Die neue Bergstation der Wildspitzbahn in Tirol von Baumschlager Hutter Architekten gibt sich als sanfte Gipfelstürmerin jenseits der Hüttengaudi.
Dass der Tourismus in den Tälern Tirols seine Spuren auch in architektonischer Form massiv hinterlassen hat, ist nicht erst seit der Piefke-Saga allgemein bekannt. Neben Hotelburgen ist es vor allem ein visuelles Grundrauschen des permanenten Werbens, Winkens und Wedelns, das auffällt im Weichbild der Siedlungen, die immer mehr zu einem durchwürfelten Ganzen zusammenwachsen und sich gleichzeitig selbstvermarktend immer aufgeregter voneinander abgrenzen müssen, um zu überleben.
Umso mehr fällt es auf, wenn sich dazwischen Bauten finden, die nicht laut nach Kundschaft schreien, die - ob aufgrund ihres Alters oder ihrer Funktion - in einer ruhigen Selbstverständlichkeit einfach nur "sind". Eine stille Qualität, die sich nicht leicht von null auf neu herstellen lässt, auch wenn "Authentizität" längst ins Markenportfolio der Touristiker aufgenommen wurde.
In diesem sich beschleunigenden Wettbewerb ist das Pitztal, dessen Gletscherregion erst Anfang der 1980er-Jahre für den Wintersport erschlossen wurde, ein relativer Späteinsteiger. Diese Verzögerung ist ein Glücksfall: Während im benachbarten Ötztal das Skihüttenrambazamba zu Hause ist, geht es hier noch relativ ruhig und familiär zu.
Doch Ansprüche und Besucherzahlen steigen auch hier, so dass die ersten Bauten, die für den Wintersport errichtet wurden, jetzt nach 30 Jahren schon am Ende ihrer Nutzbarkeit angekommen sind. Wenn daher inmitten eines Traumpanoramas auf 3440 Meter Höhe gegenüber der Wildspitze, dem zweithöchsten Gipfel Österreichs, der Neubau einer Seilbahn mit Berg- und Talstation notwendig wird, stellt sich die Frage: Kann an solch prominenter Stelle ein Bauwerk gelingen, das einfach nur ist?
Dass der Bauherr Hans Rubatscher, Geschäftsführer der Pitztaler Gletscherbahn, sich mit dem Büro Baumschlager Hutter für Architekten entschied, die bekannt sind für alpine Dezenz Marke Vorarlberg, wo man dem Gebirge schon immer auf leisen Sohlen entgegengetreten ist, spricht dafür. Eine sachlich rechtwinklige Kiste nach Ländle-Art kam an dieser Stelle, balancierend auf einem Felsgrat mit hohen Windgeschwindigkeiten und Temperaturschwankungen von minus 30 bis plus 20 Grad jedoch nicht infrage.
Kraftakt in der Höhe
"Wir haben eine Form gesucht, die mit der Bergwelt zu tun hat", erklärt Architekt Carlo Baumschlager. "Auch konstruktiv mussten wir uns der kleinen Fläche von 200 Quadratmetern anpassen: Wenn man alle Bauteile aufwändig hochtransportieren muss, wird Gewicht extrem teuer, man muss also auf Leichtigkeit setzen. Es konnte also keine statische Kiste sein, sondern eine dynamische Form: wie eine Schneewehe."
Wie ein von Wind und Wetter geformter Gupf balanciert die mattsilberne Bergstation samt zugehörigem Café und Aussichtsterrasse nun auf der Kante des Hinteren Brunnenkogels. Vorteil war dabei, dass man sich auf die Fundamente der alten Bergstation stützen konnte. "Eine komplette Neuerrichtung an einer so exponierten Stelle wäre heute auch aus Naturschutzgründen praktisch unmöglich", sagt Stefan Richter, Marketingchef der Pitztaler Gletscherbahnen.
Architektur auf solchen Höhen umzusetzen, ist ein Kraftakt: 3350 Fahrten mit der Materialseilbahn waren nötig, größere Bauteile und der Kran kamen Stück für Stück in 700 Hubschrauberflügen auf den Gipfel. Noch dazu war der Zeitdruck enorm: Wo die Wintersaison von September bis April dauert, bleibt nicht viel Zeit für ungestörte Bautätigkeit. Noch dazu verlangte die Dachkonstruktion, bei der kein Teil dem anderen gleicht, höchste Präzision. Trotz Verzögerung durch Wintereinbrüche in den Sommermonaten wurde man in letzter Minute rechtzeitig zum Saisonauftakt fertig.
Zwei Monate nach der Eröffnung am 9. November ist das Café gut gefüllt mit Besuchern, die skibestiefelt ihre Tabletts mit Kaspressknödeln zum Tisch balancieren. Es herrscht gute Laune, aber kein Après-Ski-Gelärme, sondern ein fast meditative Aussichtsruhe. Auf den kleinen Tischen aus massivem Eichenholz ließe sich ohnehin schwer tanzen. Keine rustikal wuchernden Bergstüberlbänke, die Möblierung hinter den bis zu sechs Meter hohen Glasscheiben tritt hinter dem Wesentlichen - der Aussicht - dezent zurück.
Café mit Pistenschwung
Wie man am eleganten Pistenschwung der gekurvten Holzverkleidung des Thekenbereichs sieht, haben die Vorarlberger Architekten Gefallen daran gefunden, ausnahmsweise jenseits des rechten Winkels zu hantieren.
Auch die über den Grat in die Luft ragende Aussichtsterrasse wurde rundum verglast: Nichts soll den schweifenden Blick über das Panorama stören. "Es ist schon lustig, zu sehen, wie sich viele Gäste ganz langsam zum Glas vortasten", sagt Stefan Richter.
Nicht nur Café und Aussicht sind für den Betreiber, die Pitztaler Gletscherbahnen, ein Mittel, um für die Touristen der Zukunft zu werben, auch die Architektur an sich. Die reine Technik einer Bergstation schlägt mit etwa sechs bis acht Millionen Euro zu Buche - dennoch setzte man mit insgesamt 20 Millionen Investition bewusst auf den Mehrwert von Architektur. Der Grund: Der Wettbewerb zwischen den alpinen Bergbahnen verlangt aufgrund des Überangebots nach Unverwechselbarkeit. "Man muss also ein Highlight schaffen", erklärt Marketingchef Stefan Richter. "Ein markanter Bau, der zeigt: Das ist etwas ganz Einzigartiges."
Aus diesem Mehrwert ist mitten in nahezu unberührter Natur tatsächlich ein Bauwerk entstanden, dem es gelingt, einfach selbstverständlich nur zu sein. Wie lange diese stille Existenz angesichts der geringen Halbwertszeit von touristischen Einrichtungen andauern wird?
Architekt Carlo Baumschlager bleibt entspannt: "Technische Gebäude sind grundsätzlich nicht für die Ewigkeit. Wenn sich die Seilbahntechnik ändert, wird sich auch die Station ändern. Ob sich der Tourismus und der Wintersport in dieser Form halten, weiß man heute natürlich auch nicht. Es ist, was es ist: ein kleines punktförmiges Objekt in dieser riesigen Naturwelt. Mehr Bedeutung beansprucht es nicht."
(erschienen in: Der Standard, 12./13.1.2012)