Das Museo Casa Enzo Ferrari verkörpert das Vermächtnis der Automobil-Ikone. Und auch das seines eigenen Architekten
Museumsdirektorin Adriana Zini legt letzte Hand an. Mit prüfendem Blick steht sie vor der Staffelei mit dem Foto des älteren Mannes mit faltigem Charaktergesicht und weißem Haar, der ganz in Schwarz gekleidet barfuß auf dem Boden sitzt: Jan Kaplický, der Architekt ihres Museums. Wenn das Erste, das man beim Betreten eines Gebäudes sieht, ein Porträt seines Erbauers ist, platziert vom Bauherrn selbst, dann muss schon eine seltene Verbundenheit dahinterstecken.
Es ist die Verbundenheit der Biografien zweier markanter Männer, von der das Museo Casa Enzo Ferrari in Modena, das am 12. März eröffnet wurde, erzählt. Die des illustren Motormagnaten, um dessen schlichtes Geburtshaus sich der Neubau mit konkavem Schwung respektvoll schmiegt, und die des Architekten vom Londoner Büro Future Systems.
Als dieses den Wettbewerb für den Neubau zwischen Bahnlinie und Stadtzentrum mit dem Entwurf eines geflügelten Dachs gewann, das mit seinen zehn Lüftungsschlitzen die Karosserie eines Rennwagens evozierte, war dies ein Ergebnis, wie es logischer und zwingender nicht sein konnte. Schließlich hatten Future Systems von allen Hightech-verliebten Formfindern schon immer die elegantesten Kurven im Stall.
1937 in Prag geboren, war Kaplický 1968 nach London geflüchtet, mit nichts als 100 Dollar und zwei Paar Socken im Gepäck. Das Erlebnis der plötzlichen ungezügelten Freiheit sollte ihn ein Leben lang prägen. 1979 gründete er Future Systems und machte sich daran, sein Verdikt There is not enough flying in architecture tatkräftig zu falsifizieren.
1984 sorgte sein ungebauter, wie ein Barbapapa-Pfefferstreuer aussehender Blob-Entwurf für die National Gallery noch für Gelächter unter den Architektenkollegen. Später kopierten sie seine im retrofuturistischen Raum zwischen Luigi Colani und Oscar Niemeyer angesiedelten Kurven en masse.
Mit seiner britischen Büro- und Lebenspartnerin Amanda Levete erlebte Kaplický seine erfolgreichste Zeit: Das weiße Periskop des über der Tribüne des ehrwürdigen Lord's Cricket Ground schwebenden Media Center machte das Duo 1995 weltbekannt, die mit schimmernden Pailetten besetzte Mega-Amöbe des Kaufhauses Selfridges in Birmingham schließlich war das Meisterwerk.
Blobs, Periskope und Amöben
Danach trennten sich Levete und der als empfindlich und schwierig geltende Kaplický zuerst privat, dann auch beruflich. Kaplický kehrte nach Tschechien zurück, sorgte dort mit dem Entwurf für die Nationalbibliothek für Aufruhr, heiratete erneut. Das neue Lebenskapitel endete abrupt, als er im Jänner 2009, Stunden nach der Geburt seiner Tochter, in Prag auf der Straße zusammenbrach und starb.
Das Museum in Modena, sein letztes Werk, stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Spatenstich. Die Vorzeichen jedoch hatten sich inzwischen geändert. Zu Projektbeginn waren Ferrari und Maserati unter der Führung Luca di Montezemolos noch einig verbunden.
Dessen Idee war es gewesen, die alte Ferrari-Werkstatt um ein Museum zu ergänzen - für Maseratis. Ab 2005 ging man wieder getrennte Wege, und die Stadtväter wollten lieber der Geschichte der Automobilhochburg Modena und des Erfindergeistes der Emilia-Romagna gedenken.
So wechselte die Farbe des fliegenden Flügels vom Maserati-Blau zum Ferrari-Gelb. Die kurvige Form blieb unverändert. Kaplickýs engstem Mitarbeiter, dem gebürtigen Mailänder Andrea Morgante, fiel es nun zu, das Werk zu vollenden.
"Jan und ich hatten eine gemeinsame Leidenschaft für Autos und Flugzeuge" , erklärt Morgante. "Von den 1940er- bis in die 1960er-Jahren war das Autodesign eine Kunst für sich: perfekt geformte Karosserien, die die Freiheit dieser Zeit verkörperten. Deswegen konnte das Museum nicht einfach eine Kiste sein, es musste nach Automobil aussehen!"
Da das Ausstellungskonzept erst spät feststand, oblag Morgante auch die Gestaltung des Innenraums und der Exponate. Das Resultat ist wie aus einem Guss: strahlend weiß, mit eleganten Details wie der umlaufenden Vitrine und den vom Boden abgehobenen Plattformen für die Boliden. " Flying in architecture" eben. Dazwischen: viel Raum, viel Leere. "Wir wollten den Besucher nicht überwältigen. Jedes Auto braucht Luft zum Atmen - wie ein Gemälde in einer Galerie", sagt Morgante.
Das Auto als Kunstobjekt
"In Norditalien gibt es viele Sammlermuseen, die auf kleinem Raum sehr viele Autos zeigen und wie Garagen aussehen", stimmt Direktorin Adriana Zini zu. "Hier sollen sie wie Kunstobjekte für sich stehen." Etwas mehr als die nun gezeigten 14 Alfas, Maseratis und Ferarris würde der Raum durchaus vertragen - immerhin: Drei Reserveplätze sind vorgesehen.
Grund für die Sparsamkeit: Anders als die Blockbuster-Museen von BMW, Mercedes und Porsche ist man hier für die Exponate auf Leihgaben angewiesen. "Das sind große Marken mit genug Geld, sich ihr eigenes Museum zu bauen", erklärt Morgante. "Hier hatten wir ein Budget von gerade mal 14 Millionen." Finanziers: Stadt, Provinz und EU.
Enger und intimer, wenn auch nicht weniger kurvig ist die Ausstellung im Altbau des Geburtshauses. Neben Exponaten wie der originalen Enzo-Sonnenbrille werden die Stationen seines Lebens - Konstrukteur, Rennfahrer, glamouröser Firmenboss - erzählt. Die Sonnenbrille ziert auch das Logo des Museums, das auf ferrarigelbe Tüchern in ganz Modena unübersehbar verteilt wurde.
Mit Erfolg: 20.000 Besucher zählt man im ersten Monat seit der Eröffnung. "Manche wundern sich, weil sie nur Ferraris erwarten, aber die Geschichte, die wir erzählen, fasziniert alle", freut sich die Direktorin. Die Geschichte zweier sperriger Charakterköpfe, verbunden durch die Liebe zu Kurven und Geschwindigkeit.
"Kurz nach Kaplickýs Tod bin ich nach Birmingham gefahren, um mir das Selfridges-Kaufhaus anzusehen", erinnert sich Adriana Zini mit leuchtenden Augen. "In diesem Moment habe ich ihn verstanden." Sie rückt die Staffelei mit dem Porträt liebevoll ein paar Millimeter zurecht. "Er war eben ein Genie."
(erschienen in: Der Standard, 14./15.4.2012)