Melange mit Mieze

Zum 8. August alias Weltkatzentag: Nirgendwo sind Katzencafés so populär wie in Japan. Doch gerade haben die ausgelagerten Haustiere auch gefiederte Konkurrenz bekommen

Das Verhältnis des Japaners "an sich" zum Tier "an sich": eine komplizierte Sache. Wer sich in japanische Zoos wagt und trotz in trüber Brühe gestapelter Krokodile und minimal möblierter Mini-Terrarien ohne Depression wieder hinausgeht, hat wohl ein Herz aus trockenem Seetang. Vom Walfang wollen wir gar nicht erst anfangen. Andererseits erfreut sich das japanische Rindvieh - bevor es auf dem Grill landet - mitunter hingebungsvoller Biermassagen.

Am besten scheinen es die fiktiven Tiere zu haben, die großäugig von Postern, aus Schaufenstern und Mangas blinzeln. Nur ihnen gilt unsterbliche Liebe. Mehr als zwei Kategorien für die Tierwelt - "herzig" (kawaii!) oder "zum Essen" - braucht der Japaner offenbar nicht. Doch an und für sich wissen wir auch, dass es den Japaner "an sich" natürlich nicht gibt.

Privilegiert innerhalb der Kawaii-Fauna ist das Katzentier: Manch japanisches Auto quillt über vor Hello-Kitty-Schonbezügen, Hello-Kitty-Lenkradüberziehern und Hello-Kitty-Püppchen: alles sehr putzig. Yamato, der bekannteste Zustelldienst des Landes, hat als Logo eine Katze, die ein kleines Kätzchen im Maul trägt: sehr praktisch. Und Schilder, die vor dem Eingeklemmtwerden durch schließende Lifttüren warnen, zeigen in Japan natürlich eine weinende Katze mit verletztem Schwanz.

Auch reale Katzen trifft man häufig an, doch in diesem dichtbesiedelten Land haben vor allem in Großstädten nicht alle Platz für ein Haustier. Man kann sich also an vier Pfoten zusammenzählen, welches Land am begeistertsten war, als in Taiwan 1998 das erste Katzencafé eröffnete: Niemand kopierte das heißgetränkuntermalte Haustieroutsourcing so zahlreich wie die Japaner, die schon immer das größte Talent für Kulturimporte hatten. Heute gibt es schon über 150 "Neko no Mise", also japanische Katzencafés. Hier kann das streng getaktete Arbeits- und Alltagsleben der Japaner, das kaum Zeit für Entspannung bietet, einen Boxenstopp mit Streicheleinheiten einlegen.

Wer sich jetzt eine Art Café Demel mit dekorativ platzierten Felinen vorstellt, liegt falsch: Katzencafés ähneln eher einer Mischung aus Wohnzimmer und Therapieraum - "bitte Decke und bequeme Kleidung mitbringen!" Manche wirken recht schmucklos, ambitioniertere Varianten wie das Temari no Ouchi in Tokio sind komplett eingerichtete Kawaii-Welten mit krummen Kinderbuch-Häusern wie aus einem Animé von Hayao Miyazaki "Chihiros Reise ins Zauberland" oder bieten ganze Manga-Bibliotheken mit Miezbegleitung.

Das Ausschenken von Heißgetränken passiert eher nebenbei, es dient als thematisches und finanzielles Feigenblatt. Wer mit Katzen kuscheln will, tut das nicht umsonst. Eine Stunde streicheln und schnurren kommt auf 1000 bis 1300 Yen, knapp zehn Euro. Fotografieren darf man die Tiere, solange und sooft man will - wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wird. Die Katzen selbst stammen manchmal von der Straße, weniger soziale Caféwirte stellen sie sich nach farblichen Kriterien zusammen.

Während in den letzten Jahren die Katzencafés weltweit kopiert wurden, von London über New York bis zum Café Neko im 1. Bezirk in Wien, hat die Katze in Japan im Kampf um die Kawaii-Krone Konkurrenz bekommen. Hasencafés und Ziegenbeisln lassen sich zwar noch unter "skurrile Randerscheinung" abheften, ebenso wie die "Bar in which Penguins are present" im Tokioter Stadtviertel Ikebukuro, hinter deren Namen sich eine Bar verbirgt, in der - Überraschung! - Pinguine anwesend sind. Doch die neue Niedlichkeit mit Breitenwirkung ist gefiedert, großäugig und heißt Eule. "Fukuro no Mise", also Eulencafés, sind jetzt der letzte Schrei in der Tiergastronomie.

Eulen für die Mittelschicht

Eines der ersten Eulencafés in Tokio befindet sich im Mittelschicht-Wohnviertel Tsukishima. Es ist so unauffällig, dass man erst einmal daran vorbeigeht, selbst wenn man der genauen Wegbeschreibung folgt, die man einem Eulenblog entnommen hat. Nur ein Vorhang mit Eulenmotiven hinter einer Glastür mit Eulenaufklebern verrät den Inhalt. Klopft man an, steckt eine junge Dame ihren Kopf heraus und befiehlt, sich für einen einstündigen Besuchstermin anzumelden. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, mehr als zehn Menschen halten die 18 Eulen im Raum nicht aus.

Während die Drinks serviert werden, gibt uns das Eulenerläuterungsgirl einen Schnellkurs im Krallen-Handling - "gut festhalten!" - und Federstreicheln - "nie gegen die Wuchsrichtung!" Leider spricht sie kein Englisch, doch eine zuvorkommende Mittfünfzigerin, Lehrerin aus einem Vorort von Tokio und Stammkundin, übersetzt uns das Wesentliche. "Bevor wir zu den Eulen gehen, bitte die Getränke mit Klarsichtfolie abdecken!" Woraufhin jeder Gast ein Käuzchen seiner bevorzugten Gewichtsklasse ausgehändigt bekommt, um es in der Hand oder auf der Schulter zu tragen, unsicher zu kichern und sich dabei fotografieren zu lassen. Dem westlichen Besucher wird so die Gelegenheit gegeben, den sonst selten geäußerten Satz "Ich glaub, mein Uhu hat gekackt!" auszusprechen. Da Uhus weder dumm noch boshaft sind, zielen sie netterweise an der Schulter vorbei aufs abwaschbare Linoleum.

Ein gewisses Unbehagen bleibt trotzdem. Man weiß ja schon bei Katzen nie genau, was sie denken. Noch schwieriger ist es, der Eule Emotionen zu deuten, deren Mimik und Gestik eher von der minimalen Natur eines Buster Keaton sind. Ob es den nachtaktiven und tagträgen Tieren wohl recht ist, stundenlang von wechselndem Personal angegrabscht und mit "Kawaiiii!" zugedröhnt zu werden? Sind sie stoisch oder gestresst, rollen sie innerlich mit den Augen? Man sieht es ihnen nicht an. Die Mittfünfzigerin, die uns nach Ablauf der Besuchszeit zur U-Bahn-Station begleitet, stellt sich diese Fragen aber ebenso wenig wie die nach der aktuellen Tierwahl für gastronomische Zwecke: Denn warum eigentlich werden in Japan jetzt Eulen in Kaffeehäuser getragen?

So assoziiert man dort wie in Europa auch Weisheit mit Eulen, letztlich aber gelten die Vögel wie Winkekatzen einfach als Glücksbringer. Die Lehrerin aus der Vorstadt hat ihr heutiges Eulenstreicheln jedenfalls routiniert absolviert und ist vollauf zufrieden. Woher kommt ihre Liebe zur Anfass-Ornithologie? Sie sehe das nicht so eng, sagt sie, das Wichtigste sei: "I like big animals!" Ob ihr größter Traum also ein Elefantencafé sei? Ihre Augen leuchten. Ein Elefantencafé, sagt sie mit enthusiastischer Ernsthaftigkeit, wäre in der Tat eine fantastische Sache.

 

Erschienen in: 
Der Standard (RONDO), 8.8.2014