Linz erlebt einen Hochhausboom. Das freut die Investoren und den Bürgermeister. Doch viele Bürger und Architekten wollen dem "Wildwuchs " nicht tatenlos zusehen.
Lorenz Potocnik springt vom Linzer Hauptbahnhof mit zwei, drei Sätzen über die Donau. Wenn der Stadtplaner und Neos-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat auf dem riesigen Luftbild, das den Foyerboden des Alten Rathauses bedeckt, alle geplanten Hochhausstandorte seiner Stadt zeigen will, ähnelt das einer akrobatischen Aufführung. Hier eins, drüben zwei, hinten noch zwei, eins mittendrin. Hochhäuser scheinen in Linz wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Genau das, sagt Potocnik, ist das Problem. "Hochhäuser sind zwar nicht grundsätzlich schlecht. Aber die Stadt hat kein Konzept."
Dabei sind Hochhäuser für Linz nichts Neues. Den Wohntürmen der Nachkriegszeit folgte eine Pause, dann der erste Cluster um den Terminal Tower am Hauptbahnhof. Jüngster Zuwachs: der 81 Meter hohe Lux Tower. Seine Geschichte ist symptomatisch für den globalen Hochhausboom. Ursprünglich als Büroturm geplant, wechselten 2015 Eigentümer, Architekten und Name, nach seiner Fertigstellung wird er 126 Wohnungen beherbergen. Nicht aus Fürsorge in Zeiten der Wohnungskrise, sondern als Wertanlage in Zeiten schwankender Dow-Jones-Indexe. Eine Einzimmerwohnung ist für 4488 Euro pro Quadratmeter zu haben.
Auch südlich des Bahnhofs wird hoch gebaut, und sogar am Schillerpark am Rande der Altstadt soll es gerüchteweise Planungen für einen 130-Meter-Turm geben. Konkreter wird es in Urfahr: Am Mühlkreisbahnhof ist die Planung für den 75 Meter hohen Weinturm (Architekten Kleboth Lindinger Dollnig) weit fortgeschritten. Er soll in eine schmale Baulücke zwischen Wohnhäusern und einem Seniorenheim gequetscht werden. Wenig überraschend, dass die Anrainer entsetzt sind: "Das Bauwerk passt nicht in die Umgebung. Die erlaubte Verschattung wird um das Dreifache überschritten!", protestierte im Dezember ein Nachbar. Der Vorwurf städtebaulicher Willkür ist schwer zu entkräften. Wenn jede Baulücke ein Hochhausstandort sein kann, gilt das Gesetz des Wilden Westens: Wer am schnellsten in die Höhe schießt, gewinnt.
Auch in der Linzer Fachwelt verursacht der Hochhausboom Sorgen. 2016 forderte die IG Architektur eine "Vision für die Stadt" ein. Die Initiative Arch.Pro.Linz geht noch weiter: "Das örtliche Entwicklungskonzept gilt bis 2023, "so die Vertreter zum STANDARD. "Vom Bürgermeister wird es aber punktuell aufgehoben. Derzeit ist in Linz auf jedem Grundstück mit politischer Unterstützung ein Hochhaus möglich." Zwar gebe es den Gestaltungsbeirat, doch sei dieser selbst besetzt mit "sogenannten Hochhausarchitekten". Immerhin kann der Gestaltungsbeirat seine Muskeln spielen lassen. Aus den 96 und 80 Meter hohen "Bruckner Towers" wurde nach deren zweifacher Ablehnung ein schlanker 98 Meter hoher Einzelturm, den Architekturwettbewerb gewann das Team aus alleswirdgut Architekten (awg) und Gernot Hertl. Als Orientierungspunkt in einem konfusen städtebaulichen Durcheinander zwischen Sparkasse und Gewerbegebiet scheint hier das Argument der "Aufwertung des Umfeldes" glaubwürdiger. Die Fixierung der Debatte auf den Begriff sei nicht zielführend, so Gernot Hertl und Andreas Marth (awg) zum STANDARD. "Ab wann ist ein Haus ein Hochhaus? Sind fünf oder zwanzig Geschoße verträglich? Jede Bauaufgabe ist eine Veränderung des Ortes. Eine Beurteilung kann nur für den Einzelfall erfolgen."
Währenddessen steht der nächste Tower schon an. Er soll den Kreativcluster der Linzer Tabakfabrik im Stadtbild verankern. Oder, um es mit den Entwicklern zu sagen: "eine neue Landmark im Westen, ein Scharnier zum aufstrebenden Linzer Hafenviertel" sein. Das Nutzungskonzept für den 81-Meter-Turm (Architekten: Zechner & Zechner) sieht eine Mischung aus Studentenwohnheim, Budget-Hotel und Büros vor. Man darf sich fragen, ob eine Landmark noch eine solche ist, wenn die ganze Stadt zu einem Wald aus Landmarks geworden ist. Darf Linz also Frankfurt werden? Die Stadt könnte zumindest mehr tun, als einfach zu warten, welche Ideen Investoren ihr auf den Tisch legen. Man muss ja nicht gleich einzelne Parzellen als Standorte festlegen. Aber es darf schon verwundern, wenn Stadtregierungen anno 2018 beteuern, für die Ausformulierung eines zukünftigen Stadtbildes nicht zuständig zu sein. An Instrumenten dafür fehlt es ebenso wenig wie an willigen und kompetenten Partnern.