Kolumne "Planpause" in der Zeitschrift der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Wien, NÖ, Burgenland zum Heftthema "Berufsbild der Architekten 2030".
Gibt es im Jahr 2030 eigentlich noch Architekten? Steigen wir doch einfach mal in die Zeitmaschine und schauen nach.
Dienstag, der 1. Oktober 2030. Katharina, 28, verlässt ihre Wohnung und fährt mit dem Lift ins Erdgeschoss. In der FahrradLounge schließt sie per App ihr eBike auf. Als sie das Fahrrad auf die Mag.a-Barbara-Prammer-Promenade schiebt, während die morgendlichen Postdrohnen über ihr hinwegsausen, spürt sie das Vibrieren ihres AppleGoogle LifePad 8S: Eine Nachricht ihrer Freundin Yvonne. „Treffen wir uns heute im Deluxe-Beisl am Donaukanal? Bin 19 Uhr dort“. Katharina seufzt. Die Vorliebe ihrer ehemaligen Studienkollegin für die teuren Bars am Kanal ist eine ziemliche Überforderung für ihren Geldbeutel. Aber gut, Yvonne arbeitet als Feng-Shui-Consultant für eine große amerikanische Wirtschaftsprüfungsfirma und fährt jedes Jahr zur auf Firmenkosten für 4 Wochen zur Fortbildung nach Bali.
Eigentlich, überlegt Katharina, als sie auf dem Radweg am Professor-Hans-Hollein-Hof vorbeisaust, sind die meisten ihrer Mitstudenten mehr oder weniger Consultants. Das Studium war viel zu kurz, um zum Generalist zu werden, und für solche gäbe es ohnehin praktisch keine Jobs. Seit der letzten großen EU-Novelle ist es nur noch für sehr große Büros überhaupt möglich, alle Leistungen unter einen Hut zu bringen.
Katharina kennt eigentlich niemanden, der in so einem Büro arbeitet, die meisten ihrer Freunde sind Freiberufler. Matthias ist Architekturjurist, Stefan ist Architekturunternehmensberater, Ninel ist ÖNORM-Beraterin, Mesut ist Energieausweisarchitekt, Georg und Natalija haben sich zu zweit als kombinierte PR-Beratungs-Architekten und Architekten-PR-Berater selbstständig gemacht – alle natürlich EU-zertifiziert. Wieder andere sind Spezialisten für barrierefreie Bäder, für Absturzsicherungen oder Fluchtweglängenberechnung. Meist nur für eines dieser Dinge, denn die Zertifizierungskurse sind so teuer, dass sich nur wenige mehr als einen leisten können.
Von ihrer damals besten Freundin Colette hat sie lange nichts mehr gehört, laut ihrer Facebook-Updates macht sie gerade ein Aufbaustudium in Advanced Sustainability and Resilience Planning, für das sie ein Jahresstipendium von AppleGoogle ergattert hat. Was „Sustainability and Resilience Planning“ konkret bedeutet, weiß Katharina auch nicht genau.
Als sie auf den Aspern Bike Highway einbiegt, dort, wo laut Bautafel in Kürze das erste komplett 3D-gedruckte Hochhaus Österreichs entstehen soll, denkt, sie, dass sie es doch gar nicht so schlecht getroffen hat – Deluxe Beisl hin oder her. Katharina hat sich mit fünf anderen Architekten auf Umbau spezialisiert. Nachdem der soziale Wohnbau Mitte der 2020er Jahre aufgrund der Grundstückspreise praktisch komplett zum Erliegen gekommen war, hatte man begonnen, die vielen leerstehenden Büroflächen der letzten Jahrzehnte zu Wohnungen umzuplanen. Das Studentenwohnheim im ehemaligen DC-Tower war darunter nur das bekannteste Projekt.
Sicher eine bessere Entscheidung als die von vielen Absolventen, die voll auf das Thema Fassaden gesetzt hatten, nachdem auf Druck der Industrie ab 2026 alle Vollwärmeschutzfassaden komplett entsorgt und durch SmartFacades™ ersetzt werden mussten. Wie sich herausstellte, ein lukratives Geschäft für die Industrie, die dafür die Architekten überhaupt nicht benötigte. Ein paar von ihnen schlugen sich als Fassaden-Farbberater durch, die anderen eröffneten Mikrowirtshäuser auf dem Land.
Hätte sich vor 15 Jahren auch niemand gedacht, sinniert Katharina, als sie die Republikbrücke in Richtung 2.Bezirk entlangradelt, dass der Zug zurück aufs Land der Haupttrend der 2020er Jahre werden würde. Die mitteleuropäischen Städte waren damals für viele komplett unbezahlbar geworden, die Universität München etwa war in den Rankings auf den letzten Platz gerutscht, weil sich außer ein paar reichen Indern keine Studenten mehr ein Zimmer in der Stadt leisten konnten.
Gleichzeitig waren überall die Einfamilienhausgebiete aus den 60er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts freigeworden, nachdem auch die letzten ihrer Erstbewohner in Pflegeheime umgezogen waren. Viele der im Bausparluxus der damaligen Zeit absurd überdimensionierten Häuser waren nur schwer zu adaptieren, dafür waren sie für einen Spottpreis zu haben. Katharina und ihre Kollegen haben sich darauf spezialisiert, 8-Zimmer-Villen mit heute überflüssigen Dreifachgaragen und schlecht geschnittene Fertighaus-Grundrisse im Waldviertel und Südburgenland für zwei bis drei Patchworkfamilien adaptierbar zu machen.
Als Katharina ihr eBike an der Professor-Ironimus-Grünanlage neben ihrem Büro abschließt, fragt sie sich, ob für die Architekten eigentlich alles besser oder schlechter geworden ist. Sie ist sich gar nicht so sicher.