Muss Architektur politisch korrekt sein, oder ist sie per se politisch zahnlos? Über die Moral des Bauens, zwischen Stars und Favelas.
"Die wollen sich doch nur bereichern!" Es ist eine immer wieder erstaunliche Tatsache, dass kaum eine Berufsgruppe diesen stereotypen Vorwurf so oft zu hören bekommt wie die Architekten. Selten hört man, dass Klempnern, Friseuren, Unfallchirurginnen oder Taxifahrerinnen hämisch nachgesagt wird, sie würden das, was sie tun, nur des Geldes wegen tun. Selbst den in Boni badenden Bankern wird ihr schwindelerregender Reichtum bei mancher Mißgunst noch nachgesehen, wohl weil der Laie nicht zugeben will, dass er nicht ganz versteht, was die Bonibanker eigentlich tun. Bei den Architekten glaubt er dies sehr wohl zu wissen, und paart den Bereicherungsvorwurf gerne mit dem der "Selbstverwirklichung", offenbar etwas furchtbar Verwerfliches.
Entweder Dienstleister mit Bezahlung oder Künstler, dann aber bitte umsonst? Die wenigen vielbezahlten Künstlerarchitekten kamen bisher dank Glam-Faktors meist glimpflich davon. Nicht mehr, wie der Fall Zaha Hadid zeigt. Die Fragen nach den Zuständen im Umfeld des Bauens, von den Baustellen in Katar über Land-Grabbing in Afrika und Zerstörung von Stadtstrukturen in China werden lauter. Nein, die Stars sind hier nicht schuldiger als die anderen, doch wenn gerade sie beteuern, man sei eh das schwächste Zahnradl in der Maschine und man könne ja leider, leider eh nicht, selbst wenn man wollte, klingt das etwas schief.
Einen besonders schrillen Tonfall nimmt die Selbstverteidigung an, wenn Patrik Schumacher von ZHA klagt, dass die Biennale, früher eine so schöne Gelegenheit für Architekten, unter sich zu bleiben, heute von "politischer Korrektheit" infiziert sei. Wenn Schumacher jedoch im nächsten Atemzug radikale Marktliberalität ohne staatliche Einmischung fordert, also eindeutig politisch agiert, verbaut er sich selbst den argumentativen Rückweg ins Paradies der schönen, reinen Formfindungen.
Nun ist Biennale-Direktor Rem Koolhaas, dessen OMA selbst in Katar eine Zweigstelle betreibt, vermutlich nicht an einem Heiligenschein für Architekten interessiert. Doch sein waches Sensorium für die Rolle des Architekten im politischen Umfeld hat er oft genug bewiesen. Für ein "Wir zeigen uns unsere neuesten Renderings und stoßen darauf an"-Festival würde er vermutlich nicht ins Flugzeug steigen.
Architektur war und ist nun mal politisch, und auch das Bewusstsein dafür lebt - das mag an der Finanzkrise liegen - zur Zeit wieder auf. In den Grassroots-Bauten in Burkina Faso, Indien und Brasilien, wie sie vor einigen Monaten in der ausgezeichneten Ausstellung "Think Global - Build Social" im AzW gezeigt wurden. Eine ebenso wichtige, wenn auch ungleich dystopischere Schau war dieses Jahr in Berlin zu sehen: Mit "Forensis" wurden Architektur und räumliche Analysen als Methodik zur Darstellung globaler Verbrechen herangezogen. Drohnenangriffe, geheime Staatsgewalt, Siedlungspolitik in Israel, Kriegsverbrechen in Bosnien. Eine Ausstellung, die man mit geöffneten Augen und grimmigem Gemüt verließ.
Organisiert wurde die Ausstellung von Eyal Weizman, der an der Universität London das Team "Forensic Architecture" leitet, mit dem er "architektonische Beweise" für internationale NGOs oder die Vereinten Nationen sammelt. Weizman firmiert auch als einer der "Rebel Architects", die in der gleichnamigen Serie auf Al Jazeera vorgestellt werden. Die anderen Rebellen und Guerilla-Architekten arbeiten in ähnlichen Randbezirken des Bauens, von Pakistan über Vietnam bis zu den Favelas von Rio. "Uns kam es pervers vor, dass es in der Architektur nur um die Ästhetik weniger ikonischer Bauten geht, deren Hauptfunktion es ist, die Personen zu glorifizieren, die das Geld haben, sie zu errichten," sagt Dan Davies, Initiator der "Rebel Architects"-Serie.
Ob die globale Architektur wirklich so im Sternenzauber der Handvoll Promi-Architekten gefangen ist, wie Davis behauptet, mag man anzweifeln. Wenn man nicht gerade am Südpol steht, findet man, wo immer man ist, im Radius von 100 Kilometern genug, was architektonisch relevanter ist als das fünfundsiebzigste Kulturzentrum am Persischen Golf. Doch wenn sich ausgerechnet die prominente Handvoll in ihrer dünnhäutigen Reaktion auf Vorwürfe und Nachfragen mit herablassenden Bemerkungen über die "politisch Korrekten" in ihre parametrischen Elfenbeintürme zurückzieht, verstärkt sie nur die Ressentiments gegen den Architektenberuf, zum Schaden aller.
Natürlich: Keineswegs sollen jetzt alle Architekten alles stehen und liegen lassen und ins nächstbeste Krisengebiet eilen. Aber sie haben die Tools und das Wissen, sich nützlich zu machen, und sie haben einen Sinn für Verräumlichung der Gesellschaft. Sie müssen es der Gesellschaft nur sagen. Vielleicht hört sie sogar zu.