Stadtplanung für den Papierkorb - Kommentar zum Wettbewerb Althan Quartier

Das 126-Meter-Hochhaus am Franz-Josefs-Bahnhof ist vom Tisch. Das freut viele. Doch das Zustandekommen dieser Lösung ist ein Ärgernis.

Es muss ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durch den Raum gegangen sein, als am 20.April die Jury zusammenkam, um den Sieger des Architekturwettbewerbs für das Althan-Quartier beim Franz-Josefs-Bahnhof zu küren. Unter den 20 Projekten der 2.Stufe stach eines heraus – und zwar durch sein explizites Nicht-Herausstechen: Der Beitrag vom Wiener Büro Artec war der einzige, der kein Hochhaus vorsah. Die Entscheidung war einstimmig. Die Wiederholung der Heumarkt-Debatte scheint abgewendet.

Alle glücklich? Nein. Denn das Verfahren wirft einige Fragen auf. Denn das städtebauliche Leitbild, das 2017 in der Stadtentwicklungskommission (STEK) beschlossen wurde, sah die „Kombination mehrerer verschieden hoher Turmelemente“ vor, mit einem maximalen „Höhenfenster“ von 126 Metern, orientiert am Turm des Fernheizwerks Spittelau. Ob ein Abluftkamin als Rechtfertigung für ein Hochhaus dienen kann, sei dahingestellt. Dass ein 126-Meter-Hochhaus zwischen zwei Gründerzeitvierteln nach den Erfahrungen am Heumarkt nicht ohne Proteste durchgewunken werden würde, sollte jedem klar gewesen sein.

Trotzdem schien man im Rathaus überrascht, als dann der Aufruhr losbrach, und im Jänner 2018 erteilte der Bezirk dem Hochhaus eine Absage, Planungsstadträtin Vassilakou stoppte das Widmungsverfahren. Der Wettbewerb ließ man jedoch einfach weiterlaufen und schob die Entscheidung den teilnehmenden Architekten zu. Man könnte auch sagen: man ließ sie ins Messer laufen. Dasselbe war 2013 beim Wettbewerb für das Areal des ehemaligen Rechenzentrums in der Rathausstraße passiert. Auch dort waren die Architekten zu Hochhauslösungen ermutigt worden, auch dort wurde keine prämiert, sondern ein recht fades Eckhaus. Es sei halt das beste Projekt gewesen, verlautete es damals, nicht sehr überzeugend.

So verlautet es auch jetzt im Althan Quartier, wenn auch etwas überzeugender. Dass Bettina Götz und Richard Manahl vom Büro Artec gute Architekten sind, steht außer Zweifel. Es ist auch kein schlechtes Projekt, wenn man von den 100 Meter langen, fast fensterlosen Korridoren und dem tunnelartigen Innenhof absieht, die sich durch das Strangpreßprofilartige der beiden Bauteile ergeben. Doch in einem Wettbewerb geht es darum, die beste Alternative zu finden. Wenn man schon kein Hochhaus will, wäre es dann nicht besser gewesen, unter 20 Nichthochhäusern das beste auszuwählen, anstatt das einzige? Noch dazu war im benachbarten Planungsgebiet auf dem bestehenden Bahnhofsbau bereits ein 63-Meter-Turm vorgesehen. Einige Architekten orientierten sich im Glauben an die Verlässlichkeit dieses städtebaulichen Ziels an dieser Höhe, auch sie scheiterten. Nach dem Ende des Wettbewerbs wanderte dieses Hochhaus in Windeseile von der Südseite zur Nordseite des Areals und schrumpfte während dieser Wanderschaft gleich um ein paar Meter.

Stadtplanung in der Demokratie ist Verhandlungssache. Das ist auch gut so. Aber sie braucht auch klare Ziele. Diese gehen verloren, wenn alles zur weichen Verfügungsmasse wird. Solange in Wien für jede Stadtbaustelle mit viel Aufwand ein eigener Masterplan erstellt wird, der dann sehenden Auges an der Realität zerschellt, wird dies immer wieder passieren. Die Folgen: Eine Stadt, die zum Patchwork von zusammenhanglosen Kompromisslösungen wird. Geistige, kreative und finanzielle Leistungen vieler Architekturbüros, die aus dem Fenster geworfen werden. Eine Endlosschleife von Heumarkt-Debatten. Ein Hochhauskonzept, das irgendwie überall irgendwas ermöglicht. Eine Stadtplanung für den Papierkorb.

Erschienen in: 
Falter 27/2018 vom 3.7.2018