Glacis auf Glatteis

Der Wettbewerb fürs Wiener Hotel Intercontinental ist entschieden: Am Eislaufverein soll ein 73-Meter-Turm stehen. Vorher sind allerdings noch einige Fragen zu klären.

Ein Haus in den besten Jahren: Im März feiert das Hotel Intercontinental seinen 50.Geburtstag. In der Jubiläumsbroschüre schwelgt man in Fotos aus der Originalzeit, deren Interieurs in der Tat dem interkontinentalen Anspruch gerecht wurden: Ein luftiges Foyer mit klaren Linien und eleganten Sesseln, kurvige Cocktailbars fürs Jet-Set. Leider wurde der internationale Stil inzwischen durch eine "teuer" meinende, aber billig aussehende Kronleuchter-Messing-Melange Marke "Arbeiterkammer Minsk" ersetzt. Dass man sich im 50.Jahr wieder auf die Anfangszeit besinnt, hat seinen Grund. Der Neu-Eigentümer Michael Tojner, dessen WertInvest das Fünf-Sterne-Haus 2012 für 48 Millionen Euro erwarb, plant den Umbau in großem Maßstab.

Als dazu vor einem Jahr die ersten Hochhauspläne an die Öffentlichkeit kamen, war der Aufschrei groß. Vorige Woche wurde schließlich das Ergebnis des Architekturwettbewerbs verkündet: Der Siegerentwurf des brasilianischem Architekten Isay Weinfeld sieht einen 73 Meter hohen freistehenden Turm an der Seite zum Konzerthaus vor - exakt die Höhe des Ringturms. Das alte Hotel wird um zwei Geschosse erhöht, ein fünfgeschossiger Riegel soll am Heumarkt errichtet, der Zugang vom 3.Bezirk geöffnet werden.

Retro-Relaunch mit Rasterfassade

Klar ist: Wer das alte, graue Intercont nicht mochte, wird auch mit dem neuen keine Freude haben. Denn der neue Turm spricht mit seiner nüchternen Rasterfassade äußerlich dieselbe Sprache wie das alte Hotel. "Das sieht ja aus wie der Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße!" war zu hören, und es war nicht als Kompliment gemeint. Betrachtet man aber die luftigen Bauten mit ihren eleganten Innenräumen, die Weinfeld in Brasilien errichtet hat, wo die klassische Moderne im Geiste Niemeyers viel bruchloser überlebt hat als hier, muss man feststellen: Für einen interkontinentalen Retro-Relaunch ist er genau der Richtige. Im Vergleich mit den nachgereihten, teils zappelig verspielten, teils monströsen Entwürfen, ist er sogar der Dezenteste. Dennoch wirft ein Hochhaus an dieser Stelle einige Fragen auf.

Die Vorgeschichte im Schnelldurchlauf: Um bei diesem erwartbar umstrittenen Neubau am Rande der Innenstadt möglichst deeskalierend zu agieren, wurde von der Stadt 2012 ein neuartiges Vorgehen gewählt: Im "kooperativen Verfahren" loteten drei Planungsteams mit Investor, Experten, Magistrat und Vertretern von Wiener Eislaufverein und Konzerthaus insgesamt 30 mögliche Entwürfe aus. Von Deeskalation konnte jedoch keine Rede sein. Als die Hochhaus-Visualisierungen letztes Jahr im FALTER publiziert wurden, hagelte es Kritik. In einem offenen Brief an Planungsstadträtin Maria Vassilakou monierten namhafte Architekten im Mai 2013, dass sich die Stadt vor den Karren des Investors habe spannen lassen und der öffentliche Raum ohne Gegenleistung privatisiert werde.

Wo ist mein Mehrwert?

Wie Thomas Madreiter von der MA 19 jetzt bei der Ergebnisverkündung betonte, sei genau das nicht der Fall: "Die Situation war seit langem unbefriedigend. Hotel und Eislaufplatz sind in die Jahre gekommen, es fehlte der Durchgang zum Heumarkt. Wenn hier Standortpotenziale genutzt werden, ist das auch im Interesse der Stadt." In der Tat steht auf der Haben-Seite ein Sportzentrum mit Turnsaal und 50-Meter-Schwimmbad, auch die Terrasse des Hotels soll öffentlich zugänglich sein. Investor Michael Tojner zufolge habe man zugunsten des Konsenses auf Konzepte verzichtet, die sich "besser gerechnet hätten". Bleibt de Frage, ob der am Eislaufplatz wirklich so viel im Argen lag, dass die Stadt ein Hochhaus benötigt, um eine Verbesserung zu finanzieren.

Der am lautesten vorgebrachte Einwand gegen ein Hochaus an dieser Stelle ist jedoch ein anderer. "Das passt nicht zum Weltkulturerbe!", kam der Ruf aus dem Publikum, als die Hochhausentwurf enthüllt wurde. Stadt und Investor widersprachen: Man habe gute Argumente für die nun folgenden Verhandlungen mit dem Icomos, dem Vertreter der UNESCO. Ein Wien als Freilichtmuseum mit 2 Millionen Museumswärtern dürften sich zwar selbst die nicht wünschen, für die das Weltkulturerbe den Status eines quasireligösen Unfehlbarkeitsdogmas hat. Allerdings hat die UNESCO hier ein klares Argument auf ihrer Seite: Der Canaletto-Blick vom Belvedere auf die Stadt soll unverstellt bleiben. Wie dank Fotomontage ersichtlich, würde der Hotelturm als grauer Monolith genau mitten in der Belvedere-Achse aufragen. Die Zuversicht scheint hier also mehr als fragwürdig.

"Schaun-mer-mal"-Stadtplanung

Es hat seinen Grund, dass die UNESCO die Grenze ihrer "Kernzone" bis zur Zweierlinie zieht: Das ehemalige Glacis mit seiner Mischung aus privaten Wohnblocks und öffentlichen Prunkbauten wie Rathaus und Parlament war schon immer ein fragiles Gleichgewicht von Regel und Ausnahme. Am Glacis bewegt man sich auf Glatteis. Ob der Paarlauf von Stadt und Investor mit Bauchfleck oder Kür endet, wird man sehen. Vielleicht liegt genau hier das Problem: Solange die Stadtplanung eine abwartende Schaun-mer-mal-Haltung an den Tag legt, und wichtige Entscheidungen aufwändig delegiert (die butterweiche Hochhausrichtlinie sei nur am Rand genannt), werden Streitfälle wie das Intercont immer wieder passieren. Dabei lägen die Lösungen auf der Hand: Man könnte, wie anfangs vom Expertenteam gefordert, gleich mal mit einem "Masterplan Glacis" anfangen.

Erschienen in: 
Falter 10/2014, 5.3.2014