Wenn Städte zu Donuts werden

Wenn Handelsbetriebe auf die grüne Wiese wandern und die Mitte sich leert, wird das für Kleinstädte bald zur Existenzfrage. Die erste österreichische Leerstandskonferenz suchte nach Strategien gegen die Verödung.

Staubige Auslagen in brandneu gepflasterten, aber menschenleeren Straßen im Ortskern. Baumarkt, Lagerhaus, Getreidesilos und schäbige Einkaufszentren entlang der Bundesstraße am Ortsrand. Ein Bild, das landauf, landab wiederkehrt. Mag der gewerbliche Leerstand in der Wiener Einkaufsstraßen noch ein ästhetisches Problem sein, wird der Exodus bei Handelsflächen in kleineren Gemeinden schnell zur Existenzfrage. Ziehen Frequenzbringer wie Apotheken oder Bäcker weg, verödet das ganze Zentrum.

Ob und wenn ja wie hier gegenzusteuern ist, damit beschäftigte sich vorige Woche die erste österreichische Leerstandskonferenz im oberösterreichischen Ottensheim. Initiiert von den umtriebigen Architekten von nonconform, kam ein breites Teilnehmerfeld aus Architektur, Raumplanung, Verwaltung, Stadtmarketing und Wirtschaft aus Österreich und Deutschland zusammen.

Was dabei schnell klarwurde: Den Österreichern geht es hier noch verhältnismäßig gut. Ostdeutsche Städte wie Leipzig verzeichneten einen Leerstand von 60.000 Wohnungen. Im ländlichen Bereich, der rapide überaltert, kommt es schnell zum "Donut-Effekt", wie Hilde Schröteler-von Brandt, Professorin an der Uni Siegen, erklärte. Gerade die identitätsprägenden Ortszentren entleerten sich zuerst. Wo die Einwohner fehlen, rutschen auch die Handelsflächen mit ins Donut-Loch. Wenn wie in Südwestfalen ganze Regionen langsam ausbluten, hilft auch ein auf Konkurrenz setzendes Stadtmarketing nicht mehr viel - die Erfolge liegen hier in der Vernetzung.

Wesentliches Erfolgskriterium dabei: Ein fundiertes Leerstandsmanagement. Das heißt, Daten zu erheben und verfügbar zu machen, um überhaupt ein Bewusstsein für das oft viel zu lange verdrängte Problem entstehen zu lassen. Erst dann kann der Markt wieder belebt werden. In Waidhofen/Ybbs bemerkte man bei der Vorbereitung zur Landesausstellung 2007, dass das Stadtzentrum zwar prachtvoll saniert und hübsch anzusehen, aber fast ausgestorben war. Der als Alarmsignal geltende Prozentsatz von 20 Prozent gewerblichen Leerstands war nahezu erreicht. Als Gegenmaßnahme beschloss die Gemeinde einen Mietzuschuss für Handelsflächen bis 150 Quadratmeter in den ersten drei Jahren. "Anfangs gab es dagegen Proteste der alteingesessenen Betriebe", berichtet Johann Stixenberger, Unternehmer und Berater der Stadterneuerung in Waidhofen. "Als der Leidensdruck hoch genug war, haben auch sie eingesehen, dass etwas geschehen musste."

Für Interessenten richtete die Stadt eine Hotline ein, um Informationen über verfügbare Objekte zu erleichtern. "Vorher musste man fünfmal herumtelefonieren, um überhaupt den Eigentümer herauszufinden", sagt Stixenberger. Mit dieser provisionsfreien Transparenz mache man sich bei den Maklern zwar keine Freunde, diese seien aber ohnehin nur an Gesamtobjekten und kaum an der Vermarktung einzelner Ladenflächen interessiert.

Ein speziell österreichisches Hindernis dabei: Die Überregulierung durch Denkmalschutz, Brandschutz und Bauordnungen macht schnelle, niedrigschwellige Verbesserungen fast unmöglich. Fraglich bleibt, ob kommunale Mietzuschüsse, wenn überhaupt leistbar, langfristig Erfolg haben. Klar ist: Was letztendlich zählt, ist der Umsatz der Ladenbesitzer. "Dazu braucht man Frequenzverstärker wie Bäcker, Café, Arztpraxen und auch Schulen. Die machen 50 Prozent der Tagesfrequenz aus", erklärt Stixenberger. Doch trotz Finanzspritzen und Anreizen geht ohne Beteiligung der Bevölkerung nichts. Temporäre Nutzungen, wie in Stadt Haag oder Ottensheim, das trotz Leerstands aufgrund der nähe zu Linz noch relativ gut dasteht, helfen bei der Initiative und Bewusstseinsbildung. Ob jedoch die Kaufkraft von der grünen Wiese irgendwann wieder ins Zentrum zurückschwingt, bleibt abzuwarten.

 

"Das Wort Schrumpfung ist in Österreich tabu"

Ulrike Böker ist Bürgermeisterin in Ottensheim (OÖ) und war Gastgeberin der Leerstandskonferenz. Was also kann man als kleine Gemeinde gegen die Leere ausrichten?

Welche Probleme hat man als Bürgermeisterin mit Leerstand?

Böker: Wie überall hat die Ansiedlung der Handelsketten am Ortsrand überhandgenommen. Die Betriebe im Ortszentrum verschwanden, und es kam die Angst vor Verödung. Als dann die einzige Apotheke, ein großer Frequenzbringer, ins Einkaufszentrum abwanderte, haben wir begonnen, die Potenziale des Ortskerns auszuloten. Das ist aber ein langfristiger Prozess.

Was wurde konkret unternommen?

Böker: Zuerst eine Bestandsanalyse des Leerstands. Dann haben wir Diskussionsforen mit Experten gegründet, um vor allem bei den Eigentümern ein Bewusstsein für die Probleme zu erreichen. Es gibt auch eine Raumbörse im Internet und einen Stammtisch für Eigentümer und Raumsuchende.

In welchem Ausmaß bewegt sich der Leerstand?

Böker: Von den Ladenlokalen stehen etwa 15 bis 20 Prozent leer. Wir versuchen, diese mit temporären Nutzungen wie Kunst und Kultur zu beleben. Dazu müssen aber die Eigentümer, die keinen Verwertungsdruck haben, überzeugt werden, einen niedrigen Mietpreis anzusetzen. Das geht nur, wenn ihnen klar ist, dass das gesamte Leben im Ort auf dem Spiel steht. Bei einigen bewegt sich schon etwas, wir hoffen, dass dadurch ein Schneeballeffekt entsteht.

Wie gehen Sie mit dem Speckgürtel am Ortsrand um?

Böker: Wir dämmen ihn ein. Es wurde ein Masterplan beschlossen, der verhindert, dass an der Bundesstraße alles mit flachen Gewerbebauten zugepflastert wird. Das führt natürlich zu Widerständen, damit macht man sich nicht nur Freunde! Aber es gibt einfach schon genug große Handelsflächen am Ortsrand. Wir wollen nicht noch mehr.

Ihr Fazit aus der Leerstandskonferenz?

Böker: Ich habe viel dazugelernt. In Deutschland wird das Thema viel offensiver angegangen. In Österreich darf man das Wort "Schrumpfung" ja nicht in den Mund nehmen. Aber verglichen mit anderen geht es uns in Ottensheim noch relativ gut.

 

Ulrike Böker gründete in den 90er-Jahren eine Bürgerliste in Ottensheim bei Linz. Seit 2003 ist sie dort Bürgermeisterin.

(erschienen in: DER STANDARD, Gewerbeimmobilien, 29./30.10.2011)