Gartenstadt im Eigenbau

Die Ausstellung "Hands-on Urbanism" im Architekturzentrum Wien zeigt die Geschichte der Landnahmen von unten und die wiederkehrende Aufblühen des Informellen als städtische Überlebenstechnik in Krisenzeiten.

Die große Halle des Wiener Architekturzentrums ähnelt zur Zeit mehr einem Gartencenter als einem Museum. Es grünt in allen Ecken, es wird eifrig gegossen, gepflanzt und getopft. Zwischen der üppigen Botanik bietet sich eine Vielzahl kleiner, auf Bauzäune montierter Tafeln zum Thema "Recht auf Grün", dem Untertitel der Ausstellung. Eine, die man sich erarbeiten muss. Großformatige Hochglanzfotos, auf denen sich das Auge ausruhen kann, sind hier nicht zu finden. Dafür eine Fülle an Informationen zu kaum bekannten Beispielen für Städtebau von unten, für die Aneignung urbanen Freiraums durch die Bürger. Die von Kuratorin Elke Krasny ausgewählten Beispiele führen von den Anfängen der Schrebergärten in Deutschland und Österreich Mitte des 19.Jahrhunderts über kooperatives Schrottsammeln in Porto Alegre bis zum Kampf um finanziell und landwirtschaftlich lukrativen Boden im heutigen Hongkong.

Dabei macht die Ausstellung unmissverständlich klar, auf wessen Seite sie steht: Der Benachteiligten und Minderheiten, die sich in mutiger Eigeninitiative brachliegenden Freiraum nehmen und urbar machen. Es ist auch sicher kein Zufall, dass sich eine beachtliche Zahl Frauen unter den hier ausgewählten Aktivisten findet: Das Hull House, 1889 in Chicago von der späteren Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams im Zuge der sozialreformatorischen Settlement-Bewegung gegründet, vereinigt schon nahezu alle Aspekte, die sich in späteren Beispielen aus dem 20. und 21. Jahrhundert finden, in sich: die programmatische Beteiligung von Immigranten, Weiterbildung, Hilfe zur Selbsthilfe. Informelles Learning-by-doing hatte Priorität gegenüber der Erstellung akademisch starrer Masterpläne. Auf Ebenezer Howards Garden Cities of Tomorrow wollte man nicht warten, man fing einfach an.

Im kleineren und grüneren Rahmen tat es ihr Liz Christy gleich, die 1973 auf einer Brachfläche in der desolaten Lower East Side Manhattans auf damals wertlosem Grund einen Community Garden begründete, der heute noch besteht. Eine Anerkennung, die leider die Ausnahme ist. Dass diese Initiativen so gut wie immer durch gegenläufige Interessen bedroht sind, zeigt der ungleiche Kampf, den Becky Au von der Ma Po Po-Farm in Hongkong mit der Politik und Immobilienwirtschaft führt. Dort ist informelles Siedeln seit 1980 verboten, der Verwertungsdruck auf das verbliebene Freiland steigt, 80% des Geländes um Ma Po Po gehört bereits dem kanadischen Developer Henderson.

Trotz ungewisser Zukunft ist es aufschlussreich zu sehen, wie hier zwischen alten und neuen Siedlern landwirtschaftliches Know-how in urbaner Umgebung weitergegeben wird: Ein agrarisches Basiswissen, das in der Stadtgeschichte immer wieder verschüttet und vor allem in Krisenzeiten regelmäßig wieder ausgegraben oder re-importiert wird. Dass dies sogar auf Landesebene passiert, zeigt das Beispiel Kuba: Nach dem Ende der Sowjetunion von lebenswichtigen Importen abgekoppelt, kehrt man hier - aufgrund des US-Handelsboykotts ohne Öl und Maschinen - in den Städten wieder dazu zurück, ganz archaisch von Hand Gemüsebeete anzulegen. So schließt sich der Kreis von den Schrebergärten der 1860er Jahre.

Ein überaus reichhaltiges und in seiner erstaunlich beharrlichen Kontinuität bislang kaum gewürdigtes Stück Stadtgeschichte an der Schnittstelle von Landwirtschaft, Urbanismus, Stadtsoziologie und Wirtschaftspolitik wird hier aufgefächert. Ein sprödes aber lohnendes Sujet, für das man sich vielleicht einen weniger kryptischen Titel als "Hands-on Urbanism" gewünscht hätte - aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen in einem überzeugenden Plädoyer für das Lernen vom Informellen.

 

(erschienen in der "Bauwelt", Heft 21, 25.Mai 2012)