Handwerkliche Finesse und Witz: Das Vorarlberg-Museum in Bregenz bringt PET-Flaschen und Lehmputz zusammen
Der erste Besucher kann es schon nicht mehr erwarten: Beherzt klettert ein kleiner Junge die Fassade des kantigen, weiß leuchtenden Baus ein Stück empor. Schließlich sind das doch Klettergriffe, die da aus dem Beton ragen, nicht? Oder doch etwa steinerne Blumen?
Geheimnisvoll und einladend zugleich steht das Vorarlberg-Museum, das am Freitag nach drei Jahren Bauzeit eröffnet wurde, zwischen Kornmarkt und Seeufer in Bregenz. Es ersetzt das frühere Landesmuseum an derselben Stelle aus dem Jahr 1905, ein typisches Regionalmuseum mit einer Sammlung, die ausgestopfte Vögel und Kisten voller Tonscherben genauso wie herausragende Werke der klassizistischen Malerin Angelika Kauffmann aus dem Bregenzerwald beherbergte.
Weder die Sammlung noch das mehrmals ungelenk umgebaute Museum waren also zeitgemäß. 2007 beschloss die Landesregierung Abriss und Neubau und ein vom damaligen Direktor Tobias G. Natter ersonnenes innovatives Museumskonzept. Den Wettbewerb für den 35 Millionen Euro teuren Bau gewannen die Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur. Tobias G. Natter wechselte während der Bauzeit zum Museum Leopold nach Wien, ihm folgte 2011 Andreas Rudigier nach. Programmatisch stellt man sich breit auf, von den Römern bis zur Oral History von Migranten.
Der Neubau vervollständigt nun die kleine Kulturmeile aus Einzelbauten, die sich am Seeufer aufreihen wie etwa das kristalline Kunsthaus von Peter Zumthor, an dessen scharfkantiger Strenge jede kindliche Fassadenkletterei scheitern würde.
Während das Kunsthaus von seiner Umgebung abgehoben scheint, ist das Vorarlberg-Museum ganz Teil seiner Nachbarschaft. Architektonisch eine komplexe Aufgabe, schon weil es sein Dasein Rücken an Rücken mit dem denkmalgeschützten Bau der ehemaligen Bezirkshauptmannschaft teilen muss, dessen Räume es jetzt nutzt.
Kultureller Januskopf
Wie ein kultureller Januskopf schauen die beiden Fronten nun in entgegengesetzte Richtungen, der Altbau über den See, der Neubau auf den belebten Kornmarkt. Nicht wenige Architekten hätten auf den historistischen Quader lieber verzichtet.
Trotzdem ist es Cukrowicz Nachbaur gelungen, den Museumsbau aus seiner beengten Umklammerung zu befreien: Sie ließen einen Teil des Grundstücks frei, die aufgeweitete Straße ermöglicht nun Blicke zwischen Platz und See. Neu- und aufgestockter Altbau verschmelzen so zu einem freistehenden Solitär, eine Erkennbarkeit, nach der heute jedes Museum strebt: "Ein Landesmuseum, das nicht mit herausragenden Einzelobjekten werben kann, braucht ein Gebäude, das selbst als Zeichen wirken kann", so Museumsdirektor Andreas Rudigier zum Standard.
Um auch die Fassade zum Sprechen zu bringen, arbeiteten die Architekten mit den Künstlern Manfred Alois Mayr und Urs B. Roth zusammen. "Wir wollten ein unregelmäßiges Muster, etwas Heiteres, Positives", erklärt Architekt Anton Nachbaur-Sturm. Heraus kam die Kletterfassade, deren Geheimnis sich lüftet, wenn man näher hinschaut: Es sind die Böden von PET-Flaschen, in feinstem Ortbeton nachgegossen.
Aber was haben PET-Flaschen mit Vorarlberg zu tun? "Im Museum gibt es römische Gefäße, von denen in einem Brenndurchgang bis zu 10.000 Exemplare hergestellt wurden", so Nachbaur-Sturm. "Ein richtiges Massenprodukt also. Wir haben uns gefragt, was die Entsprechung der heutigen Zeit wäre. So sind wir auf die überall verbreiteten Plastikflaschen gekommen."
Schon vor der Eröffnung gab es also einiges zu deuten und zu assoziieren. "Die Reaktionen auf der Straße sind fast schon irritierend positiv", berichtet Direktor Andreas Rudigier vergnügt.
Gänzlich blümchenfrei präsentiert sich das Museumsinnere, allerdings ist auch hier eine gewisse Kletterei zu absolvieren: Aufgrund der niedrigen Raumhöhen im Altbau beginnen die neuen, großangelegten Ausstellungsräume erst im zweiten Stock. Man spürt die Mühe, ein modernes Museum in, neben und auf ein denkmalgeschütztes Amtshaus zu platzieren, dessen enge Innenräume die eleganten neuen Ausstellungsmöbel gequetscht wirken lassen. Etwas mehr Luft und weniger Masse hätte hier gutgetan.
Doch der Direktor ist zufrieden: "Die Benutzbarkeit ist ausgezeichnet. Und die Verbindung von Alt und Neu passt zu einem Landesmuseum und auch zu unserem Ausstellungskonzept perfekt".
Wie man sich mit ganz vorarlbergerischer nobler Bescheidenheit von solchen Zwängen freispielen kann, sieht man im Neubau: edle, fast schon gediegene Materialien wie Messing, Eiche, Terrazzo (aus Vorarlberger Steinen natürlich!) und - ungewöhnlich für Museumswände - zentimeterdicker Lehmputz.
Was dieser an kuratorischen Freiheiten des Bilderaufhängens beschränkt, macht er mit raumklimatischem Wohlfühlcharakter locker wieder wett. " Unser Haustechniker hat sich sogar beklagt, weil seine Installationen so klein dimensioniert sind. Die Feuchtigkeit regelt der Lehmputz fast von allein", lacht Anton Nachbaur-Sturm.
So wird das Museum nicht nur von außen, sondern auch im Inneren zu einem maßgefertigten Passstück, handgefertigt in Vorarlberg. "Unser großer Vorteil ist, dass wir hier im Land gute Handwerker haben", so der Architekt.
Hat der Besucher die Ausstellungsräume erklettert, wird er mit großen, gerahmten Ausblicken auf Kirchturm- und Berglandschaften belohnt. Bei einem Landesmuseum sollte man schließlich auch ins Ländle einischauen können - und darüber hinaus: Ganz oben öffnet sich ein trichterartiger Raum, vom Wiener Künstler Florian Pumhösl als schwarze Camera obscura gestaltet, zum Breitwandgemälde des Bodenseepanoramas. "Wir haben den Schall komplett ausgeblendet, dadurch wirkt die Landschaft wie ein Standbild", so Architekt Nachbaur-Sturm. "Unten schaut man in die Vitrinen, hier steht man selbst in der Vitrine und schaut hinaus."