Die Ausstellung eröffnet neue Erkenntnisse über die Rolle des österreichischen Architekturdoyens im "Dritten Reich"
Autobiografien sind selten ein Hort der Objektivität. Erst recht nicht, wenn das erzählte Leben fast ein ganzes Jahrhundert umspannt. Bei Roland Rainer, einem der prägendsten österreichischen Architekten und Stadtplaner des 20. Jahrhunderts, ist das nicht anders. Zwar war seine spät entdeckte NSDAP-Parteimitgliedschaft noch zu seinen Lebzeiten bekannt geworden, über seine Tätigkeiten und seine Gesinnung während des "Dritten Reichs" wusste man jedoch wenig. Er selbst blendete die Arbeiten von 1936 bis 1945 aus seinem Werkverzeichnis aus. Eine forschungsintensive Ausstellung im Wiener Architekturzentrum bringt jetzt mehr Licht in die Vergangenheit des Doyens der Nachkriegsarchitektur – nicht über private politische Äußerungen, von denen keine überliefert sind, sondern allein über das Werk.
"Das Phänomen der Selbsteditierung von Architekten ist nicht neu", sagt Angelika Fitz, Direktorin des Az W. "Daher ist eine unabhängige Forschung umso wichtiger." 2015 hatte das Az W den Rainer-Nachlass übernommen, im gleichen Jahr widmete man sich (noch unter Dietmar Steiners Leitung) mit der Ausstellung Wien, die Perle des Reiches den NS-Planungen für Wien. Die damals begonnene Recherche mündete jetzt in der Ausstellung Roland Rainer – (Un)Umstritten und untersucht den Schaffenszeitraum von 1936 bis 1963. Die drei Kuratorinnen Waltraud Indrist, Ingrid Holzschuh und Monika Platzer sichteten dafür rund 10.000 Akten, vor allem in Berlin, wo sich Rainer 1936 unter Angabe seiner Parteimitgliedschaft bei der Bau- und Finanzdirektion beworben hatte. Bis 1938 blieb er in der deutschen Hauptstadt, von 1940 bis 1945 leistete er Militärdienst und arbeitete im technischen Kriegsverwaltungsrat. In einer späteren Gegendarstellung sollte er diese Zeit als "Irrtum" bezeichnen.