Zu Ende getanzt

Fast unbemerkt ist eine noch junge Ikone der Architektur zerstört worden. Kein gutes Omen für das leichte Bauen in Zeiten der Schwere.

Viel zu früh. Das war, auch unter ihren zahlreichen Kritikern, der einige Tenor nach dem unerwarteten Tod von Zaha Hadid. Auf der Höhe ihres Ruhmes, mit so vielen noch unfertigen, ungebauten und unerdachten Bauten im Portfolio. Ein abruptes, hartes Ende für die so vitalen, fließenden und tanzenden Formen.

Bei aller Trauer um den Verlust dieser fast überlebensgroßen Figur, die den Architekturdiskurs der letzten Jahre auch in der Öffentlichkeit bestimmt hatte, war ein anderes abruptes Ende eines Tanzes fast unbemerkt vor sich gegangen. Im Jänner dieses Jahres war Rem Koolhaas' Nederlands Dans Theater (NDT) in Den Haag dem Erdboden gleich gemacht worden, und das im jungen Alter von gerade mal 29 Jahren.

Eines der ersten größeren Werke seines Büros, war das NDT bei seiner Fertigstellung 1987 schon eine Ikone. Eine bunte, metropolitane Collage, spielerisch, provokativ, und frisch wie ein gerade gebackenes Semmerl. Eine Feier der Leichtigkeit, der Veränderung, des Optimismus. Noch dazu war der ursprünglich für die Küstenpromenade vorgesehene Theaterbau äußerst kostengünstig, und der Saal für Tanzaufführungen hervorragend geeignet. In seiner Anordnung war das NDT maßgeschneidert für seinen Ort, und gleichzeitig von Anfang an etwas fehl am Platz in der seltsam formlosen Bürokratiewüste der Verwaltungsstadt Den Haag.

"Demolished" heißt es jetzt lakonisch im Eintrag auf der OMA-Website. Rem Koolhaas selbst gab sich erwartbar cool, schließlich war "ewiges Leben" nie ein angestrebter Charakterzug seiner Bauten. Dennoch wirken die Bilder, mit denen Fotograf Hans Werlemann die schrittweise Zerstörung des erstaunlich neu und unverbraucht wirkenden Baus dokumentierte, deprimierend, wie ein uneingelöstes Versprechen, ein Akt des Vandalismus. "Viel zu früh", lautet auch hier das Klagelied.

Ersetzt wird das Tanztheater durch einen Neubau von Architekt Jo Coenen, der wie eine Mischung aus burmesischem Tempel und stalinistischer Parteizentrale anmutet und sich perfekt ins Regierungsviertel mit seinen karikaturenhaft postmodernen und ministerialbarocken Bürobauten einfügt. Ein dröges Dröhnen, in dem nur noch Richard Meiers strahleweißes Stadthaus die Fahne der Leichtigkeit hochhält und sich sichtlich unwohl fühlt.

Ein Einzelfall oder das Ende einer Ära? Die Indizien sprechen für letzteres. Die spielerische Leichtigkeit in der Architektur ist auf dem Rückzug. Das steinerne Berlin wird immer steinerner, obwohl man das kaum noch für möglich gehalten hätte. Die Bauten von Architekten wie Bernd Albers finden bisher unbekannte Schnittmengen zwischen Schinkel, Ceausescu und preußischer Repetitionsfreude in strengstem Achsmaß. In Ungarn träumt Viktor Orban von imperialen Schlossrekonstruktionen, in der mazedonischen Hauptstadt Skopje werden die modernen Bauten aus dem Erbe von Kenzo Tanges Masterplan heute mit neoklassizistischen Kitschfassaden verblendet, Alexander-der-Große-Reiterstatuen inklusive. Unweit davon, an der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni wird die Europa weiter gebaut, erst ein leichter Zaun und eine "Tür mit Seitenteilen", dann vielleicht eine Donald-Trump'sche Mauer.

Im von Sicherheitsdiskussionen verunsicherten Europa von heute haben es Spiel und Leichtigkeit deutlich schwerer als in den unbeschwert hedonistischen und globalistisch-naiven 80er- und 90er-Jahren. Stattdessen staatstragende Massivität und steingewordene Angst, wie in der Orwell’schen Düsternis der durchgerasterten BND-Zentrale von Kleihues + Kleihues in Berlin.

Die Leichtigkeit von heute findet sich im dringend benötigten Leichtbau der Notquartiere, des schnellen Bauens, wie sie die Novelle der Wiener Bauordnung möglich machen soll. Das wird vermutlich nicht sehr bunt und spielerisch, aber wer weiß, vielleicht ergibt sich dadurch neben der Schaffung von Schutz und Obdach auch die Renaissance einer Architektur, die nicht auf steinerne Ewigkeit ausgerichtet ist, sondern auf Innovation und nicht von Angst gelähmten Optimismus.

Wenn nicht, bleibt zumindest der Trost, dass sich die Tänzer des Nederlands Dans Theater auch in einer stockkonservativen räumlichen Hülle provokant und progressiv bewegen können. Und es bleibt die Mahnung, dass sich auch wild tanzende Architektur in angstbestimmten und undemokratischen Milieus und in den Reservaten der oberen 1 Prozent äußerst wohlfühlen kann. Die Nachrufe auf Zaha Hadid singen, wenn auch in angemessener Dezenz, ein Lied davon.

 

Erschienen in: 
Kolumne "Planpause", Der Plan, Heft 37, Mai 2016