Parlez-vous Architektur?

Nicht nur der Jurist liebt Kauderwelsch: Auch Architektenlatein kommt anderen oft spanisch vor. Und bedeutet manchmal - nichts.

Das Juristendeutsch wird oft und gerne geschmäht, wenn es im Dienste der unmißverständlichen Präzision zu hermetischen, aufgequollenen Satzungetümen führt. Die Buchhandlungen halten Wörterbücher Anwalt-Deutsch/Deutsch-Anwalt und Humoristisch-Augenzwinkerndes zum Thema bereit. Das ist das berüchtigtste Beispiel, doch auch andere Disziplinen haben ihren Jargon, der für andere zur Fremdsprache wird.

Liest man zum Beispiel Texte zur zeitgenössischen Kunst - solche, in denen es als unabdingbarer Grundsatz gilt, dass ein Kunstwerk eine "Intervention" zu sein hat - springen einen aus allen Ecken die notorischen Begriffe "Diskurs" und Kontext" an, manche dieser Texte scheinen sogar ausschließlich aus diesen beiden Wörtern zu bestehen. Sie klingen, als habe sich jemand Gedanken gemacht, sind universal verwendbar, und passen in jeden (pardon) Kontext. Ein Wortglutamat, nicht zu knapp ins Textsüppchen gekippt, damit es schön sättigend schmeckt.

Die Architekten stehen dem kaum nach, was den schnellen Zugriff auf wolkiges Wortgut angeht. Sieht man von richtigen und wichtigen Fachbegriffen ab, die Dinge und Prozesse beschreiben, die es eben nur im Bauwesen gibt, finden sich auch bei uns Äquivalente zu "Diskurs" und Kontext". Durchgrünung und Durchwegung, Gliederung, Gestaltung und Zonierung, all dies natürlich bespielbar und erlebbar, markant und dynamisch. Die Top-Spots im Glutamat-Ranking halten jedoch die Universalattribute "differenziert" und "strukturiert". Sie erfreuen sich permanenter Beliebtheit, denn das Ding, das auf dieser Welt nicht differenziert oder strukturiert werden kann, muss erst noch erfunden werden.

Eine Google-Textsuche in Projektbeschreibungen ergibt eine Fülle von Belegen: Fassaden und ihre Staffelungen, Baukörper und ihre Höhen, Freiflächen und Spielflächen, Buschwerk und Gräser, Dachböden und Dachlandschaften, sogar Abstraktes wie die Arbeit der Architekten an sich, all dies ist schon durchstrukturiert und durchdifferenziert worden. Natürlich verstehen sich die beiden Begriffe untereinander auch bestens, daher werden gerne Strukturen differenziert, und (etwas weniger häufig) Differenzen strukturiert.

Man versteht natürlich, was gemeint ist. Es ist auch nicht falsch. Doch, ganz ohne Bosheit, es drängt sich oft der Verdacht auf, dass es mehr darum geht, einen professionellen, akademisch klingenden Sound herzustellen, als eine genaue Aussage zu treffen. Denn, Hand aufs Herz: Was ist eine "differenziert gestaffelte Fassade" anderes als: Eine gestaffelte Fassade? Was unterscheidet ein "strukturiert zoniertes Büro" von einem ganz normal zonierten Büro? Gibt es eine Zonierung ohne Strukturierung? Oder kurz gesagt: Eine Zone ohne Struktur? Ein Substantiv ohne suffixsatte Substantivierung?

Oft besagt der Wortwust nicht mehr, als dass Dinge eben da sind, wo sie sind. Die Information, ein Gebäude weise "eine Stütze als Teil der räumlichen Struktur" auf, ist semantisch exakt deckungsgleich mit der Aussage: "Es gibt eine Stütze". Gleiches gilt für das aus der Welt der Wellness-Werbung herüberdiffundierte Weichwort "erlebbar". Ist es erwähnenswert, dass ein sichtbar belassenes Gewölbe "erlebbar" ist? Und wenn ja, was bedeutet das? Kann ich das Gewölbe riechen, anfassen, hören, schmecken? Genügt es nicht, dass man es sehen kann? Natürlich wollen wir in Zeiten des ganzheitlichen Denkens,  dass Architektur alle Sinne betrifft. Nur sollten wir diese dann auch konkret benennen können. Denn erlebbar ist ein Bauwerk von seinen Benutzern immer, denn Benutzer sind in der Regel Lebewesen.

Wenn sich, was gar nicht selten vorkommt,  all diese Begriffe zusammenballen, kommt meist wenig mehr raus als ein vages "sowohl als auch". Differenziert erlebbare Bespielbarkeiten in dynamischen Baukörpern, strukturiert als markante Solitäre, für Nutzer aller Art. Die so umschriebene Architektur kann also irgendwie alles, für irgendwie alle.

Das alles mag nach Korinthenschubserei klingen. Und klar: Innerhalb der Architektenschaft, in Baubeschreibungen, in Wettbewerbsjurys, spricht man die gleiche Sprache, und jeder weiß, was mit Durchgrünung und Durchwegung gemeint ist. Dringt dieses Vokabular jedoch an die Öffentlichkeit, erntet man bei dieser zuerst Fragezeichen, dann Ausrufezeichen bestätigter Vorurteile über Architekten als weltfremde Technokraten. Und da es eh schon schwer ist, den Laien die Gedanken hinter der Architektur zu erklären, ist das doch jammerschade.

 

(Kolumne "Planpause", erschienen in: Der Plan, Heft 25, 9.Juli 2012)