Wie durchsichtig ist Beton?

Wenn Architektur zum Politikum wird: Der Streit um das Kulturzentrum Mattersburg scheint kein Ende zu nehmen. Der brutalistische Bau erzählt eine Geschichte von Sichtbeton und Intransparenz, und vom Selbstverständnis der Sozialdemokratie.

"Unser Ziel: Dem burgenländischen Raum jene kulturellen, bildungspolitischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten zu geben, die bisher nur in Großstädten zur Verfügung standen. Den Grundsätzen einer freien und offenen Gesellschaft folgend, stehen die Burgenländischen Kulturzentren für eine freie Meinungsbildung." Diese so hehren wie klaren Worte wurden vor über 40 Jahren formuliert. Ihre Urheber: Unterrichtsminister Fred Sinowatz und Gerald Mader, Landesrat im Burgenland.

Es waren vor allem diese beiden Politiker, die sich in den 70er Jahren vorgenommen hatten, dem Bundesland am Eisernen Vorhang einen Schub in die Gegenwart zu versetzen. Bis dahin, so erzählt man, war die einzige Möglichkeit kultureller Teilhabe ein Bus, der einmal im Monat nach Wien fuhr und Kulturinteressierte zu Burgtheater und Staatsoper brachte. Die sozialdemokratischen Offensive für den ländlichen Raum sollte jedoch nicht der reinen Hochkultur dienen, sondern auch der lokalen Kultur ein Zuhause bieten: Gesangsverein und Brauchtum neben Brahms und Beethoven. Sichtbares Zeichen: Fünf neue, moderne Kulturzentren.

Das Material, das lokale Architekten wie Herwig Udo Graf und Matthias Szauer damals wählten: Sichtbeton. Schließlich herrschte gerade die Ära des Brutalismus. Weltweit waren es vor allem Bauten für  Verwaltung, Bildung und Kultur, die in diesem Stil entstanden. Entgegen dem landläufigen Ruf des Brutalismus als gebauter Zynismus waren es oft humanistische Ideale, die den wie Bildhauerskulpturen wirkenden Bauten zugrunde lagen.

Eine mächtige Betonskulptur war auch das im Mai 1976 eröffnete, von Herwig Udo Graf entworfene Kulturzentrum (KUZ) in Mattersburg. In der Mitte der wuchtige Bauvolumen des Veranstaltungssaals, daneben Räume für Gastronomie, Volkshochschule, Literaturhaus, Jugendtreff, Sauna. Fast verspielt die Sichtbetonmöblierung der Freiluftarena, die sich neben dem Saal ins Grüne erstreckte. Wie auch immer man zu Beton als Baustoff stand, das Kulturzentrum erwies sich als durchweg beliebt. Der Plan von Sinowatz und Mader war aufgegangen.

Umso erstaunter waren die Mattersburger, als das KUZ am 1.September 2014 geschlossen wurde. Schließlich waren Saal und Foyer erst im Jahr 2000 neu gestaltet worden, 2013 war eine neue Pelletsanlage installiert worden. Was seitdem geschah, hat sich zu einem Politikum ausgewachsen, in dem nicht nur um architektonische Stildebatten geht. Es geht auch um Transparenz und um das heutige Selbstverständnis der Sozialdemokratie.

Was war passiert? 2011 flatterte eine Liste mit 48 Sanierungsauflagen ins Haus, das Land Burgenland beauftragte eine Studie zur Sanierung. Dann passierte drei Jahre lang: Nichts. 2014 kam man beim Land unter Berufung auf nicht namentlich benannte Experten zum überraschenden Urteil: "Aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gründen war eine Behebung dieser Mängel nicht möglich. Der Schutz von Leib und Leben hat oberste Priorität." Das Haus müsse unverzüglich geschlossen werden. Diese Kosten einer Sanierung wurden mit 4,6 Millionen Euro veranschlagt, ein Neubau mit  5 bis 6 Millionen.

Warum man nach drei Jahren plötzlich "verheerende" Mängel feststellte? Das fragte sich auch die Plattform "`Rettet das Kulturzentrum Mattersburg", die sich auf Initiative das Mattersburger Kunstgeschichte-Studenten Johann Gallis 2014 zusammenfand. Die Plattform holte das Gutachten eines unabhängigen Experten ein, laut dem eine Sanierung nur 2,6 Millionen kosten würde. Man sammelte Unterschriften für den Erhalt, 2000 Unterzeichner kamen zusammen, bei einer Stadt mit 7000 Einwohnern nicht gerade wenig.

Nach einem gemeinsamen Workshop kam vom Land Burgenland die Zusage, dass man das Kulturzentrum "in seinen wesentlichen architektonischen Merkmalen“ erhalten werde. Im März 2015 waren die anvisierten Kosten auf 8,3 Millionen angewachsen, im Juni wurde ein Architekturwettbewerb ausgelobt, von dem sich die Architektenkammer aufgrund mangelnder Transparenz im Verfahren distanzierte. Gewünscht war unter anderem ein Saal für 600 Personen, rund 50 mehr als der jetzige Saal. Zufall?

Im Mai 2016 wurde das Siegerprojekt des Wiener Büros Holodeck bekanntgegeben, welches für weite Teile des Baus einen Abriss und Neubau vorsah. Die übrigen Teilnehmer wurden nicht bekanntgegeben, die Pläne nicht ausgestellt. Eine seltsame Intransparenz, denn immerhin ging es um die Investition von Steuergeldern. Erst auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Wolfgang Spitzmüller (Grüne) gab Landesrat Bieler die anderen Namen bekannt - ein halbes Jahr später. Der Grund: Es habe Geheimhaltungspflicht bestanden, obendrein sei er selbst nicht in der Jury gewesen und habe die Namen daher nicht gewusst.

Inzwischen war die Debatte erst richtig losgegangen. Ein Bescheid des Bundesdenkmalamts (BDA) verkündete im November 2016 die Teilunterschutzstellung der "Außenerscheinung des Nordtraktes". Das heißt: Nur die Fassade, wie auf einer beigelegten, informationsdürren Skizze zu erkennen. Ein seltsamer Widerspruch, denn das zugrundeliegende Gutachten des BDA hatte die skulpturalen Qualitäten der Gesamtanlage ausführlich gewürdigt.

Der heute 76-jährige Architekt Herwig Udo Graf kommentierte resigniert: "Wenn die denkmalpflegerische Lösung so aussieht, dann möge man von einer Unterschutzstellung absehen." Der Architekturpublizist Otto Kapfinger fällte ein vernichtendes Urteil: "Die lediglich kulissenartig vorgesehene Erhaltung der Außenwand dieses Bauteils ist völlig fragwürdig und aus meiner Sicht kategorisch abzulehnen." Auch Kurator Oliver Elser, der am Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt die Plattform "SOS Brutalism" aufgebaut hat, plädierte für den Erhalt des Baus. In diesem Jahr wird das DAM die große Brutalismus-Ausstellung eröffnen, die 2018 am Wiener AzW gezeigt wird, ergänzt mit österreichischen Beispielen.

Wie die nichttragenden Außenwände überhaupt frei stehen können, blieb vorerst offen. Marlies Breuss und Michael Ogertschnig vom Büro Holodeck betonen gegenüber dem Falter, dass eine "potemkinsche Fassade" nicht geplant sei: "Der Bereich zwischen Nordfassade und derzeitigem Veranstaltungssaal ist räumlich und funktional in das Gesamtkonzept integriert. Unser Architekturatelier bietet seit fast zwanzig Jahren konzeptuelle und kontextuelle sowie räumlich konstruktive und logische Entwürfe. Freistehende Fassadenteile ohne inhaltliche Funktion sind somit ausgeschlossen."

Warum die Holodeck-Pläne überhaupt nur einen Bruchteil des KUZ erhalten? Die Qualitäten des Baus seien nicht eindeutig, so die Architekten. "Das Bauwerk widerspricht in seinem Entwurf und in der Ausführung einigen Grundprinzipien des ‚beton brut‘, etwa durch mehrdeutige Konstruktionsansätze, unüberlegte Bauteilanschlüsse und schlechte Betonqualität. Die expressive Ausformulierung der Veranstaltungshalle hat sich als identitätsstiftend erwiesen und wir würdigen diesen Bereich in unserem Entwurf. Es entsteht eine Symbiose von Alt und Neu."

Doch das Gutachten des BDA war nicht das einzige: Im Sommer 2016 beauftragte die Beteiligungs- und Liegenschafts GmbH (Belig), die die burgenländischen Landesimmobilien verwaltet, den Architekturpublizisten Albert Kirchengast und den Architekten Stefan Tenhalter damit, das KUZ umfassend zu bewerten. Warum dieses Gutachten bis heute nicht veröffentlicht wurde und nicht einmal die Mattersburger Bürgermeisterin Ingrid Salamon (SPÖ) es einsehen durfte? Die Plattform vermutet, das Gutachten schlage einen weitgehenden Erhalt des Brutalismus-Baus vor und werde deshalb unter Verschluss gehalten.

Das Büro von Landesrat Bieler dazu auf Anfrage des Falter: "Das Dokument der Architekten Kirchengast und Tenhalter ist Landesrat Helmut Bieler nicht bekannt. Laut Auskunft der Belig traf die Stellungnahme der Architekten Kirchengast und Tenhalter erst ein, als auch schon Gespräche mit dem Bundesdenkmalamt liefen, sodass diese keine Verwendung mehr fand. Der Bescheid des BDA liegt vor, eine weitere beratende Tätigkeit von Kirchengast und Tenhalter muss nicht mehr in Anspruch genommen werden."

Bleibt die Frage: Warum investiert man in ein Gutachten, das man gar nicht braucht? Warum wurde um einen Architekturwettbewerb für ein quasi-öffentliches Gebäude ein solches Geheimnis gemacht? "Um die von der Plattform nach Veröffentlichung des Siegerprojektes angefachte weitere Diskussion nicht noch weiter zu erhitzen, hat man von einer Präsentation aller Wettbewerbsarbeiten abgesehen," heißt es aus dem Büro des Landesrats. Vom Sinowatz'schen Grundsatz der "freien Meinungsäußerung" scheint man sich also ein Stück entfernt zu haben.

Vorläufig letzter Akt: Am 2. Februar brachten die Nationalratsabgeordneten Wolfgang Zinggl (Grüne), Nikolaus Berlakovich (ÖVP) und Michael Bernhard (NEOS) eine Petition zur Gesamtunterschutzstellung des Kulturzentrums Mattersburg ein. Am 13. Februar antwortete Kulturminister Thomas Drozda und verwies auf die Rechtmäßigkeit des BDA-Gutachtens.

Währenddessen hat die Baufirma schon erste Abbruchspuren am Südtrakt hinterlassen. Es scheint unvermeidlich, dass ein Stück Sozialdemokratie- und Architekturgeschichte zu einem Torso reduziert wird. Ob die Symbiose von Alt und Neu gelingt, bleibt ebenso offen wie die Frage nach der burgenländischen Transparenz.

 

Erschienen in: 
Falter 7/2017, 15.02.2017