Die Architektur der Nachkriegszeit wird nach und nach wiederentdeckt, aber Kärnten blieb bisher ein weißer Fleck. Ein Forschungsprojekt dokumentiert nun die Ära der Süd-Moderne
"Alles Leben ist abgewandert in Baukästen, / neue Not mildert man sanitär, in den Alleen / blüht die Kastanie duftlos." Eine Architektur der trostlosen Sauberkeit beschreibt Ingeborg Bachmann 1957 in ihrem Gedicht Große Landschaft bei Wien.
Klinisch reine Kästen, ein Vorurteil, mit dem die Bauten, mit denen der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg vonstattenging, heute noch oft konfrontiert werden. Dabei war das nicht immer so. Auch nicht in Ingeborg Bachmanns Heimat Kärnten. Klagenfurt und Villach waren im Krieg stark zerstört worden, Villach war sogar nach Wiener Neustadt die am stärksten betroffene Stadt Österreichs. Es gab viel zu tun, viele Wunden zu schließen. In den Städten entstanden Verwaltungsbauten, Wohnbauten, Schulen, Gemeindezentren und Kirchen, außerhalb der Städte Seilbahnstationen und Kraftwerke.
"Wenn man die Berichte in den Lokalzeitungen der 1950er- und 1960er-Jahre liest, sind sie oft euphorisch", erklärt der junge Architekturforscher Lukas Vejnik. "Öffentliche Bauten konnten in Kärnten nicht modern genug sein, von Traditionalismus keine Spur!" Vejnik hatte sich seit langem mit dem Hotel Obir in seinem Heimatort Bad Eisenkappel beschäftigt, ein 1977 eröffnetes rotbraunes Stück Adria-Moderne mitten im Ortszentrum, seit langem leerstehend. "Ich habe mich gefragt, ob es ähnliche Bauten in der Region gibt und ob sie überhaupt dokumentiert sind."
Die Antworten auf diese beiden Fragen fanden sich schnell: Die erste: Ja. Die zweite: Nein. "Nicht nur werden die Bauten heute kaum wertgeschätzt, es klafft hier auch eine große Lücke in der Architekturgeschichtsschreibung", sagt Lukas Vejnik. Im Dezember 2018 bekam er für sein Projekt Architektur. Kultur. Landschaft. Nachkriegsmoderne im Alpen-Adria-Raum das Kärntner Architekturstipendium verliehen. Danach forschte er ein Jahr lang intensiv: in einem Seminar an der Universität Klagenfurt gemeinsam mit Simone Egger und Studierenden, kooperativ unterstützt vom Architektur Haus Kärnten und dem Landesmuseum Kärnten (LMK).
Es wurde in Archiven gestöbert, Friedrich Achleitners kritische Bestandsauf nahmen wurden konsultiert und bisweilen infrage gestellt, schließlich auf eigenen Exkursionen durch das ganze Bundesland den alten Fotos und Plänen nachgespürt. Oft folgte Ernüchterung, wenn das gesuchte Gebäude dann übermalt, umgebaut oder komplett verschwunden war. Oder auf einen seltsamen Torso reduziert, wie der ehemalige Sprungturm des Terrassenfreibads im Ort Klein St. Paul, der heute, seiner Sprungbretter beraubt, als rätselhaftes Monument in den Himmel ragt.
Denn manchmal bröckelte der moderne Enthusiasmus schon früh, oder die Traditionalisten behielten die Oberhand. So wie im Falle der Kirche von Kötschach-Mauthen, für die der große Roland Rainer einen Entwurf geliefert hatte, der ein Flachdach vorsah, was dem Bauausschuss der Gemeinde eindeutig zu weit ging. Die Eröffnung des schließlich spitzdachgekrönten Gotteshauses 1966 fand ohne den indignierten Wiener Architekten statt.
Dennoch deutet die Forschung von Lukas Vejnik nicht mit dem Zeigefinger auf die Stellen, an denen die Moderne scheiterte, sondern holt die Fälle ans Licht, bei denen sie funktioniert hat. "Die Bauten haben natürlich ihre Fehler, ihre Brüche, Ecken und Kanten, aber man kann lernen, damit zu leben." Und man lebt in Kärnten schon ein halbes Jahrhundert mit ihnen: In Klagenfurt mit der Universität, den Sternhochhäusern, dem Kelag-Hochhaus und dem eleganten Ruderverein Nautilus. Der wuchtigen Betonskulptur der Berg- und Talstationen der Ankogel-Seilbahn in Mallnitz und dem freundlichen Ferienheim der Wiener Sängerknaben in Sekirn.
Berühmte Namen sind dabei die Ausnahme. "Bei der Auswahl war es mir wichtig, dass nicht nur Stars wie Roland Rainer und Clemens Holzmeister dabei sind, sondern auch die vielen Unbekannten, die gute Architektur gemacht haben", sagt Lukas Vejnik. Namen wie die Kirchenbauer Elisabeth Baudisch und Eberhard Klaura, Ferdinand Brunner und seine Bildungsbauten oder Adolf Bucher, der sich unter anderem als landschaftlich sensibler Bäderarchitekt profilierte.
Einige von ihnen sind selbst in Kärnten heute vergessen, wie Vejnik feststellen musste: "Es ist interessant, dass wir in der Region mehr über Baumeister aus dem Mittelalter wissen als über die eigene Großelterngeneration." Ein einheitlicher Stil einer "Kärntner Moderne" lässt sich jedoch nicht ausmachen, zu verschieden waren die Einflüsse der damaligen Architektengeneration. Über die Karawanken kam der frische Wind der jugoslawischen Adria-Moderne, mit ihrer hohen Qualität, Produktivität und ihrem Ideenreichtum.
Andere Architekten hatten in der Schweiz und in Deutschland gearbeitet und brachten Ideen von dort mit. Dokumentiert sind die Bauten jetzt in Text und Plan sowie in den gestochen scharfen zeitgenössischen Schwarz-Weiß-Fotos des Fotografen Hans-Jörg Abuja (1919–2002), dessen Nachlass das Landesmuseum Kärnten 2018 angekauft hatte und dessen Fotos nun von den Studierenden um Lukas Vejnik und Simone Egger gesichtet wurden.
Als gegenwärtiges Gegenüber fungieren die Bilder des Fotografen Gerhard Maurer, der die Bauten in der soliden Alltäglichkeit ihres heutigen Zustands in allen Maßstäben vom Türknauf über den Handlauf bis zum Landschaftspanorama festhält, in lakonischer Präzision, weder ihre Einzigartigkeit zelebrierend noch ihren Verschleiß anklagend.
Diese Dokumentation ist jetzt in Buchform erschienen, die dazugehörige Ausstellung sollte eigentlich bereits Ende April eröffnet werden, sie wurde jedoch aufgrund der Corona-Pandemie verschoben. "Das Gute daran ist: Man kann sich in der Zwischenzeit die Gebäude an der frischen Luft anschauen", sagt Lukas Vejnik.
Eröffnet wird die Ausstellung dann im April 2021, in Adolf Buchers Haus der Begegnung in Klagenfurt. Pointierterweise genau an dem Ort, an dem früher der Ingeborg-Bachmann-Lesewettbewerb stattfand. Ein kleines Zeichen der Versöhnung – und wer weiß, vielleicht hätte die Patina der Jahrzehnte die Dichterin mit den damals so klinisch reinen "Baukästen" der Moderne versöhnt. Denn ob man sie mag oder nicht, sie sind längst Teil des Alltags in Stadt und Landschaft.