Matter Hüttenzauber: Das Austria House bei den Olympischen Spielen

Das Austria House bei den Olympischen Winterspielen war immer wieder ein Aushängeschild. In Pyeongchang droht die Architektur im Event-Zinnober unterzugehen.

Ganz Ski-Österreich" sei angepatzt, heulte es kürzlich aus dem Kleinformat, als die ungute Vergangenheit des Skiheroen Toni Sailer erneut ans Licht kam. Wo dieses mysteriöse "Ski-Österreich" sich befindet (dort, wo sich Schneekanone und Pistenraupe gute Nacht sagen? Auf mehr als 1000 Metern Seehöhe? Bei weniger als null Grad?), wurde leider nicht erklärt.

Wo immer es ist: Wenn am 9. Februar die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang eröffnet werden, sitzt Ski-Österreich vor dem Fernseher, ist Ski-Österreich vor Ort. Die räumliche Schnittmenge aus sofaknotzendem Hier und koreanischem Dort wird dann das Austria House sein. ORF-Studio, Medaillenfeiern, Medienzentrum, Hintergrundgespräche auf 1000 Quadratmetern inklusive "Gala-Raum", "Kamin-Lounge" und eigener Backstube für die Kornspitze eines ÖOC-Top-Partners. Der Spatenstich für das Österreich-Haus erfolgte im Herbst 2017, hergestellt wird die Zeltkonstruktion von der deutschen Firma Losberger, die über einige Erfahrung in temporären Konstruktionen für Events aufweist. Aussehen wird sie – glaubt man den Visualisierungen – weniger wie ein Haus als wie eine Kollision mehrerer Messestände. Ein schnittiger Kasten mit Bergpanorama, davor holziger Weihnachtsmarkt-Hüttenzauber, darin Klubatmosphäre mit Ledersessel am Kaminofen. "Schaffung eines Stücks Heimat mit Gastfreundschaft, Authentizität und exklusivem Flair für Österreicher und Freunde unseres Landes bei den Olympischen Spielen" soll hier geboten werden.

Schon klar, wenn am Rande des Sportevents im Punschdunst millionenschwere globale Skiliftaufträge ausgehandelt werden wollen, ist authentische Gmiatlichkeit sicherlich kein Hindernis. Auch gegen Kamine und Kornspitze ist nichts einzuwenden. Aber ein Austria House darf mehr sein als eine rustikal dekorierte Markthalle. Es ist ein Haus, also Architektur, und als solches nicht nur Botschafter von Ski-Österreich, sondern auch von Architektur-Österreich. Genau das war es immer wieder, seit 1960 in Squaw Valley auf Betreiben der Wirtschaftskammer das erste Austria House errichtet wurde. Rund ein Dutzend Österreich-Häuser wurden seit damals gebaut, manche davon schafften den Spagat des doppelten Aushängeschilds für Sport- und Architekturkompetenz auf vorbildhafte Weise. Denn Österreichs alpine Bauten sind ebenso exportfähig wie seine Schanzenhüpfer und Slalomköniginnen. Das Österreich-Haus in Nagano 1998 etwa wurde von einem der namhaftesten Vertreter der Vorarlberger Schule, Johannes Kaufmann, als feingliedriger und freundlicher Pavillon entworfen, exportiert, und prompt zu Hause mit dem Vorarlberger Holzbaupreis ausgezeichnet. Nach dem Ende der Spiele in Japan kam es zurück nach Österreich und fungiert heute als Heimat des Museums Lignorama in Riedau.

Das konstruktive, handwerkliche und gestalterische Know-how österreichischer Architekten und Baumeister, vor allem im Holzbau, ist seit Jahren weit über die Landesgrenzen geschätzt. Man darf zu Recht stolz darauf sein. Es sind alpine Bauten in bester Tradition, die ganz ohne Rambazamba auskommen. Noch dazu sind Holzkonstruktionen gerade für Bauten, die in Einzelteilen transportiert, auf- und abgebaut werden müssen, prädestiniert. Kein Wunder, dass viele Österreich-Häuser heute eine Zweitexistenz führen. 2006 durfte der Architekt Tom Lechner vom Büro LP Architektur aus Radstadt, der sich seit langem um lokale Baukultur bemüht, sein alpines Wissen bei den Winterspielen in Turin/Sestriere präsentieren. Sein Österreich-Haus war eine so einfache wie raffinierte Variation auf das Satteldach, die mit einladender Geste eine Freitreppe für die Gäste ausklappte.

Das größte Aufsehen schließlich erregte das Österreich-Haus 2010 in Whistler bei Vancouver. Aus der Initiative einer Gruppe Tiroler und Vorarlberger Unternehmer und Ingenieure entstanden, war es das erste Passivhaus unter den olympischen Ski-Botschaften und das erste Passivhaus auf kanadischem Boden überhaupt. Klimaschutz-Botschafter Entworfen wurde es vom klimatisch versierten Architekten Martin Treberspurg. Es passte perfekt zu den als erste "Green Olympics" beworbenen Spielen in Vancouver. Es solle "nicht nur ein Publikumsmagnet und Kommunikationszentrum für Athleten, Betreuer, Journalisten, Sponsoren und Freunde Österreichs sein, sondern auch Botschafter österreichischer Spitzentechnologie für den Klimaschutz", so der damalige Umweltminister Nikolaus Berlakovich. Den Österreichern sei hier eine Art Magie gelungen, jubelte der Baumeister aus Whistler, der das Haus aus den in Österreich gefertigten Einzelteilen zusammenfügen durfte. "In Kanada verstehen wir die Technologie, aber die Österreicher haben eine Wissenschaft daraus gemacht." Eine intelligente Zauberhütte statt dekorierter Hüttenzauber. Das Haus steht heute noch am Platz, heißt "Lost Lake Passivhaus" und fungiert als Fortbildungszentrum für Passivhaustechnologie. Ein Stück echter Nachhaltigkeit, das der großen Energieverschwendungsmaschine Wintersport dringend nottat.

Wie stolz das kleine Ski-Österreich darauf sein kann, zeigt sich daran, dass die größte architektonische Anerkennung ausgerechnet vom größten Wintersportkonkurrenten, der Schweiz, kommt. Dort nahm man sich die Idee zum Vorbild und errichtet seit 1998 bei den Winterspielen das "House of Switzerland". In Pyeongchang wird dieses ein zweistöckiger Pavillon aus Holz und Glas sein, dem es dank helvetischer Zurückhaltung gelingt, einladend, aber nicht marktschreierisch zu sein. Eidgenössische Anerkennung auch abseits des olympischen Zirkus: drei der vier Preisträger des 2017 von der Schweizer Zeitschrift Hochparterre ausgelobten Constructive Alps Award waren Architekten aus Österreich. An potenziellen Partnern für hochwertige Austria Houses herrscht also kein Mangel. Wenn 2022 die nächsten Spiele im nicht gerade als Speerspitze der Nachhaltigkeit bekannten Peking eröffnet werden, ergibt sich die nächste Chance, Österreichs Baukultur auf der Weltbühne zu präsentieren. Ski-Österreich muss davor keine Angst haben. Denn alpine Gmiatlichkeit funktioniert auch im schlichten Gewand.

 

Erschienen in: 
Der Standard, 3./4.2.2018