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Hässlich, kitschig, trist: Bausünden sind unsere liebsten Feinde. Die Architekturhistorikerin Turit Fröbe jedoch hat sie ins Herz geschlossen

"Schaut schiach aus!", lautet oft der reflexhafte Kommentar auf ungewohnte Baulichkeiten, ein Urteil, das meist nach einer Sekunde feststeht, worauf sich der Betrachter in selbstgewisser Empörtheit dann auch gleich wieder abwendet.

Bausünden sind ein beliebtes Ziel des kollektiven Fingerzeigens. Der Guardian vergibt zurzeit den Carbuncle Cup für das hässlichste Haus Großbritanniens, das Panoptikum flämisch-wallonischen Irrsinns "Ugly Belgian Houses" ist längst eine Internet-Berühmtheit.

Doch was ist eine "Bausünde" wirklich? Nachlässigkeit, Planungsbürokratie, Ignoranz der Umgebung gegenüber, Stilunsicherheit oder wild wuchernde Selbstbaupatchworks aus Baumarktmitbringseln: Es gibt Dutzende verschiedene Gründe, warum uns Bauten unangenehm ins Auge stechen.

Vielleicht greift die reflexhafte Häme also doch zu kurz? Die Berliner Architekturhistorikerin und Urbanistin Turit Fröbe sammelt seit Jahren bauliche Ausrutscher aller Art, die jetzt in Buchform erschienen sind. Warum es gute und schlechte Sünden gibt und warum man den liebevollen Blick benötigt, erklärt sie im Gespräch.

Der Architekt Harry Glück hat in Wien Tausende von Wohnungen gebaut. Mit dem Falter sprach der 88jährige über sein Lebenswerk und verriet, was Alt-Erlaa mit Hölderlin zu tun hat.

Gerade mal 33 Jahre ist er alt, der verspiegelte Bau an der Rathausstraße, und schon ist sein Ende so gut wie besiegelt: Das Rechenzentrum der Stadt Wien zog letztes Jahr an den Stadtrand, der Altbau steht leer. Zur Zeit läuft ein ergebnisoffener Wettbewerb für den Standort, dessen Ergebnisse im Herbst präsentiert werden. Beim Bundesdenkmalamt sieht man keine Veranlassung, den Bau unter Schutz zu stellen, denn der maßgebliche Beitrag seines Architekten zur Baugeschichte, so Friedrich Dahm, Landeskonservator für Wien, auf Anfrage des Falter, liege ohnehin im Wohnbau.

Der Architekt ist Harry Glück und sieht das ähnlich: Er blickt auf ein enormes Oeuvre an Wohnbauten zurück, darunter einer der bekanntesten in Wien überhaupt: Der anfangs umstrittene und seither als geglücktes Beispiel großer Stadtrand-Wohnblocks geltende Wohnpark Alt-Erlaa. Auch heute ist der mittlerweile 88jährige Architekt noch aktiv. Ich traf ihn (und Bullterrier Paula) zum Gespräch in seinem Josefstädter Büro mit Blick ins Grüne.

Harvard-Ökonom Edward Glaeser erklärt, was wir aus Detroits Bankrott lernen und warum Städte trotzdem das Beste sind, was wir haben

Als die einstige Motor-City Detroit am 18. Juli Konkurs anmeldete, war dies nur ein weiterer Schritt auf dem langen Weg nach unten. 18,5 Milliarden Dollar Schulden, 78.000 leerstehende Gebäude, ein sinnloser People-Mover, der über leere Straßen schwebt. Hatte die Stadt zu Boomzeiten 1950 noch 1,8 Millionen Einwohner, sind es heute nur 700.000. Für die Kosten für Infrastruktur und Alterspensionen kann Detroit längst nicht mehr aufkommen, Polizei und Rettung funktionieren kaum noch.

Detroit ist mit Abstand die größte der 650 US-Städte, die seit 1937 Bankrott angemeldet haben. Seitdem wird überlegt, das Tafelsilber zu verscherbeln, vom Flughafen bis zu den Kunstwerken am Detroit Institute of Fine Arts. Auf der anderen Seite beginnen einzelne Bewohner, Gärten auf den verwilderten Brachflächen anzulegen, Künstlerkollektive kaufen leere Häuser für eine Handvoll Dollar. Kann sich die Stadt also wieder aufraffen? Und wenn ja, wie?

In seinem Buch "Triumph of the City" hat der Harvard-Wirtschaftsprofessor und Stadtökonom Edward Glaeser die Gründe für den Niedergang des einst von Erfindergeist erfüllten Detroit beschrieben - und nennt die "wissenszerstörende Idee" der Fließbandproduktion Henry Fords, Rassenunruhen und die Vernachlässigung von Bildung. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt Glaeser, warum manche Städte sich neu erfinden und andere nicht.

Der Harvard-Kunsthistoriker Joseph Leo Koerner über Wien als Stadt der Träume und des Unheimlichen, über Schweinsköpfe und seine österreichischen Wurzeln

Sein Deutsch ist maßgeschneidert präzise wie der Anzug. Der US-Kunsthistoriker Joseph Leo Koerner sitzt in der Wiener Secession, wo er einen Vortrag über Wiener Interieurs hielt. Koerners Vater, der Maler Henry Koerner, war 1938 aus Wien geflüchtet, die Großeltern kamen im Holocaust ums Leben. Nun erforscht Koerner jun. die Innenräume seiner Vergangenheit.

 

Überwachung und Armut, Vertreibung und Protest: Soziologin Saskia Sassen erklärt, wie Sicherheit und Unsicherheit unsere globalen Städte prägen

Kaum etwas hat auf den Agenden der Nationalstaaten der westlichen Welt solche Priorität gewonnen wie die Sicherheit. Gleichzeitig bricht immer mehr Bürgern der Boden unter ihrem eigenen Leben weg. Die amerikanische Soziologin und Stadtforscherin Saskia Sassen beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit den Fragen des globalen Zusammenhalts. Vorige Woche hielt Saskia Sassen die Eröffnungsrede beim Symposion Dürnstein, das dieses Jahr unter dem Leitthema "Risiko Sicherheit" stand.

Der Architekturpublizist Markus Miessen über falschen Konsens, guten Konflikt und die Rolle der Architekten in der Politik

In seinem 2012 erschienenen Buch Albtraum Partizipation geißelte der Berliner Architekt und Publizist Markus Miessen die romantische Verklärung der Basisdemokratie und die in technokratischem Geplänkel versandeten Liquid-Democracy-Bemühungen der Piratenpartei. Es müsse eben nicht immer "jede letzte Schnarchnase" an allem beteiligt sein. Anstatt Verantwortung bequem durch Volksabstimmungen abzuwälzen, gelte es, Mut zum Konflikt zu zeigen - eine Rolle, für die Architekten als Generalisten ohne Lobby prädestiniert seien.

Das Symposium "Superstadt" spekulierte über die urbane Zukunft. Ob optimistisch oder düster: Der Futurismus ist wieder im Kommen - Architekt Liam Young über die Stadt von morgen

Die Zukunft schien in der Architektur ziemlich altmodisch geworden zu sein. Seit den fliegenden Träumen der 60er, als Pop-Art- Büros wie Superstudio aus Italien und Archigram aus London ihre Walking Cities wie riesige psychedelische Yellow Submarines durch die Welt von morgen staksen ließen, ist der Blick nach vorn immer grimmiger, humorloser und pessimistischer geworden.

Wang Shu wurde am Freitag als erstem Chinesen der Pritzker-Preis verliehen. Ein Gespräch über die Gefahren des Baubooms und die Poesie chinesischer Gärten

STANDARD: Im Februar wurde Ihre Kür zum Pritzker-Preis-Träger bekanntgegeben. Hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Wang: Mein Leben ist noch genau dasselbe. Doch in China wurde der Preis sehr genau registriert. Sie müssen wissen, dass Architektur in China erst in den 1990er-Jahren überhaupt in den Medien beachtet wurde. Die Öffentlichkeit hat sich bisher jedoch fast gar nicht dafür interessiert. Das ändert sich gerade.

STANDARD: Wie reagieren die Architekten auf diese Resonanz?

Wang: Die jungen Architekten sind von dieser Aufmerksamkeit natürlich begeistert. Und die älteren, die in den Planungsstellen im System arbeiten, wachen langsam auf und beginnen zum ersten Mal, Kritik an der Überkommerzialisierung unserer Städte zu üben.

STANDARD: Das heißt, die Architekten haben bisher geschlafen?

Wang: Ja. Die heutigen Architekten sind eine Generation, die ihre kulturelle Identität und ihre Fähigkeit, Dinge historisch einzuordnen, verloren hat. Der Grund dafür ist, dass die Entwicklung viel zu schnell vorangeht und man vor lauter Zeitmangel die wichtigen Probleme immer weiter aufschiebt. Ein zweiter Grund ist die Kommerzialisierung und Politisierung. Die massive Verstädterung und Bauwut haben das harmonische Zusammenleben und die gewachsene Kultur nahezu zerstört.

Architekt Shigeru Ban ist mit Leichtbaukonstruktionen aus Papier weltweit bekannt geworden - Wie er jetzt den Tsunami-Überlebenden hilft

 

Was hat Sie als etablierten Architekten dazu bewogen, ein Netzwerk von freiwilligen Architekten zu gründen und sich der Katastrophenhilfe zu widmen?

Shigeru Ban: Ich war von meinem Berufsbild als Architekt enttäuscht. Wir Architekten arbeiten fast immer für die Privilegierten. Sie haben Geld, Macht oder beides und beauftragen uns, ihnen Denkmäler zu bauen, die diese Macht symbolisieren. Das war schon immer so. Mein Büro tut das genauso - im Moment bauen wir zum Beispiel ein Museum. Aber ich möchte meine Erfahrung auch für die Allgemeinheit nutzen. Das ist unsere Verantwortung! Wenn eine Naturkatastrophe passiert und in kurzer Zeit Notunterkünfte benötigt werden, ist von den Architekten meistens weit und breit niemand zu sehen. Dabei könnten wir hier vieles verbessern, wenn wir helfen. Also sollten wir das tun.

Dominique Perrault baut in Wien das höchste Gebäude Österreichs. Ein Gespräch über die Herausforderungen der Donau-City

Für die noch unbebauten Teile der Donauplatte entwarf der französische Architekt Dominique Perrault den Masterplan, bestehend aus einer langen Terrasse zur Neuen Donau und den Zwillingstürmen der DC-Towers. Mit 220 Metern wird der zurzeit noch in Bau befindliche DC Tower 1 bei seiner Fertigstellung Mitte nächsten Jahres das höchste Gebäude Österreichs sein. Er wird den Millennium Tower um 18 Meter überragen. Der Baubeginn des zweiten Turms ist noch ungewiss. Heute, Samstag, wird Dominique Perrault auf dem Turn-On-Architekturfestival im Radiokulturhaus das Projekt vorstellen.

STANDARD: Die Donau-City hat es bis heute nicht geschafft, ein lebendiger urbaner Ort zu werden. Können die DC Towers das ändern?

Perrault: Die Straßenebene der Donau-City ist bis heute sehr unfreundlich und hat keine Verbindung zum Fluss. Dabei ist die Neue Donau und der Blick auf die Stadt hier das wichtigste Element. Als ich vor acht Jahren den Masterplan vorschlug, wollte ich eine besondere Skyline schaffen. Ganz einfach mit einer vertikalen Silhouette durch die Türme und einer horizontalen, einem funktionierenden Übergang zur Neuen Donau. Die Donau-City ist sehr hart, sehr mineralisch. Mit der Terrasse über die ganze Breite bringen wir ein weiches, landschaftliches Element hinein.