 48 Millionen Euro erwarb, plant den Umbau in großem Maßstab.

Österreichs höchstes Haus, der 250 Meter hohe DC Tower, wurde letzte Woche eröffnet. Dass ihm sein Twin noch fehlt, ist nicht der einzige Grund, warum der Turm an metaphorischer Überlastung krankt.

Das erste Pärchen posiert schon: Die blondierte Dame betrachtet sich in der schwarzen Spiegelfassade, während ihr Begleiter sie ablichtet. Daneben erkunden Skater die neuen Betonoberflächen, andere fotografieren blinzelnd nach oben. Die gefaltete Glasfassade des DC Tower ist definitiv ein Hingucker. Letzte Woche wurde das mit 250 Metern (inklusive Antenne) und 60 Geschossen höchste Hochhaus Österreichs eröffnet. Dunkel ist nicht nur die Glasfassade: Schwarz sind auch die kantigen Metallschirme, die wie durcheinandergewürfelte spanische Reiter vor dem Eingang im Boden stecken. Sie sollen die berüchtigten Hochhaus-Fallwinde, unter denen die Donauplatte leidet, abfangen. Das Foyer und die Lobby des zur spanischen Kette Mélia gehörenden Hotels sind mit dunklem Granit ausgekleidet, im Restaurant schraubt sich eine silbern eingekleidete breite Wendeltreppe über drei Geschosse. Eine unaufdringliche, weltläufige Eleganz lässt sich dem Interieur nicht absprechen. Das Faible für Schwarz in Architektur und Kleidung teilt sich der DC-Tower-Architekt Dominique Perrault schließlich mit seinem Landsmann Jean Nouvel, dessen Sofitel am Donaukanal von ähnlich schattiger Noblesse ist.