Die Architekturtriennale in Lissabon widmete sich aus portugiesischer Sicht der banalsten und gleichzeitig schwierigsten Bauaufgabe: dem Haus - Eine Rückschau
Die Besucher der von der Tageszeitung Daily Mail veranstalteten “Ideal Home Exhibition” im London des Jahres 1956 dürften aus dem Staunen nicht herausgekommen sein: Von der Zuschauergalerie betrachtet, erstreckte sich unter ihnen eine Wohnlandschaft mit einheitlich glatten, klinisch reinen Oberflächen. Sechseckige Tische tauchten auf Knopfdruck aus dem Boden auf, futuristische “electrostatic dust collectors” und “tellaloud speaking telephones” saugten und summten, der Kochbereich war bis zum idealen Standort fürs Marmeladenglas durchgeplant. Zur Erleichterung des Verständnisses führten eigens engagierte Schauspieler in Nylonpullovern von morgens bis abends die Handlungsabläufe des Wohnens pantomimisch vor. Eine Szene wie aus einem Traum von Jacques Tati.
Ganz tatimäßig auch der Name des Pavillons: House of the Future. Die planenden Architekten Alison und Peter Smithson hatten sich dazu auf einer Frankreich-Reise bei einem Höhlenbesuch inspirieren lassen: Die heimelig-runde embryonale Schutzhülle als Passform für den Rückzug in die vollautomatisierte Privatheit. Das Ehepaar Smithson sollte wenig später zu den führenden Exponenten des Pop und Brutalismus werden, ihre Ideen zum Haus der Zukunft erweisen sich heute als die langlebigeren. Sie bilden den Auftakt der Ausstellung der Trienal de Arquitectura in Lissabon, die dieses Wochenende nach zwei Monaten mit einem Symposium zu Ende geht.
Unter dem Motto “Let’s talk about houses”, das einer Zeile des portugiesischen Dichters Herberto Helder entnommen ist, widmete sich die Triennale ganz der scheinbar banalen Frage, was es bedeutet, ein Haus zu bewohnen, und was es bedeutet, eines für die Bewohner zu bauen - mit einer Bandbreite, die von drei umfangreichen Ausstellungen über Wettbewerbe bis zu Podiumsdiskussionen reicht, wurde die Triennale ihrer offenen Programmatik gerecht und zählte nach 40 Tagen bereits 40.000 Besucher. Der Pavillon der Smithsons, bei dem jede Bewegung des Bewohners vom Architekten vorausgeplant wurde, bildet hier das eine Extrem.
Der Gegenpol dazu bietet zugleich einen spannenden Einblick in die jüngere portugiesische Geschichte: Als am 25.April 1974 das Lied Grandola, Vila Morena im Radio erklang und als verabredetes Signal die Nelkenrevolution ins Rollen brachte, die Europas damals älteste Diktatur hinwegfegte, wurde das Bauen von Häusern über Nacht zu einem brennenden Thema. Die Probleme, die es zu lösen galt, waren immens: Die Kolonialkriege hatten 50 Prozent des Staatshaushalts verschlungen, ein Viertel der Bevölkerung lebte unter dem Minimalstandard, im ganzen Land fehlten 600.000 Wohnungen. Demonstrierende Massen zogen mit Slogans wie “Wir wollen Häuser!” und “Häuser ja, Baracken nein!” durch die Straßen von Lissabon und Porto.
Daher initiierte Regierungsmitglied Nuno Portas das Programm “Serviço de Apoio Ambulatório Local”, kurz SAAL. Das Ziel: Bauen mit den Bewohnern für die Bewohner. In den von politischer Radikalisierung geprägten Monaten nach der Revolution setzten sich Architekten und Bürger - darunter auffällig viele Frauen, Kinder und Alte - zusammen, diskutierten, planten und bauten, mal spielerisch, mal chaotisch, mal politisch geprägt. Dort, wo es einen konkreten Plan gab, war der Erfolg weit größer als dort, wo man sich in Grundsatzdiskussionen verlor. Als das Programm im Oktober 1976 von der Regierung abrupt gestoppt wurde, waren immerhin mehr als 2000 Wohnungen im Bau, an die 6000 standen kurz vor Baubeginn. Auch Álvaro Siza, heute die herausragende Einzelpersönlichkeit der portugiesischen Architektur, war daran beteiligt. Seine Wohnanlage in Porto wurde nach 30 Jahren im halbfertigen Zustand sogar noch 2006 fertiggestellt.
“Wir waren damals überzeugt, dass sich die Architektur der Realität, den Menschen zuwenden musste”, sagt Nuno Portas heute. “Wir sahen das Bauen als Dienstleistung, weniger als Kunst.” Der ebenfalls an SAAL beteiligte Architekt Alexandre Alves Costa fügt hinzu: “Häuser zu bauen war etwas, das alle anging. Wir konnten uns damals gar nichts vorstellen, das nicht für alle war.” Während diese Phase der Partizipation seither selbst in Portugal in Vergessenheit geriet, ist das gemeinsame Planen weltweit wieder gefragt, wenn auch nicht in Europa. Dies zeigt der Teil der Ausstellung, der sich mit Brasilien, Mosambik und Angola den ehemaligen Kolonien widmet. Für die angolanische Hauptstadt Luanda, bedingt durch Bodenspekulation eine der teuersten Städte Afrikas, während gleichzeitig ein Großteil der Wohnviertel auf Müllkippen errichtet wurde, hatte die Triennale einen Wettbewerb für einfache Wohnlösungen ausgelobt. Die 599 eingegangenen Vorschläge sollen dieses Jahr auch in Luanda gezeigt werden. Ob die Siegerprojekte auch realisiert werden, ist ungewiss.
Die Aufteilung der Ausstellungen auf verschiedene Kuratoren sorgte für eine gut fundierte Bandbreite, wenn auch die von Peter Cook zusammengestellte Präsentation skandinavischer Bauten unter dem Titel “Zwischen Nord und Süd” trotz architektonischer Qualität thematisch und geografisch nicht nachvollziehbar war. Überzeugender dagegen die Werkschau aktueller Projekte aus Portugal, in der sich das Land als Konzentrat heutiger Tendenzen zeigte. Auch hier tauchte wieder Álvaro Siza auf, diesmal mit einem Luxuswohnbau in der Altstadt von Lissabon, inklusive Panoramablick und vier Badezimmern pro Wohnung.
Diese Verwellnessung des Privaten steht ganz im Zeichen der Zeit. “Küchen und Bäder erfüllen heute nicht nur funktionelle Zwecke, sondern sind Räume, mit denen man sich seiner Identität vergewissert”, sagt die Anthropologin Filomena Silvano. Dennoch ist die Gentrifizierung der Innenstädte in Portugal bislang die Ausnahme. Noch immer ist beispielsweise die Altstadt von Porto - immerhin Weltkulturerbe - von Leerstand und Zerfall geprägt. Sowohl Porto als auch Lissabon haben seit den 80er-Jahren ein Drittel ihrer Einwohner ans Umland verloren, ein Umdenken setzt nur langsam ein.
Die gezeigten Häuser in Portugal sind daher fast alle am Stadtrand oder auf dem Land zu finden. Hier kam die Triennale wieder auf ihr Grundthema zurück: Wie sich das Wohnhaus als intimster Ort planen lässt, ohne den Bewohnern die Möglichkeit der Aneignung zu verbauen.
Dass dabei bisweilen einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten ist, zeigt das Projekt im Barrio Contumil in Porto: Bei der Sanierung des heruntergekommenen Wohnblocks fingen die Architekten mit dem Außenraum an, pflanzten Bäume und stellten Sitzbänke aus Betonfertigteilen auf. Die Bewohner reagierten anfangs mit Ablehnung und Unverständnis, inzwischen haben die Familien den Raum enthusiastisch in Beschlag genommen. Ganz anders das radikal einfache Hofhaus, das Rui Mendes für seine Bauherrin plante: Zwischen beiden entspann sich ein “Text über das, was das Haus sein könnte”. Dabei kamen sie sich so nahe, dass daraus eine Liebesgeschichte wurde - und aus dem privaten Ein-Personen-Wohnraum ein Haus der gemeinsamen Zukunft.
(erschienen in: Der Standard, 15./16.1.2011)