Feuer am Dach

Wohnen im Zeichen der Angst: Warum wird eigentlich plötzlich andauernd über das Thema Brandschutz diskutiert?

Es muss jetzt gleich zu Beginn etwas Unangenehmes gesagt werden. Und zwar folgendes: Leute sterben. Es ist unerhört, es ist skandalös, aber es ist so. Bisweilen sterben Leute in Häusern. Gar nicht so selten eigentlich. Das ist nicht lustig. Aber im Rückblick auf die gemeinsame Geschichte von Menschen und Behausungen kommt man zum Schluss: Es lässt sich wohl nicht komplett vermeiden. Nichts gegen das ehrbare Ziel der Risikominimierung, aber man bekommt den Eindruck, das Sterben in Häusern solle komplett und für immer eliminiert werden. Sie ahnen es schon, es geht hier um das Thema Brandschutz.

Wie gesagt: Ein ernstes Thema. Und doch ging es recht lustig zu, als es vor Kurzem bei einem Wohnbausymposium zur Sprache kam. Er habe sich nämlich, erzählte ein mit trockenem Witz und Eloquenz gesegneter Bauträger, die Brandursachen im Wohnbau genauer angeschaut, und offensichtlich brenne es am häufigsten in den Wohnungen alleinstehender alter Männer. Dabei bleibe es meistens auch, nur sehr selten greife das Feuer auf Nachbarwohnungen über, und praktisch nie auf Stiegenhäuser. Eben genau jene Stiegenhäuser, in denen - pardon - brandneue, teure und edle Druckbelüftungsanlagen nur darauf warten, endlich ihr ganzes Können zu zeigen. Sie warten sehr lange, und sie warten sehr wartungsintensiv. Der Kostenfaktor Brandschutz, so Bauträger und Architekten in seltener Eintracht, sei in stetem Steigen, er steigt wie leichter Rauch in die Sphären jenseits der Kosten-Nutzen-Effizienz. Aus tiefen, geränderten Augen, die vom Kampf gegen die immer stärkere Normenflut müde geworden waren, zwinkerten sich die Symposiumsteilnehmer wissend zu. Unter den Beschuldigten, was lähmende Kostentreiber und Hindernisse für die Qualität am Bau angeht, sind die Brandschutzvorschriften zur Zeit eindeutig auf Platz Eins.

Stimmt ja auch. Die Entdeckung des Feuers liegt ja nun schon eine ganze Weile zurück, der Mensch und das Feuer haben sich eigentlich weitgehend miteinander arrangiert. Es ist eine Beziehung ohne revolutionäre Innovationen. Gut, die Zeiten, als ganze Städte niederbrannten wie London 1666, Chicago 1871 oder Lissabon 1988, sind wohl vorbei. Aber wird nun niemals jemand mehr sterben, wenn auch im letzten Kammerl ein Brandmelder an der Decke klebt? Das wäre natürlich eine gute Sache. Nur brennt es in Altbauten, die die Segnungen der so hochtechnisierten wie lobbystarken Brandverhütungsindustrie noch entbehren, aber keineswegs viel öfter. Stattdessen, das weist die Statistik aus, entstehen Wohnungsbrände immer öfter durch Elektrik und Elektronik. Letztendlich also genau durch den High-Tech, der unser Leben bequemer und sicherer machen soll. Wenn eines Tages das vielbeschworene Internet der Dinge in unsere Wohnräume Einzug hält, wird die hochkomplexe Bordelektronik sicher so intelligent sein, dass sie die Brände löscht, die sie selbst verursacht. Sie wird dann nur leider so teuer sein, dass zum Wohnen nicht mehr viel Platz bleibt. Aber wenigstens werden wir uns sehr, sehr sicher fühlen in unseren Besenkammerln.

Wir wollen hier nicht in die oft gehörte Verteufelung des Nanny-State einstimmen, dieser hat ja auch sein Gutes. Es ist ja durchaus eine zivilisatorische Leistung, dass in Beisln nicht geraucht wird und auch den Airbag möchte man nicht mehr missen. Man kann sich aber fragen, warum nicht nur die lokale und globale Politik, sondern auch die Architektur immer mehr unter dem Diktat der Angst stehen. Der waffenstarrend finstere Begriff Homeland Security passt sicher nicht zufällig genau zur Aufstockung unserer Wohnbauten mit einem ganzen Arsenal der Abwehr gegen alle Eventualitäten der menschlichen Existenz. Ist es wirklich das höchste Ziel, jedes Risiko zu eliminieren? Aus Angst, verklagt zu werden, weil man einen hingefallenen Mieter nicht explizit auf die Existenz der Schwerkraft hingewiesen hat?

Vielleicht wäre es an der Zeit, neben Smart Wohnen, Jungem Wohnen und Mehrgenerationenwohnen ein Programm namens "Wohnen für erwachsene Menschen" ins Leben zu rufen. Im Vertrag wäre dann lediglich die Zeile "Ich bin mir des Risikos des Lebens an sich bewusst" zu unterfertigen. Sehr gerne würde der Autor dieser Zeilen auch die Idee eines bekannten Wiener Architekten realisiert sehen: Ein Wohnhaus, in dem alle Absturzsicherungen und Brandmelder eliminiert wurden - unter dem schönen Motto "Gefährlich wohnen". Es steht zu vermuten, dass dies nicht in täglichen Katastrophen und einem in rauchenden Trümmern liegenden Wien enden würde.

 

Erschienen in: 
Kolumne "Planpause", Der Plan, Heft 39, Oktober 2016