Neonvillen und Curryhäuser: Warum Österreichs Häuser so oft gelb sind

Warum sind eigentlich so viele Häuser in Österreich gelb? Eine scheinbar banale Frage, deren Antworten viel über die Kulturgeschichte und die Missverständnisse von Farben und Fassaden erzählen. Eine Spurensuche in den Pigmenten.

Ein Running Gag in Folge 33 der Serie Monty Python’s Flying Circus aus dem Jahr 1972 ist, dass immer wieder jemand plötzlich und zusammenhanglos die Frage stellt: „Lemon Curry?“ Eine Frage, die man sich auch bei einem Spaziergang durch Österreich immer öfter stellt. Denn Österreich, so der subjektive Eindruck, wird immer gelber, vor allem in den östlichen Bundesländern. Ein Dorf im Mostviertel, mittendrin ein Bauernhof in nachtleuchtenden Farben, oben Zitrone, unten Orange. Eine Villa am Hang nahe Wien, übersät mit weißen Ornamenten in Zuhälterbarock, der Putz in kreischendem Neongelb. Ein warnwestenfarbenes neues Haus am Ortsrand im Weinviertel, kilometerweit sichtbar. Eine Siedlung im Südburgenland, hinter der Thujenhecke eine Wand in Textmarker-Neon. Aber auch Wien ist nicht verschont: Auswurfgelb in Aspern, Eidottergelb am Nordbahnhof, ein gigantischer Käse in Liesing. Lemon Curry?

„Ich beobachte das Phänomen auch schon länger,“ sagt Architekt Erich Bernard vom Wiener Büro BWM, das sich in ihren Bauten intensiv mit Farbe beschäftigt, von der sorgfältigen Fassadenrestaurierung des Karl-Marx-Hofes bis zum schwarzgetünchten 25 Hours Hotel. „Das Gelb ist allerdings nicht das Hauptproblem, sondern die Helligkeit und der Kontrast“. Dies sei auch bei weißen Häusern der Fall, wenn sie an Stellen auftauchen, wo sie nicht hinpassen. „Vor einem dunklen Hintergrund wie einem Wald springt das Weiß überdeutlich hervor. Die Moderne wird ebenso unreflektiert übernommen wie früher das Schönbrunner Gelb“. In der Tat eiferte der Adel schon im frühen 19.Jahrhundert dem Hof nach und ließ sich schönbrunnfarbene Palais errichten, das Bürgertum Ende des 19.Jahrhunderts tat es ihm mit seinen Sommerfrische-Villen gleich, während der Landadel selbst das Gegenteil tat und traditionell-bäuerliche Bauformen übernahm.

Feudale Mimikry

Ist die Vergelbung also eine Langzeitfolge dieser feudalen Mimikry? Imitiert man heute noch Farbe und Form der Herrschenden, um sich auch ein bisschen wie ein Fürst zu fühlen, mit einem Schloss im Westentaschenformat? „Da ist sicher etwas dran,“ sagt Michael Maxian, Universitätslektor und bis zu seiner Pensionierung 40 Jahre lang federführend in der Raumordnung beim Land Niederösterreich zuständig. „Farben sind immer Moden unterworfen, heute mehr denn je. Früher gab es eine gemeinsame Tradition, die sich aus der Funktion ergab. Heute wählt man vielleicht aus dem Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung heraus sogar eine Farbe, die man gar nicht mag, weil man eben auffallen will.“

Neongelb also als Signalfarbe dafür, dass man es zu etwas gebracht hat? „Niemand baut absichtlich schiach,“ konstatiert Michael Maxian. „Aber erstens gibt es heute keinen Konsens mehr, was schön ist, und zweitens geht es beim Ortsbild auch nicht um Schönheit, sondern um Angemessenheit. In der heutigen individualisierten Gesellschaft will sich kaum noch jemand an ein Ortsbild anpassen“.

Dabei hat jedes Bundesland Paragrafen zum Schutz des Ortsbildes beschlossen und den Gemeinden als Werkzeug in die Hand gegeben. Einige machen Gebrauch davon und verordnen in ihren Bebauungsbestimmungen, welche Fassadenfarben zulässig sind. „Die Farbgebung der Fassaden hat in pastellenen Farbtönen zu erfolgen“ (Paternion). „Nicht zulässig sind für Fassaden grelle Farbtöne“ (Übersaxen). „Signalfarben (z.B. grelles Gelb, Orange, Rot, Grün etc.) sind nicht zulässig“ (Feldbach). Doch erstens ist die Auslegung Sache der Gemeinde, zweitens verzichten viele Bürgermeister auf solche Einschränkungen, weil sie froh sind, wenn „die jungen Leute“ überhaupt bauen und nicht abwandern.

Haus als Konsumobjekt

Doch woher kommt das Gelb überhaupt? Denn irgendjemand muss es ja anbieten. „Es stimmt, rein quantitativ betrachtet sind Gelbtöne die meist nachgefragten Farbtöne in Österreich,“ bestätigt Herwig Oberguggenberger von Sto, macht dabei jedoch einen bemerkenswerten Unterschied: „Kundschaft, die sich von ausgebildeten Farbberatern beraten lässt, folgt den Trends hin zu Naturfarbtönen. Kundschaft, die durch uns nicht beraten wird, folgt eher der traditionellen Volksarchitektur und greift gerne zum Gelb“.

Wilfried Spanring, Farbberater und „Mr.Color“ bei Baumit, bestätigt den Gesamttrend Richtung Schlammfarben, verweist aber auch auf die schiere Größe des Angebots: „Als ich vor 33 Jahren in der Firma anfing, gab es 25 Farben. Heute sind es 900, und selbst damit kommen wir nicht aus.“ Dank der technischen Fortschritte sind heute auch grelle Töne auf Fassaden möglich, ohne gleich auszubleichen. Ganz glücklich ist Spanring nicht damit: „Es kommen auch Kunden zu uns mit Farbfächern für Lacke, die auf Putz gar nichts zu suchen haben.“ Häuser seien heute zu konfigurierbaren Konsumobjekten geworden, und angesichts des Farbangebots seien viel Häuslbauer schlicht überfordert.

Auch die Farbexpertin Monika Heiss, die Farbkonzepte für Gemeinden, Bauherren und Architekten erstellt, seufzt bei der Frage nach dem Gelb. „Es tut mir wirklich weh, wenn ich sehe, wie viele Maler mit Farbe umgehen. Heute kommen sie oft auf die Baustelle mit einem kleinen Farbfächer, und in zehn Minuten entscheidet man die Fassadenfarbe für 30 Jahre. Furchtbar! So etwas muss man direkt auf der Fassade und auf Farbtafeln prüfen, bei unterschiedlichen Tageszeiten und Lichtverhältnissen, aus der Nähe und aus der Ferne.“ Noch dazu würden heutige Produkte dank Titandioxid aggressive Farbtöne ermöglichen, während traditionelle erdbasierte Pigmente weich, transparent und natürlich wirken.

Kalk gegen Silikat

Liegt die Schuld also beim Handwerk der verbreiteten Ignoranz, dass Farbe eine Substanz ist, und nicht nur Oberfläche? Dass ein gedrucktes Gelb auf dem Farbfächer etwas völlig anderes ist als ein Gelb auf Vollwärmeschutz, und dies wieder anders als ein Gelb auf Putz? Eine Geschichte der Missverständnisse? Apropos: Was ist denn nun eigentlich das Schönbrunner Gelb?

Darüber weiß kaum jemand besser Bescheid als Manfred Koller, Dozent für Technologie und Konservierung und langjähriger Leiter der Restaurierwerkstätten des Bundesdenkmalamtes. „Vor vielen Jahren fragte mich ein deutsches Bauamt nach dem genauen Rezept von Schönbrunner Gelb,“ erinnert er sich. „Meine einfache Antwort lautete: Es gibt keines“. Das in Kalktechnik gestrichene Gelbocker bekommt seine Farbigkeit aus den Orten, wo es abgebaut wird, mit vielen Variationen. Noch dazu war Schönbrunn zu Maria Theresias Zeiten keineswegs immer gelb, sondern teilweise rosa. „Als Farbmode ist das Gelbocker relativ jung und wurde erst mit dem Umbau von 1815 üblich,“ sagt Koller. Doch selbst Schönbrunn ist heute nicht mehr schönbrunngelb, wie Koller bedauernd anmerkt. „In den 1980er Jahren stellte die Verwaltung auf Silikatanstrich um. Dadurch wirkt die Farbe heute zu schwer und kompakt“.

Abschließende Diagnose: Österreich wird vielleicht nicht komplett gelb, aber immer schriller. Die Ursachen: Konsumtrends, Missverständnisse, Auffallen um jeden Preis. Was ist zu tun? „Man bräuchte eine Institution für Farbe. Nicht, um den Leuten etwas vorzuschreiben, sondern um ihnen zu erklären, wie Farbe funktioniert,“ plädiert Monika Heiss. „Es geht dabei nicht um persönlichen Geschmack, sondern um Wahrnehmung. Wir sind heute von visuellen Eindrücken überflutet. Es wäre schön, wenn sich die Menschen mehr Zeit nehmen für das Schöne, für die Natur, für das Detail“.

 

 

Erschienen in: 
Der Standard, 15.8..2020