Wang Shu ist nicht nur der zweitjüngste Pritzker-Preisträger Geschichte, sondern auch der erste aus China
Das ist wirklich eine riesige Überraschung", sagte der gedrungene, schwarzgekleidete Mann. Wang Shu (48) war nicht der Einzige, der verblüfft auf seine Kür zum Pritzker-Preis-Träger reagierte. "Wang who?" dürfte auch in der Denkblase über vielen Architektenköpfen gestanden sein, als die Jury in Los Angeles bekanntgab, dass die mit 100.000 Dollar dotierte höchste Auszeichnung der Architektur dieses Jahr nach Fernost gehen würde.
Wenn sich der bisher kaum bekannte Architekt aus Huangzhou bei der offiziellen Zeremonie in Peking Ende Mai in die illustre Gesellschaft von Foster, Hollein und Hadid einreiht, wird er nicht nur der zweitjüngste Preisträger der Geschichte sein, sondern auch der erste aus China. Einem Land also, das in der Architekturwelt vor allem als eine der letzten Spielwiesen gilt, auf der sich die Weltstars des Bauens noch in Gigantismus austoben dürfen. Die Substanz der jahrhundertealten Städte bleibt dabei oft auf der Strecke.
Neben vielen chinesischen Büros, die bei den geschichtsvergessenen Stahl-Glas-Orgien tatkräftig mitmischen, gibt es auch solche wie Wang Shu, die auf die Bremse treten. So war es durchaus als provokante Geste gegenüber dem globalisierten Getöse zu verstehen, dass der 1963 in der abgelegenen Provinz Urumqi geborene Wang Shu sein 1997 gegründetes Büro "Amateur Architecture" nannte. "Der Name soll das Spontane und Experimentelle meiner Arbeit betonen", so Wang Shu. "Ich baue Häuser, keine Gebäude. Das ist näher am Alltag, denn Architektur ist für mich ein Teil des Alltagslebens."
Auf der Biennale in Venedig 2006 schuf er den "Tiled Garden" mit 66.000 Ziegeln aus abgebrochenen Häusern, und für das Dach seines Universitätscampus in Xiangshan verwendete er gleich zwei Millionen alte Ziegel. In einem Land, in dem das Alte häufig zerstört wird, lässt sich so zumindest aus dem Schutt eine kulturelle Kontinuität retten.
Sein Meisterwerk entstand 2008 mit dem Historischen Museum in Ningbo, dessen gekippte Klötze sich als feinstes Puzzle aus steinernen Teilen entpuppen: Geschichte zum Angreifen. Dass dieses sorgfältige Weiterdenken lokaler Traditionen von einer Jury gewürdigt wurde, der mit Zaha Hadid ein Star angehört, der eher für die weltweite Reproduktion rundgelutschter Blobs bekannt ist, entbehrt nicht der Ironie. Klar ist, dass mit Wang Shu das öde Klischee der Chinesen als Kopisten auch in der Architektur der Vergangenheit angehört.
(erschienen in: Der Standard, 29. Februar 2012)