Hochhaus ohne Fundament

Das Projekt Danube Flats auf der Donauplatte zeigt, wie in Wien Hochhäuser ohne Rücksicht auf Masterpläne aus dem Nichts auftauchen.

An kaum einem Ort lässt sich die die Funktionsweise und das Verständnis von Stadtplanung der letzten Jahre in Wien so deutlich ablesen wie auf der Donauplatte. Kaum mehr als 30 Jahre alt, wird einem hier auf dem dick betonierten Silbertablett eine wahre Archäologie von Ambitionen präsentiert. Ein Sammelsurium von Ansätzen, ein Friedhof für Masterpläne.

Der Zustand auf Bodenebene ist allgemein bekannt: Die Erdgeschosszonen sind auf die Tiefgaragenebene abgesunken, darüber pfeift der Wind durch ohne Sinn für Proportion und Gesamtheit zusammengestellte Monolithe. Man kann es Hochhauscluster nennen, ein funktionierender Stadtteil ist es nicht.

Der erste Masterplan war schon beim Flächenwidmungsplan 1995 Makulatur. Als es später darum ging, die übrig gebliebenen Restgrundstücke im Nachhinein mit einer Simulation langfristiger Strategie zu versehen, taufte man den Entwurf von Dominique Perrault für die DC Towers und deren unmittelbare Umgebung ebenfalls zum Masterplan um.

Harry Seidler hatte auf der anderen Seite der Wagramer Straße mehr Erfolg: Sein Masterplan wurde größtenteils realisiert, sein Wohnturm ist eine fixe Größe in der Stadtsilhouette. Das daneben vorgesehene 60-Meter-Hochhaus wurde damals vom Gestaltungsbeirat mit dem Argument abgelehnt, der Standort sei nicht für Wohnnutzung geeignet. Stattdessen entstand das unansehnliche und wirtschaftlich zum baldigen Untergang verdammte Cineplexx.

So schien das Sammelsurium Donauplatte seinem Endzustand entgegenzuwuchern - bis im letzten Herbst plötzlich an exakt dieser Stelle ein weiteres Hochhaus auftauchte: Die 147 Meter hohen "Danube Flats" der Developer Soravia und S&B Group, die nun anstelle des Cineplexx in Top-Lage die Blickachse an der Reichsbrücke dominieren sollen. Die Bewohner des Seidler-Turms fühlten sich überrumpelt, eine Bürgerinitiative formierte sich.

Der Vorwurf, dieser gehe es nur um das Luxusproblem des eigenen Ausblicks, greift dabei zu kurz. In der Tat gibt es einiges zu kritisieren am Hochhaus, das aus dem Nichts kam. Statt des im Hochhauskonzept vorgeschriebenen Wettbewerbs wurde eine "Alternative zum Wettbewerb" ausgeschrieben, von den fünf Teilnehmern gewann ausgerechnet das Architektenteam, dem die Schwester eines der Investoren vorsteht, was - ohne die Qualität des Siegerentwurfes herabzuwürdigen - einen schalen Nachgeschmack hinterließ.

Von der im Hochhauskonzept empfohlenen Beteiligung der Bürger war ebenfalls nichts zu sehen, das Projekt wurde präsentiert, als sei es bereits in trockene Tücher gewidmet. Die als Reaktion auf die Kritik vorgebrachten Versprechungen von Wohnungen für Einkommensschwache, einer besseren Anbindung an Donau und Radwege, und einer Fassadenbegrünung bis in luftige Höhen halten dem zweiten Blick ebenfalls kaum stand. Rechtliche Grundlagen für dieses Handschlagversprechen gibt es nicht, die Stadt Wien darf - anders als die meisten Bundesländer - in der Raumordnung keine privatrechtlichen Verträge abschließen. Die Anbindung an die Donau gibt es ohnehin schon, die Ausstattung mit Fahrradräumen im Projekt ist massiv unterdimensioniert.

Die grünen Ranken auf den Renderings schließlich folgen dem globalen Trend verführerischer Hochglanzbilder von üppig berankten, mit halben Regenwäldern gekrönten Wolkenkratzern. Eine plakative Deko-Ökologie mit zweifelhaftem ökologischen Mehrwert. Gründe, warum Bäume unter solch klimatischen Extrembedingungen nicht funktionieren, findet man reichlich, wenn man sich etwas mit Botanik beschäftigt. Über den Status der Visualisierung ist daher so gut wie kein Projekt herausgekommen - das erste wird Ende des Jahres Stefano Boeris (deutlich niedrigeres) Bosco Verticale in Mailand sein. Die Details, die die Danube-Flats-Investoren als Reaktion auf die Zweifel der Nachbarn präsentierten, ähnelten dann auch eher kleinen Blumenkisten für windzerzauste Mini-Thujen.

Wichtig waren diese Versprechen vor allem für die Grünen, die diese Entscheidungen jetzt regierungsbeteiligt mittragen und gleichzeitig einer Klientel verpflichtet sind, die aus einem historisch betonscheuen Soziotop stammt, für das "Stadtplanung" vor allem "Verkehr und Bäume" bedeutet und nicht gebaute Masse.

Keine Frage: Es gibt durchaus gute Gründe für ein Hochhaus in dieser Lage. Doch bedeutet es für Hochhauskonzepte, wenn Projekte, die deren Festlegungen mißachten, aus dem Hut gezaubert und nach Herauszauberung scheinbar widerspruchslos in Richtung Genehmigung durchgewunken werden? Ein weiterer Grabstein auf dem Friedhof der Masterpläne?

Erschienen in: 
Der Plan - Zeitschrift der Architektenkammer Wien, NÖ und Burgenland, Heft #27