Über Essen in Städten

Alleine und hungrig in der fremden Stadt – die Menschheit kennt dieses Problem seit Urs Zeiten. Aber was soll man tun, immer wieder knallt einem das Leben Situationen vor den Latz, in denen Nahrungsaufnahme in unvertrauter urbaner Umgebung die Top-Priority ist. Der gastronomisch herausgeforderte Besucher kramt in der Tasche nach dem Serviceteil des Reiseführers und lässt sich per Taxi zu einer als authentischer Geheimtipp angepriesenen Speisegaststätte an der Ausfallstrasse fahren, um dort festzustellen, dass diese durch ein Nepplokal mit „lokaler Tanzfolklore – jeden Freitag und Samstag Abend“ ersetzt wurde.

Dabei ist es ganz einfach, denn die Spezialitäten, die dem Besucher als kulinarisches Wahrzeichen, als teigiges Äquivalent von Kathedrale und Promenade angedreht werden, sind immer dieselben. Wie amerikanische Wissenschaftler herausfinden würden, wenn sie sich gottverdammtnochmal um wichtige Sachen kümmern würden und sich nicht nur von Bringpizzadienstpizza ernähren würden, gibt es exakt drei Erscheinungsformen der stadtspezifischen Mahlzeit: Die urige Spezialität, die Süsspeise und der einfache Snack.

Die urige Spezialität basiert wahlweise auf dem Prinzip „Fladen“ oder dem Prinzip „Pampe“. Beiden wird das Fleisch eines ortsüblichen Nutztieres beigemischt, ergänzt um eher kohlehydrat- als vitaminintensives Gemüse, wobei das Prinzip Pampe auch in den Definitionsbereich der Suppe hineinschwappen kann. Man erhält diese Speisen in Gaststätten an suburbanen Straßenecken, selten auch im Stadtzentrum an Imbissbuden. Wenngleich heutzutage jeder Stadtbewohner voller Überzeugung behaupten wird, dass seine Stadt über die Jahrhunderte alle Unbilden nur dank Pampe und Fladen habe überleben können, ja eine Woche ohne Pampen- oder Fladenkonsum für jeden Bürger völlig undenkbar wäre, ist die Spezialität im Laufe der Geschichte mehrmals fast vergessen worden und aufgrund ihrer pampigen Pampigkeit und faden Fladigkeit im Grunde viel weniger beliebt als es nach außen hin dargestellt wird. Es besteht kein Zweifel, dass diese Gerichte seit einigen Jahren von findigen Sterne- und Haubenköchen unter dem Deckmantel des Regionalismus wieder entdeckt und mit weniger Nährwert aber kulturell- kulinarischem Mehrwert sparsam auf breite weiße Teller arrangiert werden.

Die Süsspeise trifft man vor allem in ehemaligen oder noch bestehenden Monarchien an, denn die zu ihrer Entwicklung nötige Zeit und Muße war nur mit Mitteln aus royalen Schatzkammern bezahlbar. Auch Hafenstädte sind aufgrund der Verfügbarkeit von importierten Zutaten wie Kakao oder Mandeln ein guter Nährboden für Zuckriges und Klebriges. Unter den typischen Mahlzeiten ist sie oft die langlebigste und erfolgreichste, da sie sich gut konservieren und verpacken lässt und somit ein ideales Mitbringsel für den Besucher darstellt.

Der einfache Snack schließlich wurde entweder in den 1970er Jahren von einem Aussteiger, der vom Kochen keine Ahnung hatte, oder im 17.Jahrhundert von einem aus Italien an den Fürstenhof gelockten Stargastronom, der vom Kochen sehr viel Ahnung hatte, erfunden.

Er wurde durch einen Zufall oder einen Mangel (kein Mehl da; Eier faulig aber egal, trotzdem verwenden; zum falschen Gewürz gegriffen; Huhn vom Haken in den Teig gefallen) kreiert und unterscheidet sich von den nichttypischen Snacks entweder durch eine einzige besondere Zutat (aus welcher ein grosses Geheimnis zu machen sich zur Unique Selling Proposition auswachsen kann) oder eine archaische Zubereitungsart (altersschwaches Küchengerät, von Muttern geknetete Teigfladen). Der einfache Snack hat inzwischen zahlreiche Kopisten in der ganzen Stadt gefunden, und nicht selten wird der Streit, wer sich denn nun auf die wahre Rezeptur und den aller-allerersten Snack berufen darf, vor Gerichten oder dunklen Hintertüren von Großküchen ausgefochten. Aber das kann dem hungrigen Besucher ja komplett wurscht sein.

(erschienen in: PANEL #3)

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