Der beste Bürgermeister-Schriftsteller der Welt der Woche
England hat einfach die lässigeren Konservativen. Keine hölzernen Ödbären, sondern gebildete, rhetorisch begabte, schrullige Charaktere, denen man auch ihre bisweilen grotesken Weltanschauungen nicht völlig übelnehmen kann. Paradebeispiel: Boris Johnson, der wohl zerzausteste Bürgermeister einer Weltstadt. Wer gesehen hat, wie sich der jungenhafte Blondschopf in einem TV-Interview nach dem Wahlsieg der Tories in spontan ausgedachten Wurstbefüllungs-Gleichnissen verheddert, um sich dann dem nachhakenden Interviewer gegenüber mit einem trotzigen "Enough of this gastronomic metaphor!" aus der Affäre zu ziehen, wird sofort zum "BoJo"-Fan, und verzeiht ihm nahezu alles.
Tollpatschigkeiten hin, verbale Ausrutscher her, Johnson ist keineswegs nur Clown, sondern cleveres Multitalent: Als radelnder Bürgermeister, als Journalist, Fernsehmoderator und Parlamentarier. Und als Schriftsteller, dessen erster Roman "72 Jungfrauen" jetzt mit einiger Verspätung, aber rechtzeitig zu Olympia, in deutscher Übersetzung vorliegt. Ja, okay: Die Handlung (dilettantische islamistische Terroristen setzen Präsident Bush beim Staatsbesuch im britischen Parlament fest und lassen die Welt über Guantanamo abstimmen) ist an einem ganzen Schopf Haare herbeigezogen, und ja, die Hauptfigur, ein radelnder Abgeordneter mit klassischer Bildung und drohendem Sexskandal kommt einem verdächtig bekannt vor. Aber die charmant ungelenke Art, in der Johnson diese Weltpolitikgroteske unverfroren zum Vehikel seiner Weltanschauungen macht, ist so vergnüglich zu lesen, dass man dem Lausbuben auch die "Thatcher war super, die Linken spinnen alle"-Passagen durchgehen lässt.
(Enthusiasmuskolumne, erschienen in: FALTER 30/12; 25.07.2012)