Er baut klein und spartanisch. Und am liebsten zeichnet er nur. Ein Gespräch mit dem russischen Künstler und Architekten Alexander Brodsky.
Gerade als sich New York Ende Dezember 1999 auf die Millenniumsfeiern vorbereitete, bestieg Alexander Brodsky eine Aeroflot-Maschine nach Moskau, um endgültig in seine Heimatstadt zurückzukehren. Gut zwei Jahrzehnte, nachdem er dort Architektur studiert hatte, kehrte er zu seinen Wurzeln zurück: Mit Mitte 40 wurde Alexander Brodsky nun tatsächlich Architekt und gründete sein erstes Büro.
Es war der dritte Abschnitt in seiner Karriere. 1955 geboren, wurde er früh berühmt als Mitbegründer der "Paper Architects", die in den 1970er- und 1980er-Jahren der offiziellen Doktrin der sowjetischen technokratischen Moderne utopisch-fantastische Zeichnungen und Radierungen entgegensetzten. Nach dem Zerfall der UdSSR ging er nach New York, wo er sich mit von Industrieruinen inspirierten Rauminstallationen einen Namen machte.
Ein weiter Bogen von Architektur zu Kunst und wieder zurück. Kein Einzelfall, wenn man an heimische Größen wie Haus-Rucker-Co und Coop Himmelb(l)au denkt, die ähnliche Umwege nahmen. Für andere wie Raimund Abraham und Lebbeus Woods blieb das Zeichnen allzeit die wahre, die reine Erfahrung von Architektur. Gebautes fand selten oder gar nicht statt.
Zurück in seiner Lieblingsstadt, wurde der verlorene Sohn euphorisch aufgenommen als Gegenpol zu einer turbokapitalistischen Bauwut, in der Bausubstanz und Historie nicht mehr viel zählten. Sein aus alten Fensterrahmen zusammengesetzter spartanischer Pavillon für Wodka-Trinker sorgte 2003 für Aufsehen, und auf der Biennale in Venedig ließ er ein Tonmodell Moskaus langsam in schwarzem Altöl versinken. Außerdem baute er Wohnhäuser aus Holz, Restaurants wie das 95° mit seiner prekär gekippten Mikado-Konstruktion und einen temporären Pavillon aus Eiswürfeln. 2010 wurde er schließlich mit dem renommierten Kandinsky-Preis ausgezeichnet.
Vorige Woche weilte Alexander Brodsky in Österreich, wo das Architekturzentrum Wien (Az W) ihm derzeit eine Einzelausstellung widmet - Gelegenheit für ein Gespräch über Arbeitsmaterialien wie Holz und Öl, Wodka und Eis.
Sie haben über 20 Jahre nur gezeichnet. Gab es jemals den Wunsch, dass eine Ihre Zeichnungen Realität würde?
Brodsky: Nein. Manches davon hätte man theoretisch bauen können, aber die Papierarchitektur war nie dazu gedacht, gebaut zu werden. Das war reine Imagination. Ich war ganz zufrieden damit, nur Bilder zu zeichnen.
Sind Sie deshalb, wie es im Titel der Ausstellung heißt, heute noch erstaunt, dass Sie Architekt geworden sind?
Mit der Architektur ist es bei mir wie mit dem Autofahren: Mit beidem habe ich sehr spät angefangen, und beides war mir bis dahin unvorstellbar vorgekommen. Beim Autofahren bin ich jetzt noch manchmal erstaunt, dass ich das anscheinend kann, und bei der Architektur genauso.
Die Kunst sitzt aber immer noch auf dem Beifahrersitz?
Ja. Ohne zu zeichnen kann ich nicht leben. Meine Mitarbeiter arbeiten natürlich am Computer, das geht nicht anders. Aber ich kann damit nichts anfangen. Auch heute noch beginnt jedes Projekt mit einer Skizze.
Ist der Künstler Brodsky freier als der Architekt Brodsky?
Ja, das kann man so sagen. In der Kunst hat man nicht diese Verantwortung wie in der Architektur, wo es selbst bei kleinen Bauten wie meinen schnell sehr kompliziert wird. Als Architekt hängt mein Grad an Freiheit sehr von meinem Verhältnis zu den Bauherren ab.
Viele Ihrer Bauten wirken zerbrechlich oder verschwinden sogar nach kurzer Zeit wieder, wie der Pavillon aus Eiswürfeln, der nur einen Winter lang existierte. Reizt Sie der Zerfall?
Ich mag Objekte, die nicht ewig leben, die einen Anfang und ein Ende haben. Holzbauten wie das 95°-Restaurant stehen sicher noch ein paar Jahre, aber die Konstruktion ist nicht für ein langes Leben gebaut. Der Eispavillon war nicht nur auf dem Eis, also auf einem zugefrorenen See, sondern auch aus dem Eis gebaut, er konnte also gar nichts anderes als temporär sein. Mit den Wohnhäusern, in denen eine Familie mehrere Generationen lang leben soll, ist das natürlich anders. Aber auch dort benutze ich gerne Holz, weil man sieht, wie es altert, wie es mit der Zeit ergraut.
In Ihren Installationen kommen dagegen oft ganz naturferne Materialien vor. In Wien ist es sogar Maschinenöl.
Das schwarze Öl verwende ich sehr gerne, weil es der perfekte Spiegel ist. Kein anderes Material reflektiert das Licht so wunderbar. Ich liebe es, diese theatralischen Effekte in meine Arbeit miteinzubeziehen.
Sie sind 1999 nach Russland zurückgekehrt. Warum?
Es war nie mein Plan gewesen, zu emigrieren! Mein Besuch in New York, der eigentlich viel kürzer gedacht war, hat sich einfach immer mehr in die Länge gezogen. Am Schluss waren es fast vier Jahre! Ich hatte eine ganze Reihe von Aufträgen für Installationen dort. Nachdem die alle realisiert waren, war es Zeit, zurückzugehen.
Haben Sie Ihre Heimatstadt Moskau noch wiedererkannt?
Moskau hat sich sehr verändert. Es ist furchtbar, es läuft völlig aus dem Ruder. Alles wird zerstört. Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber banal gesagt: Die Macht des Geldes ist einfach zu stark. Man kommt nicht dagegen an.
Ist Ihre Architektur, wie damals die Paper Architecture, eine Reaktion auf diese Zustände?
Nein. Damals, als die industrialisierte Moderne herrschte, schauten wir in die Vergangenheit. Unser Held war Piranesi. Diese Faszination hat uns zusammengeschweißt, und die Freundschaften haben sich bis heute gehalten. Heute baue ich einfach Dinge, die mir gefallen. Kleine Bauten auf dem Land, nichts Monumentales. Vielleicht baue ich später einmal in Moskau. Stein und Beton können schließlich genau so schön altern wie Holz. Was es auch wird: Ganz sicher werde ich mich nicht an der Zerstörung von Geschichte beteiligen.
Die Tage der jungen Papierarchitekten, in denen nächtelang gefeiert und getrunken wurde, sind also vorbei?
Das schon, aber Wodka trinke ich immer noch gerne. Das hat sich nicht verändert!
(erschienen in: DER STANDARD, 9./10.7.2011)