Traum ist in der kleinsten Hütte: Als Folge der Krise erleben Minihäuser eine weltweite Renaissance, wie das Small House Movement zeigt.
"Ich hatte drei Kalksteine auf meinem Pult liegen, fand aber zu meinem Entsetzen, dass sie tägliches Abstauben benötigten, während mein geistiger Hausrat noch unabgestaubt dastand, und voller Abscheu warf ich sie zum Fenster hinaus." Mit diesen Worten beschrieb Henry David Thoreau in Walden, oder Leben in den Wäldern 1854 das konsequente Ausmisten alles überflüssigen persönlichen Besitzes beim Bau seiner asketischen Eigenbau-Holzhütte am Ufer des Walden Pond in Massachusetts. Als Dauermöblierung verblieb: Herd, Tisch, Bett, drei Stühle. Wohnfläche: 15 Quadratmeter. Die Kosten dafür, von Thoreau akribisch festgehalten: 28½ Dollar. Naturbetrachtung, unverfälschtes Erleben, klares Denken, das war allemal wichtiger als das Anhäufen toter Dinge als Besitz und Statussymbol.
Am 6. Mai jährte sich Thoreaus Todestag zum 150. Mal, und während sein Werk längst zum Kanon amerikanischer Literatur gehört, hat die Entwicklung der Eigenheime längst jegliche Askese hinter sich gelassen. Im Jahr 2009 betrug die durchschnittliche Größe amerikanischer Häuser stolze 250 Quadratmeter. Platz genug also, um Tonnen nutzloser Kalksteine abzustauben.
Hierzulande hält man heute zwar nur bei 140 Quadratmetern, und es ist auch keine Immobilienblase geplatzt. Doch angesichts des fortschreitenden Flächenfraßes wird die Frage, ob das Land noch mehr Einfamilienhäuser verträgt oder dieses nicht besser ganz zu entsorgen sei, immer öfter gestellt. Heiraten, Häusl bauen, Häusl abbezahlen, diese vermeintlich unabänderliche Tradition ist kaum drei Generationen alt. Die Gefahren von einzementierten Familienkonstellationen in aufgepimpten Wohnburgen sah man drastisch vorgeführt in Ulrich Seidls Film Hundstage, wo sich Mann und Frau im überdimensionierten Eigenheim grimmig anschweigen wie in einem Grabmal eingesperrte Mumien.
Doch seit Beginn der Immobilienkrise in den USA und dem sprunghaften Anstieg an Zwangsvollstreckungen kommt es nicht nur dort zum Umdenken, und Thoreaus Ideale von Bescheidenheit werden zwangsläufig wieder aktuell. Schon 2002 hatte sich eine kleine Interessengemeinschaft zum Small House Movement zusammengeschlossen. Dessen Gründungsmitglied Jay Shafer leitet heute die Tumbleweed Tiny House Company, mit der er eine Auswahl winziger und mittelkleiner Fertighäuser anbietet. Darunter auch "houses to go", sozusagen Gartenhäusl auf Rädern. Dass eines davon den Markennamen Walden trägt, überrascht kaum.
"Ich hatte mir immer mehr Gedanken gemacht über die Auswirkungen, die große Häuser auf ihre Umwelt haben. Außerdem hatte ich keinen Bedarf an Unmengen ungenützten Raums", erklärt Shafer. "Also habe ich für die kleinen Häuser so viel Fläche eingespart wie möglich. Diese Kleinheit ermöglicht einen eigenen, langsamen Lebensrhythmus."
Die Zwergimmobilien verkaufen sich blendend. Kein Wunder: Familien atomisieren sich, gruppieren sich zu Patchworks, sind mobiler. Single-Haushalte nehmen zu - und welcher Single hätte nicht gerne einen Haushalt to go, den er, ganz Teilzeit-Thoreau, nach Belieben in die unberührte Natur, an Strände, auf Almwiesen stellen kann? Denn so winzig das Haus auch ist, es braucht: Platz. Und dieser ist nicht immer so leicht zu haben wie in den USA. Eines der ersten europäischen Beispiele, das Micro Compact Home, wurde 2005 an der Uni München vom britischen Architekten Richard Horden entwickelt. Die kleine Hightech-Kapsel mit Anleihen am Flugzeugbau, per Kran in fünf Minuten aufgestellt, wurde zuerst probeweise als Studentenwohnheim installiert, schaffte es danach ins Museum of Modern Art und schließlich auf den freien Markt. Inzwischen wurden 15 Stück verkauft - Standardpreis 42.000 Euro. Die Standorte am Zürichsee und am Lago Maggiore lassen jedoch vermuten, dass das Mikrohaus eher als lustiges Alu-Salettl auf dem eigenen Anwesen statt als spartanische Mönchszelle fungiert.
Was tut nun der Österreicher mit kleinem Budget, wenn er ein Miniheim als Hauptwohnsitz will? Diese Frage stellte sich Oliver Redl aus Vorarlberg, als er beschloss, sein Elternhaus nicht weiter abzubezahlen, sondern zu verkaufen und den Wohnraum auf 40 Quadratmeter zu reduzieren. "Die fertigen Designhäuser auf dem Markt fand ich für die Größe viel zu teuer. Also setzte ich mich mit dem Architekten Robert Schmid zusammen und machte es selbst", sagt Redl. Heraus kam das Microhouse, eine einfache Holzkonstruktion zum Selbstbauen. "Es ist ein reines Privatprojekt. Als Serienprodukt würde es durch den Transport wieder zu teuer. Dabei kann sich wirklich jeder selbst so etwas bauen." Da sich während der dreimonatigen Bauzeit an die hundert neugierige Besucher auf der Baustelle drängten, stellte Redl einfach ein Video-Tutorial mit Bauanleitung zusammen.
Ähnlich in der Form, fast identisch im Namen, doch kommerzieller im Programm ist das Mikrohaus aus Wien. Wolfgang und Sascha Haas hatten die Idee, im familieneigenen Stahlbaubetrieb ein Fertighaus für 30.000 Euro zu entwickeln. Bald war der Prototyp gebaut: wie beim Fastnamensvetter aus Vorarlberg eine schlichte Box, schmal genug für den Transport per Lkw. 35 Stück sind bereits verkauft, die mikrohausbeladenen Tieflader tuckern schon bis nach Madrid, zwei stehen in der Seestadt Aspern.
Nicht jeder verlegt jedoch seine ganze Existenz ins Mikrohaus. "Etwa ein Drittel nutzt das Haus ganzjährig, für die anderen ist es ein Wochenendhaus", sagt Sascha Haas.
Ob neue Bescheidenheit oder Wochenendluxus: Die große Lösung für die Immobilienkrise werden die kleinen Häuser wohl nicht werden. Aber schließlich war auch Thoreaus Hütte nur ein Haus für ein verlängertes Wochenende: Elternhaus und Zivilisation waren in Spazierdistanz, und nach zwei Jahren kehrte er wieder aus dem Wald zurück. Sein Traum von der kleinsten Hütte lebt weiter.
(erschienen in: Der Standard, 12./13.5.2012)