Was das Holz will: Alpine Gemütlichkeit im Nadelwald

Der diesjährige Bauherrenpreis geht an drei alpine Ferienhäuser, wahre Glücksfälle im Zusammentreffen von Investor und Architekten

Jedes Kind, das seine Nase in der Welt von Harry Potter vergräbt, weiß, dass es eigentlich keine Zauberakademien und kein Gleis 9 ¾ gibt. Dem Lesevergnügen schadet das keineswegs. Suspension of disbelief nennt man in Literatur und Film die Tatsache, dass eine Fiktion für die Dauer des Konsums als glaubwürdige Realität akzeptiert wird. Wer schunkelnd vor den Darbietungen der volkstümlichen Schlagermusik sitzt, ahnt vermutlich, dass die Musik auf der Bühne trotz Trachtenjankerls, Ziehharmonika und Gitarre in einem Studio zwischen zwei Jagertees aus Standardversatzstücken am Sequenzer zusammengeschraubt wurde und weder Quetschen noch Gitarre zur Anwendung kommen. Man weiß es, aber man will es nicht wissen. Grad jetzt, wo's so gmiatlich ist!

Die alpine Architektur kennt dieselbe willentliche Blindheit gegenüber der schönen Fiktion. Baumassen aus Beton, die in Volumen einem mittelgroßen Hochhaus kaum nachstehen, werden in enge Täler gezwängt und mit Walmdach und Holzbalkon dekoriert, bis sie aussehen wie ein Auffahrunfall aus halbfertigen Bauernhäusern, während im Inneren hochtechnisierte Wellnesslabyrinthe und Großgastronomien, die jedes Bauernhaus sprengen würden, ihre eigene Welt simulieren, mit im Takt von Tourismusmessen wechselnden Möbeln.

Auch der Fremdenverkehrsort Turracher Höhe an der Grenze zwischen Kärnten und der Steiermark ist nicht frei von solchen Hotelgebirgen im Rustikalpanzer. An der Bundesstraße reihen sich Großparkplätze aneinander, am Hang lärmen die Schneekanonen die ganze Nacht. Doch seit kurzem hat sich hier, in der Heimatregion des schlagervolkstümlichen Nockalm-Quintetts, ein architektonisches Trio angesiedelt, das eine Gemütlichkeit erzeugt, die ganz ohne Zaubertrick und Pappkulisse auskommt. Keine raumfressenden XXL-Bauten unter ausladenden Dächern, stattdessen drei kleine Häuser am Hang, in einem lichten Wald aus Zirben und Lärchen. Schwarz gefärbter Sichtbeton und zum Blockhaus gestapeltes Holz. Drei nadelschlanke Türmchen, quer davor an der Straße eine Scheune mit Garage.

Nichts ist hier Verkleidung, alles ist das, was es ist. Holz ist massives Holz, Sichtbeton ist massiver Sichtbeton. In diesem Purismus einen Königsweg zur Gemütlichkeit zu erkennen ist charakteristisch für die Bauherren Robert und Petra Hollmann. Der frühere Schauspieler Hollmann hatte sich in Wien auf die Hotellerie verlegt, dann mit seiner Frau in Sri Lanka ein Feriendorf errichtet, bis die Familie wieder zurückkehrte. Buchstäblich – denn Hollmann war als Kind im väterlichen Anwesen "auf der Turrach" aufgewachsen. "Ich hatte immer eine Hassliebe zu dieser Gegend. Wir hatten das schiachste Haus am schönsten Grund", erinnert er sich, "und ich habe mich als Kind immer furchtbar gelangweilt hier oben."

Dennoch blieben die Hollmanns auf der Suche nach der nächsten Großaufgabe hier hängen. Ein Grundstück am Ortsrand wurde gekauft, eine Planung für eine Ferienhaussiedlung gab es bereits: Sechs Reihenhäuser, der Wald hätte dafür daran glauben müssen. "Eine solche Tsunamisiedlung wollten wir auf keinen Fall", so Hollmann. "wir wollten drei Häuser, jedes unterschiedlich, die zusammen wie ein gewachsenes Dorf ausschauen." Ein Dorf mit schwarzem Sichtbeton? "Dadurch gleicht es den Felsen und verschwindet optisch im Hang. Wenn das Holz über die Jahre ausbleicht, bleibt der Kontrast zum Beton so erhalten."

Ein Investor, der sich über ausbleichendes Holz Gedanken macht und ein lukratives Baugrundstück nur zur Hälfte ausnutzt, dürfte eine Ausnahme sein. Nicht die Ausnahme ist es, dass gerade solche Bauherren mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet werden, der jährlich von der Zentralvereinigung der Architekten vergeben wird. Es sind Glücksfälle des Zusammentreffens von Investoren und Architekten. In diesem Fall Roland Winkler und Klaudia Ruck vom Klagenfurter Büro Winkler+Ruck, deren Bauten ein sorgfältiger Umgang mit Materialien auszeichnet, und die gemeinsam mit Ferdinand Certov den internationalen Wettbewerb fürs Wien-Museum gewinnen konnten. "Normalerweise drücken Bauherren vorsichtig auf die Bremse, aber hier sind wir von Anfang an losgeprescht", erinnert sich Roland Winkler.

Konsens herrschte von Anfang an darüber, was man nicht wollte: Ferienhäuser von der Stange und eine Urlaubsarchitektur, die das Label "Design" offensiv vor sich herträgt. "Wir haben sogar bewusst versucht, jede schnelle Idee zu vermeiden, und haben stattdessen intensiv am Material und am Ort gearbeitet", so Winkler. Was man wollte: den Zauber des Orts erhalten. Das hieß: so wenige Bäume wie möglich fällen. Am Ende waren es ganze drei. "Wir haben die Häuser aus den Bäumen konstruiert. Das Material gab den Raum vor. Man tut, was das Holz will. Ein Blockhaus, das so lang und breit ist, wie die Baumstämme lang sind." So ergibt sich von allein die Größe einer Stube. Ganz traditionell. Die Konstruktion, nicht die Kulisse, erzählt hier die Geschichte. Details sollten fast auf null reduziert werden. Eine Anforderung, die den ausführenden Firmen alles abverlangte. "Das Handwerk ist heute an eine Kultur des Fehlerverdeckens gewohnt," sagt der Architekt. Hier verspachteln, dort Gipskarton. "Hier geht das nicht." Anders gesagt: Dort, wo es Fehler gibt, sind es schöne Fehler. Ehrliche, handgemachte Fehler, die ihren eigenen ästhetischen Wert haben.

Für eine Architektur, die die Idee und das Detail vermeidet, sind die drei Häuser – benannt nach den drei Hollmann-Kindern Franzi, Luki und Toni – von fast überbordender Lust an ideenreichen Details und Raumatmosphären gekennzeichnet. Von den Armaturen aus dem Industriesortiment bis zu den Fenstern, die so platziert wurden, dass sie das richtige gerahmte Bild von Wald, Himmel und Bergpanorama eröffnen. Die viergeschossigen Türmchen fordern sportliche Bewohner: Bergsteigen auch im Inneren. Der sakral anmutende Skiraum in der Scheune würde auch als Hauskapelle durchgehen. Dass sowohl Bauherren als auch Architekten die Erfindung der mit dem Holz "vernähten" frei verlegten Stromkabel für sich reklamieren, spricht für beide. Dass hier nichts unüberlegt oder zufällig scheint, spricht für Bauherren, Architekten und Handwerker – auch das ist nicht die Regel. "Die Firmen waren wirklich großartig", lobt Winkler. "Sie haben mitten im Wald den Beton geschalt und sind nach der Arbeit noch auf den Berg gerannt."

Es gibt preisgekrönte Architektur, die sich ihrer Preiswürdigkeit fast schon aufdringlich bewusst ist. Und solche, die im Anspruch, das zu sein, was sie ist, das höchste Gut sieht. Eine Stube, eine Eckbank, ein Ofen. Ein Haus im Wald. Gemütlichkeit ohne Fiktion. Purismus als Königsweg zur Gemütlichkeit: Der diesjährige Bauherrenpreis geht an drei alpine Ferienhäuser, wahre Glücksfälle im Zusammentreffen von Investor und Architekten.

 

 

Erschienen in: 
Der Standard, 5.1.2019