Eine gemeinsame Feier für die Architektur: Beim World Architecture Festival in Barcelona stahl ein Haus aus Costa Rica den Stars die Show.
Mit Preisverleihungen ist das ja so eine Sache. Nicht selten dienen die wohltönend benannten Awards, die in zunehmender Anzahl über die Öffentlichkeit hereinbrechen, in erster Linie dem Ruhm des Ausrichters, mit dem Ausgezeichneten als prominentem Feigenblatt. Man mietet eine Halle, drückt darin einer Landeshauptmannwitwe ein Stück Plexiglas in die Hand, erklärt sie zur “Frau des Jahres” , und kann sich seiner 15 Minuten Mediengetöse sicher sein.
Wenn also ein Londoner Journalist namens Paul Finch ein World Architecture Festival erfindet und mit prominenten Lockvögeln wie Arata Isozaki ins sonnige Barcelona lockt, ist zunächst Skepsis angebracht. Jedoch ist Paul Finch ein profunder Kenner der internationalen Architektenszene, und die Resonanz beim Festival, das vorige Woche bereits zum dritten Mal stattfand, kann sich sehen lassen. Mehr als 1300 Besucher, vom Studenten bis zum Star, verfolgten die bis zum Anschlag mit Programm vollgestopfte dreitägige Veranstaltung. Kein Mediengetöse, die Szene blieb unter sich.
“Es geht hier nicht um Business oder Publicity” , sagt der britische Architekt Will Alsop, Mitglied des Preisgerichts in Barcelona, zum Standard, “sondern darum, gemeinsam die Architektur zu feiern. Das passiert selten genug.” Das Seltene daran: Hier treten nur wenige der üblichen Verdächtigen, sprich: Stararchitekten, zum Schaulauf an, stattdessen stehen Architekten aus Nationen wie Singapur, Australien oder der Türkei im Mittelpunkt. Ein Weltarchitekturfestival also, das seinem Namen gerecht wird.
Globale Nivellierung
Bei näherer Betrachtung liegt die unübersehbare Ironie darin, dass man sich weltweit ganz ortsunabhängig desselben Entwurfsarsenals bedient. “Als Juror ist man dann etwas erstaunt, wenn ein Gebäude im Iran nicht viel anders ausschaut als eines in Kolumbien” , sagt Alsop. “Daran sieht man die globale Nivellierung - in Zeiten des Internets sind alle sofort auf dem aktuellen Stand, man muss sich nicht mehr wie früher teure Bildbände kaufen, um zu wissen, was angesagt ist.” Der Qualität, das stellten die insgesamt 81 Juroren im Zuge des Architekturmarathons fest, ist diese Nivellierung jedoch nicht abträglich - sie honorierten herausragende Projekte in über 30 Kategorien, darunter hinlänglich Bekanntes wie das WM-Stadion in Johannesburg, aber auch Neuentdeckungen wie ein Bankgebäude aus präzise geschichtetem weißem Marmor in Teheran.
Spannend wurde es dort, wo die Gegebenheiten des Ortes spezielle Lösungen erzwingen - wie etwa im dichtest bebauten Singapur, wo das Büro ARC seine monumentale Wand aus 1850 gestapelten Wohnungen geschickt aufbricht und mit hängenden Gärten und schwebenden Parks inklusive Laufparcours im 50.Stock der Stadt ein Stück Freiraum abluchst. Einen noch größerem räumlichen und zeitlichen Maßstab zeigte ein Masterplan für die Zukunft des gebeutelten Palästina, vom Radweg bis zur Energieversorgung.
Erfolgreicher Kraftakt
Der erste Preis in der Kategorie Kultur ging an einen der wenigen Stars - Zaha Hadid und ihr im Frühjahr eröffnetes und bereits mit reichlich Lob überhäuftes Kunstmuseum MAXXI in Rom. Auch die Jury in Barcelona honorierte die gelungene Mischung aus überraschend unhadidscher Zurückhaltung bei den diskret zwischen alten Militärbaracken versteckten, wie verbogene Schienenstränge gebündelten Baumassen und der ganz in kühlem Schwarz, Grau und Weiß gehaltenen dreidimensionalen Achterbahnfahrt der spektakulär inszenierten Innenräume. Für den erfolgreichen Kraftakt, die komplex gekrümmten Wände aus allseitig glattem Sichtbeton im bauwirtschaftlich, gelinde gesagt, schwierigen und allem Neuen nicht gerade aufgeschlossenen Italien exakt nach Plan zu realisieren, gab es ein ehrfurchtsvolles Sonderlob.
So weit, so richtig, so erwartbar. Dann aber, nach all den routiniert mit Kubikmetern und Visionen jonglierenden Bilderfluten, erschien ein junger, schmächtiger Architekt aus Costa Rica namens Benjamin Garcia Saxe auf dem Podium und begann, eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte eines Hauses, die Geschichte einer Familie - seiner eigenen. Sie trägt den literarisch leuchtenden Namen “Forest for a Moon Dazzler” und lautet in Kürze so: Garcia Saxes Mutter trennt sich, bedingt durch Alkohol- und Drogenprobleme, früh von Mann und Söhnen, flüchtet aus der Stadt, baut sich im Regenwald nahe dem Ozean ein Haus. Nachts betrachtet sie vom Bett aus den Mond, er wird für sie zum Symbol der Verbindung mit ihren Kindern. Jahre später beginnen sich Mutter und Sohn wieder anzunähern. Als Zeichen dieser Annäherung beschließt Garcia Saxe, ihr ein neues Haus zu planen. Aufmerksam kartiert er ihren Tagesablauf: Wo sie kocht, liest, telefoniert, wie ihre selbstgebastelten Alarmanlagen funktionieren. Er entwirft ihr ein Zuhause als Passform für ihr Leben. Ein klarer Plan: Dreigeteilt in Schlafzone, Wohnzone und Patio, gebaut mit dem Bambus des Waldes, licht- und luftdurchlässig und doch privat. Über dem Schlafbereich: eine Öffnung zum Betrachten des Mondes.
Mondbasis für Mutter
Fern aller Rührseligkeiten verweist das so einfache wie ausgeklügelte Haus auf die elementaren Anfänge jeglicher Architektur: Schutz zu bieten für einen Menschen. Genau aus diesem Grund erntete Garcia Saxe wohl auch den größten Beifall auf dem Festival. “Geplant war das Haus als Geschenk für meine Mutter” , sagt der Architekt. “Es funktioniert aber auch unabhängig davon, als Prototyp.” Das deutlichste Zeichen dafür: Zahlreiche Bauherren in spe, sogar Schulen, zeigen sich interessiert.
Mit diesem gerade einmal 40.000 Dollar teuren Bauwerk als Kontrapunkt zu Zaha Hadids millionenschwerer Kulturmaschine zeigte das Festival exemplarisch die ganze Spannweite des Bauens. Den “World Building of the year” -Award gewann zum Abschluss das MAXXI-Museum. Statt Preisgeld gab es ein kleines Geschenk eines der Sponsoren. Wer aber auf den Anblick einer Zaha Hadid gehofft hatte, die mit vor Freude leuchtenden Augen einen originalverpackten Duschkopf in Empfang nimmt, wurde enttäuscht: Die Dame selbst war nicht zugegen. Um so mehr Raum blieb für die Stars von morgen.
(erschienen in: DER STANDARD, 13./14. November 2010)