Die Kuranlage aus den 70ern verschwindet, und mit ihr der Name - im September eröffnet die neue „Therme Wien“
Drei Favoritner Frühpensionisten sitzen gemütlich in „Jonny’s Imbiss“ neben der Endschleife des 67er hinter ihrem Milchrahmstrudel, während nur wenige Meter neben ihnen die Presslufthämmer schon dröhnend und staubend an der letzten Substanz der Therme Oberlaa nagen. Vor dem Eingang der Kurkonditorei lugen zwei Burschen durch den Bauzaun und urteilen anerkennend: „Schaut urscharf aus!“ Scharf sind sie in der Tat, die Kanten der neuen Therme WienMed, die als erster Teil des neuen Thermenkomplexes bereits seit Jänner eckig und luftig aus dem Hang des Laaerbergs ragt. In der „Café-Lounge“ im dortigen Foyer sitzt schon die Vorhut von blondierten Pensionistinnen auf weiß gemusterten Designersesseln in erhabener staubfreier Ruhe vor ihrem Karottenshake und unterhält sich über Malaisen im Bekanntenkreis.
Liquid Sound im WellnessPark
Vier Stockwerke darüber erklärt Geschäftsführer Dr. Edmund Friedl das Konzept der Therme Wien: Der 1974 errichtete Komplex aus Kurmittelhaus, Hotel und Thermalbad war ziemlich in die Jahre gekommen und bestenfalls für Retro-Design-Freaks, aber nicht mehr für jüngere, an ländlichen Wellnesspalästen wie Blumau oder Laa an der Thaya gestählte Badegäste verlockend. Vor allem im Saunabereich lag einiges im Argen. Als dann bei Bohrungen im Kurpark eine zweite Thermalwasserquelle erfolgreich angezapft wurde, war der Weg frei für einen kompletten Neubau. Neben den Badefreuden steht hier vor allem die Gesundheit und Präventivmedizin im Mittelpunkt; in der bereits eröffneten „Therme Wien Med“ warten 200 Behandlungs- und Therapieplätze auf ambulante Malade. Im September folgt dann die Thermenanlage - imposante 26 Becken mit insgesamt 4000 m2 Wasserfläche und 24 verschiedene Saunen auf 3000 m2 Fläche. Erlebniszuckerl von Rutschen, Sprungturm und Wildwasserkanal über die „Lady-Fitness-Zone“ bis hin zum „Solebecken mit Liquid Sound“ vervollständigen das Angebot, das zeitgemäß binnenversal als „WellnessPark“ firmiert. Der Oberbegriff „Therme Wien“ stellt die hauptstädtischen Ambitionen klar – für das stadtrandige „Oberlaa“ ist hier kein Platz mehr. Dass das bei der Favoritner Stammkundschaft zu anfänglichen Trotzreaktionen führen kann, ist Dr.Friedl bewusst: „Manche werden vielleicht dem Orange und Braun hinterhertrauern, aber den Wienern kann man es sowieso nie recht machen“.
iPads im Stein der Ruhe
Die Alt-Oberlaaer können sich aber zumindest unter herbstlichen Farben akklimatisieren, wie Matthias Burkart vom Stuttgarter Architekturbüro 4a bei der Baustellenbegehung erklärt: Die luftigen Decken der vier Badebereiche sind mit buntgepixelten Faserplatten verkleidet, die dem Farbspektrum der Jahreszeiten entsprechen. War der alte Badekomplex noch vor allem von Pensionisten bevölkert, soll die Therme Wien alle Generationen anlocken – mit allen potenziellen Konflikten, die dabei zwischen kreischend Plantschenden und dösend Dümpelnden vorgezeichnet sind. Dem baut die Architektur vor: „Die Anordnung der Wasserbecken folgt einem imaginären Bachlauf, entlang dem sich geschlossene Bereiche wie Steine aufreihen“, erklärt Burkart die Idee. So gibt es einen Saunastein, einen Erlebnisstein, einen Fitness- und Beauty-Stein, und einen Stein der Ruhe mit gedämpft beleuchteten Grotten und sogar einer Bibliothek, in der man im Liegestuhl analog blättern und digital auf bereitgestellten iPads scrollen kann. Daneben natürlich Aussenbecken und Liegewiesen, die – abgesehen von der Einhegung der FKK-Bereiche – nahtlos in den Kurpark Oberlaa übergehen.
Baba Oberlaa
Bis alles wirklich nahtlos funktioniert, wird noch eine Weile vergehen: Wenn die Therme im September aufsperrt, wird der Abbruch der alten Anlage noch in vollem Gange sein. Die Außenbecken werden schon eifrig gefliest, während wenige Meter nebenan noch die Betonwand des alten Hallenbads in die Baugrube ragt. Ob der Wiener, der gerade im azurblauen Beauty-Becken badet, nicht doch das Granteln anfängt, wenn direkt neben seinem Kopf die Abrissbirne schwingt? Denkt man an die stoischen Alten von „Jonny’s Imbiss“, dürfte die Sorge unbegründet sein – ein echter Wiener kann auch im Lärm entspannen. Für die, die dann noch zögern, bleibt die Konditorei Oberlaa als letztes Relikt aus der alten Zeit – sie wird renoviert und rückt an die neue Therme heran. Vielleicht nimmt sie, einem Magneten gleich, auch die letzten zögernden Veteranen, gelockt vom Tortenduft, mit in die wunderbare Wiener Wellness-Welt.
(erschienen in FALTER 23/2010)