Piranesi statt Kramuri

Das Besucherzentrum für die NÖ-Landesausstellung in Wiener Neustadt kombiniert die alten Kasematten mit neuen Zubauten zu einer Landschaft aus kühler Dezenz.

Seine weißen Sneakers stecken im Erdreich, doch das scheint Matija Bevk nicht zu stören. Der slowenische Architekt steht gerade auf seinem eigenen Gebäude. Genau gesagt befindet sich der Großteil dieses Gebäudes unter dem Erdreich, und das ist bis zu drei Meter tief. Noch genauer gesagt, ist das meiste von dem, was sich unter der Erde verbirgt, nicht neu, sondern über 500 Jahre alt. Die Kasematten von Wiener Neustadt, auf denen Matija Bevk steht, sind Teil der massiven Stadtbefestigung, die über Jahrhunderte ständig adaptiert und erweitert wurde. Im Mittelalter war die kleine Flachlandmetropole eine der am stärksten befestigten Städte Europas. Heute ist sie längst über die Mauern hinausgewachsen und endet weit draußen in einem Amalgam aus Kreisverkehren und Gewerbegebieten.

Die Kasematten selbst gerieten in Vergessenheit, verschwanden unter Zubauten und Schutt. Bis sie für die Niederösterreichische Landesausstellung, die am heutigen Samstag eröffnet wird, wieder zum Leben erweckt wurden. Die 1951 etablierte und seit 2001 im Zweijahresrhythmus stattfindende Schau ist konzentriertes Regionalmarketing, eine Finanz- und Aufmerksamkeitsspritze für den Ort, an dem sie stattfindet, und Anlass zur Erneuerung der Markenidentität im Städtewettbewerb. "Die Landesausstellung 2019 ist die Trägerrakete, um Wiener Neustadt wieder auf die Überholspur zu führen," verkündete Bürgermeister Klaus Schneeberger im Oktober 2016, als der Architekturwettbewerb für das Besucherzentrum in den Kasematten entschieden wurde.

Die Wettbewerbssieger Bevk Perovic Arhitekti mit Sitz in Ljubljana waren da schon keine Unbekannten. 1997 von Matija Bevk und Vasa Perovic gegründet, verweisen sie heute auf realisierte Projekte aller Art in halb Europa, wurden 2007 mit dem Mies van der Rohe Award ausgezeichnet und gewannen 2018 den Wettbewerb für ein Wohnhochhaus auf dem Wiener Nordbahnhofareal. Anfang März dieses Jahres präsentierten sie ihren Kasematten-Entwurf beim renommierten TURN ON Architekturfestival in Wien.

Jener war zweifellos auf den ersten Blick der unspektakulärste der zehn Wettbewerbsbeiträge. Während andere Architekten teils aufdringlich auffällig Neubauten auf den Hügel setzen wollten, hielten sich die Slowenen zurück und konzentrierten sich auf die Kasematten selbst.

Wie ein Termitenbau durchlöchern die Gänge und Gewölbe den Hügel. Mal niedrig, mal kathedralenartig hoch, mal in geheimnisvollen Sackgassen endend, zeigen sie überall Spuren der Geschichte. "Ein Raumgefüge wie bei Piranesi!", schwärmt Bevk und erinnert an den italienischen Architekten aus dem 18. Jahrhundert, berühmt für seine fantastischen Zeichnungen von licht- und endlosen Abgründen. Ganz so finster ist es hier nicht, denn die Wände wurden mit Kalkfarbe strahlendweiß getüncht. Ein Raumerlebnis, das die Entscheidung, das Höhlensystem zum Kern des Besucherzentrums zu machen, ohne Zweifel legitimiert. Man hat sich aber nicht aufs Restaurieren beschränkt.

Vom Stadtzentrum oder Bahnhof kommend, führt ein flach geneigter Vorplatz auf das Niveau der Ausstellungsebene, ein Eingangsbau lässt die Besucher unter einer Sichtbetonwand ins Innere eintauchen. Auf der anderen Seite taucht man in einer mit perforiertem Aluminiumblech verkleideten Ausstellungshalle wieder auf, die zur Hälfte im Gelände steckt und ihre wahre Höhe nur im Inneren offenbart. Rundherum türmen sich die freigelegten und (in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt) vom Kramuri der Jahrhunderte bereinigten Mauern zu einer wilden Topografie, die ein wenig an Ausgrabungsstätten in Ägypten oder Griechenland erinnert.

"Es war uns wichtig, diese Substanz zu befreien," bekräftigt der Architekt. "Wir wollten nicht einfach ein Museum als Box hinstellen, sondern ein Ensemble schaffen, das Teil der Stadt und des Parks wird." Was auch erklärt, warum man am höchsten Punkt des Areals eben auf drei Metern Erdreich steht: eine Landschaft aus historischen Schichten anstatt, wie sonst üblich, eines ikonischen Mini-Guggenheims, das sich aus dem Nichts materialisiert.

So logisch diese aus dem Ort entwickelte Entscheidung ist, trifft sie doch dort auf Konflikte, wo die Gewohnheit des Stadt- und Eventmarketings das Auffällige erwartet. Manchen dürfte die schlichte Zurückhaltung von Vorplatz und Betonwand zu wenig des Guten zu sein. So wurde kurzfristig beschlossen, die gesamte Wand mit einem Banner zu kaschieren, damit die Ausstellung als solche erkennbar ist und niemand aus Versehen vorbeispaziert.

Für die Architekten ist das ein Wermutstropfen. Schließlich war die schlichte Sichtbetonwand schon von Anfang an Teil des Entwurfs – und die Architektur kennt seit jeher Werkzeuge, um einen Eingang als Eingang erkennbar machen, ohne dass dies weiterer Erklärungen bedarf. "Dieses Projekt zu realisieren und die Kasematten zu revitalisieren ist eine große Leistung der Stadt, ihren Entscheidungsträgern und der Landesausstellung. Das Projekt gibt der Stadt hier einen neuen Platz und mit den Kasematten die Wiederentdeckung von etwas, das verloren war. Hier entsteht eine Koexistenz von Geschichte und neuem Leben", sagt Bevk. "Darauf können die Bürger stolz sein, und das braucht unserer Meinung nach kein Sahnehäubchen obendrauf." Bei der Projektleitung der Landesausstellung heißt es auf Anfrage, das Banner sei nur für die Dauer der Ausstellung vorgesehen und werde danach demontiert.

Bleibt zu hoffen, dass weder der Beton noch die erfolgreiche austro-slowenische Kooperation dauerhaften Schaden nimmt. Eine einladende Geste dürfte auf jeden Fall Bestand haben: ein Ahornbaum, der auf den Vorplatz gepflanzt wurde. Ein Zeichen, dass Historie, Neubau und Landschaft zusammenfinden können, und ein gutes Argument gegen das Vorurteil, Architekten würden nur als Betonierer auftreten.

 

 

 

Erschienen in: 
Der Standard, 30.3.2019