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Wang Shu wurde am Freitag als erstem Chinesen der Pritzker-Preis verliehen. Ein Gespräch über die Gefahren des Baubooms und die Poesie chinesischer Gärten

STANDARD: Im Februar wurde Ihre Kür zum Pritzker-Preis-Träger bekanntgegeben. Hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Wang: Mein Leben ist noch genau dasselbe. Doch in China wurde der Preis sehr genau registriert. Sie müssen wissen, dass Architektur in China erst in den 1990er-Jahren überhaupt in den Medien beachtet wurde. Die Öffentlichkeit hat sich bisher jedoch fast gar nicht dafür interessiert. Das ändert sich gerade.

STANDARD: Wie reagieren die Architekten auf diese Resonanz?

Wang: Die jungen Architekten sind von dieser Aufmerksamkeit natürlich begeistert. Und die älteren, die in den Planungsstellen im System arbeiten, wachen langsam auf und beginnen zum ersten Mal, Kritik an der Überkommerzialisierung unserer Städte zu üben.

STANDARD: Das heißt, die Architekten haben bisher geschlafen?

Wang: Ja. Die heutigen Architekten sind eine Generation, die ihre kulturelle Identität und ihre Fähigkeit, Dinge historisch einzuordnen, verloren hat. Der Grund dafür ist, dass die Entwicklung viel zu schnell vorangeht und man vor lauter Zeitmangel die wichtigen Probleme immer weiter aufschiebt. Ein zweiter Grund ist die Kommerzialisierung und Politisierung. Die massive Verstädterung und Bauwut haben das harmonische Zusammenleben und die gewachsene Kultur nahezu zerstört.

Traum ist in der kleinsten Hütte: Als Folge der Krise erleben Minihäuser eine weltweite Renaissance, wie das Small House Movement zeigt.

"Ich hatte drei Kalksteine auf meinem Pult liegen, fand aber zu meinem Entsetzen, dass sie tägliches Abstauben benötigten, während mein geistiger Hausrat noch unabgestaubt dastand, und voller Abscheu warf ich sie zum Fenster hinaus." Mit diesen Worten beschrieb Henry David Thoreau in Walden, oder Leben in den Wäldern 1854 das konsequente Ausmisten alles überflüssigen persönlichen Besitzes beim Bau seiner asketischen Eigenbau-Holzhütte am Ufer des Walden Pond in Massachusetts. Als Dauermöblierung verblieb: Herd, Tisch, Bett, drei Stühle. Wohnfläche: 15 Quadratmeter. Die Kosten dafür, von Thoreau akribisch festgehalten: 28½ Dollar. Naturbetrachtung, unverfälschtes Erleben, klares Denken, das war allemal wichtiger als das Anhäufen toter Dinge als Besitz und Statussymbol.

Eine Ausstellung in Dornbirn zeigt den pragmatischen Surrealismus des hochproduktiven flämischen Architektentrios De Vylder Vinck Taillieu

Die Belgier, behauptet ein populäres Sprichwort, würden mit einem Ziegelstein im Magen geboren. Was weniger auf eine Vorliebe für schwerverdauliche Mahlzeiten als einen Drang zum Aufbauen und Besitzen von Eigenheimen in diesem Land anspielt. Dank der sehr liberalen Bauvorschriften mitunter eine Lizenz zum Chaos: Das Weichbild aus wild durcheinandergewürfelt in der Landschaft herumstehenden Häusern und Häuserzeilen, gerne mit Fliesen und Klinkern in Nikotingelb und Schmutzweiß verkleidet, hat schon manch einen Belgienurlauber verstört.

Eine Spielwiese für schrullige Selbstbauer - aber ein Mekka für Architektur? Bei Mode und Design ist Belgien seit den 1980er-Jahren avantgardistisch vorne dabei, bei den Baumeistern fällt das Land in der internationalen Wahrnehmung zwischen den emsigen Niederländern und den flamboyanten Franzosen oft durch den Rost.

Dabei hat sich hier parallel zu den Moderevolutionären wie den "Antwerpener Sechs" eine kleine, aber aufregende Architekturszene verfestigt, die zwar keine Weltstars gebärt, dafür in erfrischender, bisweilen ruppiger Sprödigkeit immer wieder zu überraschen weiß - passend zu diesem komplizierten Land mit seinen inneren Verwerfungen.

Das Museo Casa Enzo Ferrari verkörpert das Vermächtnis der Automobil-Ikone. Und auch das seines eigenen Architekten

Museumsdirektorin Adriana Zini legt letzte Hand an. Mit prüfendem Blick steht sie vor der Staffelei mit dem Foto des älteren Mannes mit faltigem Charaktergesicht und weißem Haar, der ganz in Schwarz gekleidet barfuß auf dem Boden sitzt: Jan Kaplický, der Architekt ihres Museums. Wenn das Erste, das man beim Betreten eines Gebäudes sieht, ein Porträt seines Erbauers ist, platziert vom Bauherrn selbst, dann muss schon eine seltene Verbundenheit dahinterstecken.

Es ist die Verbundenheit der Biografien zweier markanter Männer, von der das Museo Casa Enzo Ferrari in Modena, das am 12. März eröffnet wurde, erzählt. Die des illustren Motormagnaten, um dessen schlichtes Geburtshaus sich der Neubau mit konkavem Schwung respektvoll schmiegt, und die des Architekten vom Londoner Büro Future Systems.

Als dieses den Wettbewerb für den Neubau zwischen Bahnlinie und Stadtzentrum mit dem Entwurf eines geflügelten Dachs gewann, das mit seinen zehn Lüftungsschlitzen die Karosserie eines Rennwagens evozierte, war dies ein Ergebnis, wie es logischer und zwingender nicht sein konnte. Schließlich hatten Future Systems von allen Hightech-verliebten Formfindern schon immer die elegantesten Kurven im Stall.

Architekt Shigeru Ban ist mit Leichtbaukonstruktionen aus Papier weltweit bekannt geworden - Wie er jetzt den Tsunami-Überlebenden hilft

 

Was hat Sie als etablierten Architekten dazu bewogen, ein Netzwerk von freiwilligen Architekten zu gründen und sich der Katastrophenhilfe zu widmen?

Shigeru Ban: Ich war von meinem Berufsbild als Architekt enttäuscht. Wir Architekten arbeiten fast immer für die Privilegierten. Sie haben Geld, Macht oder beides und beauftragen uns, ihnen Denkmäler zu bauen, die diese Macht symbolisieren. Das war schon immer so. Mein Büro tut das genauso - im Moment bauen wir zum Beispiel ein Museum. Aber ich möchte meine Erfahrung auch für die Allgemeinheit nutzen. Das ist unsere Verantwortung! Wenn eine Naturkatastrophe passiert und in kurzer Zeit Notunterkünfte benötigt werden, ist von den Architekten meistens weit und breit niemand zu sehen. Dabei könnten wir hier vieles verbessern, wenn wir helfen. Also sollten wir das tun.

Ein Jahr nach Beben, Tsunami und Fukushima: Der Schutt ist weggeräumt, langsam beginnt der Wiederaufbau - Japans Architekten helfen nach Kräften dabei mit.

Dieser Tage, exakt ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben vom März 2011, veröffentlichte die japanische Regierung ein Papier namens "Road to Recovery", das den Weg zum Wiederaufbau detailliert. Um diesen zu koordinieren, wurde im Februar die Reconstruction Agency ins Leben gerufen. Diese soll dabei auf erneuerbare Energien setzen, denn die Wiederherstellung des durch Fukushima international ramponierten Images ist ein vordringliches Ziel. Doch für die 340.000 Japaner, die ihre Häuser, Dörfer und Angehörigen verloren haben, ist PR im Ausland zweitrangig. Bis feststeht, wo ihre Städte überhaupt wieder entstehen werden, brauchen sie ein Dach über dem Kopf.

Dominique Perrault baut in Wien das höchste Gebäude Österreichs. Ein Gespräch über die Herausforderungen der Donau-City

Für die noch unbebauten Teile der Donauplatte entwarf der französische Architekt Dominique Perrault den Masterplan, bestehend aus einer langen Terrasse zur Neuen Donau und den Zwillingstürmen der DC-Towers. Mit 220 Metern wird der zurzeit noch in Bau befindliche DC Tower 1 bei seiner Fertigstellung Mitte nächsten Jahres das höchste Gebäude Österreichs sein. Er wird den Millennium Tower um 18 Meter überragen. Der Baubeginn des zweiten Turms ist noch ungewiss. Heute, Samstag, wird Dominique Perrault auf dem Turn-On-Architekturfestival im Radiokulturhaus das Projekt vorstellen.

STANDARD: Die Donau-City hat es bis heute nicht geschafft, ein lebendiger urbaner Ort zu werden. Können die DC Towers das ändern?

Perrault: Die Straßenebene der Donau-City ist bis heute sehr unfreundlich und hat keine Verbindung zum Fluss. Dabei ist die Neue Donau und der Blick auf die Stadt hier das wichtigste Element. Als ich vor acht Jahren den Masterplan vorschlug, wollte ich eine besondere Skyline schaffen. Ganz einfach mit einer vertikalen Silhouette durch die Türme und einer horizontalen, einem funktionierenden Übergang zur Neuen Donau. Die Donau-City ist sehr hart, sehr mineralisch. Mit der Terrasse über die ganze Breite bringen wir ein weiches, landschaftliches Element hinein.

Wang Shu ist nicht nur der zweitjüngste Pritzker-Preisträger Geschichte, sondern auch der erste aus China

Das ist wirklich eine riesige Überraschung", sagte der gedrungene, schwarzgekleidete Mann. Wang Shu (48) war nicht der Einzige, der verblüfft auf seine Kür zum Pritzker-Preis-Träger reagierte. "Wang who?" dürfte auch in der Denkblase über vielen Architektenköpfen gestanden sein, als die Jury in Los Angeles bekanntgab, dass die mit 100.000 Dollar dotierte höchste Auszeichnung der Architektur dieses Jahr nach Fernost gehen würde.

Eine Ausstellung in Meran zeigt, wie die jüngsten Bauten aus Südtirol das hohe Niveau der letzten Jahre halten: mit ihrer eigenen Mischung aus alpiner Rauheit und südlicher Eleganz

Der erste Eindruck beim Überqueren des Brenners Richtung Süden: Alles wird milder, sanfter, sonniger, das Meer schon erahnt, man kennt das. Der zweite Eindruck ist widersprüchlicher. Er stellt sich ein, sobald die ersten Ortschaften auftauchen, mit ihrem Weichbild aus steinernen Dorfkernen, unglamourösen Gewerbegebieten und dem tiroltypischen Würfelhusten aus aufgequollenen Hotelburgen als Trägermasse für eine absurde Anzahl nutzloser Balkone. Man sieht: Die spektakuläre Schönheit der Landschaft Südtirols ist fragil und schnell gefährdet.

Gleichzeitig jedoch ist in Südtirol in den letzten 20 Jahren ein Bewusstsein für Baukultur und eine eng vernetzte Architekturszene entstanden, die eine konstant hohe Qualität produziert. Man muss sie nur suchen, denn sie vermeidet das Bombastische und ist eher im Ländlichen als im Städtischen zu finden.

Beispielhaft dafür ist einer der Meilensteine dieser Qualitätsoffensive: Der couragierte Umbau der Burg Tirol von Walter Angonese und Markus Scherer vor zehn Jahren sorgte für internationalen Applaus. 2006 zeigte eine Ausstellung in Meran stolz die Leistungen der Südtiroler Architektur am Anfang des neuen Jahrtausends.

Die Ausstellung "Space House" in Wien zeigt das Schlüsselwerk des bis heute einflussreichen Architekten und Künstlers Friedrich Kiesler

Die Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes im Pariser Grand Palais im Jahre 1925 gilt als Markstein der Kunst- und Architekturgeschichte. Nicht nur als Namensgeber des Begriffes Art déco, nicht nur wegen Konstantin Melnikows sowjetischen Pavillons, sondern auch als der Punkt, an dem sich das Schicksal der modernen Architektur des restlichen 20.Jahrhunderts entschied.