Mein Bauherr, der Braunbär

Vorige Woche wurden die Animal Architecture Awards verliehen - Ein Überblick über das Bauen von Menschen für Tiere

Bauordnungen, Normen, Technische Bestimmungen, und nicht zuletzt der gesunde Menschenverstand: Wie die Gattung Homo sapiens idealerweise in gebauten Räumen unterzubringen sei, ist mehr als hinreichend definiert und geregelt. Aber was, wenn der Mensch für seine Mitwesen baut? Wie wollen Tiere wohnen? Welche Wandfarbe bevorzugen Wasserschweine, wie viel Bewegungsraum braucht der Braunbär? Ab welcher Höhe brauchen Gämsen ein Geländer? Mögen Pinguine Beton?

Zumindest die letzte Frage darf seit 1934 als beantwortet gelten. In jenem Jahr eröffnete im Londoner Zoo das neue Pinguinbecken: Ein leuchtend weißes Oval, darin zwei freischwebende elegante halbkreisförmige Betonrampen. Dem russischen Exilarchitekten Berthold Lubetkin, der bereits im Jahr zuvor nebenan das revolutionäre drehbare Gorillagehege gebaut hatte, gelang es damit, mit einem Schlag die moderne Architektur ins damals noch im Landhausstil dahindämmernde Großbritannien zu importieren.

Die Pinguine fühlten sich im kühl-modernen Ambiente wohl und watschelten wie geplant rampauf und rampab. Geschützte Schattenbereiche und Schiefer- und Gummiböden sorgten für notwendige Abwechslung. "Zum ersten Mal werden hier Tiere nicht in künstlichen Nachbauten ihrer natürlichen Umgebung untergebracht", jubelte der ehemalige Bauhaus-Professor László Moholy-Nagy bei der Eröffnung des Bauwerks.

Erlebnislandschaft statt Beton

Nicht zu Unrecht, denn bis dahin hatte man Tiergehege europaweit vor allem im Stile kolonialer Exotik gestaltet. Elefantenhäuser sahen aus wie Hindutempel, Strauße wohnten in ägyptischen Pyramiden. Die Tiere selbst hatten wenig von der ausufernden Stilistik. Für sie waren die dekorierten Gehege wenig mehr als triste Schaukästen.

Am besten hatten es die Vögel, sie wohnten schon immer innovativer. Die heute denkmalgeschützte Voliere im Londoner Zoo galt bei ihrer Eröffnung 1964 als technische Meisterleistung, ebenso wie ihr Pendant im Münchner Tierpark Hellabrunn, das Olympia-Ingenieur Frei Otto 1980 als fast unsichtbares Paradebeispiel des Leichten Bauens entwarf. Seitdem hat sich der Trend umgekehrt. Das kantig betonierte Eisbärengehege in München war den Besuchern zu kalt, seit 2010 zeigt es sich als Polarlandschaft mit Kunststeinkulisse. Weltweit werden die Gehege zu Erlebnislandschaften.

"Das Bauen wäre einfacher, wenn es nur um die Tiere ginge. Ob man Kunstfelsen oder Beton nimmt, ist dem Tier im Grunde wurscht. Glatte Oberflächen sind oft sogar besser, weil sie sich leichter reinigen lassen", sagt Hermann Fast, Leiter der Abteilung Technik und Projektentwicklung im Tiergarten Schönbrunn. "Der Besucher will aber ein schönes Bild haben. Auch die Informationen lassen sich besser vermitteln, wenn es schön ist."

Das Motto: einerseits wichtige, aber für den Besucher unspektakuläre Arterhaltung meist kleiner, undramatischer Tiere, andererseits immer größere Gehege für das erlebnishungrige Volk. Nicht erst seit Knut stehen Eisbären hier auf Platz eins, so auch in Schönbrunn. Das alte Gehege ist laut Tierschutzgesetz etwas zu klein, demnächst beginnt der Neubau, 2014 müssen die Bären einziehen können. "Das Gesetz schreibt genau vor, wie viele Quadratmeter Land und Wasser ein Eisbär braucht", erklärt Hermann Fast. "Dann ist beim ältesten Zoo der Welt natürlich der Denkmalschutz ein Thema, noch dazu gibt es für viele Tierarten Sonderbestimmungen - am extremsten bei Koalas, da gelten die strengen Regeln der Zoological Society of San Diego."

Dass Tierbehausungen mehr als Kulissen aus Felsimitat sein können, zeigt die Website animalarchitecture.org, die sich seit 2009 innovativen Bauwerken für Tiere widmet. "Ich hatte den Eindruck, dass dieser Aspekt in der Fachwelt zu wenig gewürdigt und verstanden wurde", sagt der Mitbegründer der Plattform, der texanische Architekt Ned Dodington. "Wir wollen Beispiele sammeln, die eine stärkere Verbindung von Architektur und der Welt des Lebendigen zum Ziel haben."

Etwa das Insect Hotel, dessen Prototyp die Staringenieure Ove Arup, sonst eher mit weltweiten Olympiastadien und Flughäfen beschäftigt, 2010 bauten: Ein mannshoher Quader aus gepresstem Schichtholz, wie ein Setzkasten unterteilt in winzige, nach artspezifischen Vorlieben mit Sand, Zweigen und Kompost möblierte Zimmer für Käfer und Co. Die Resonanz auf die Seite wurde schließlich so stark, dass man Anfang des Jahres die Animal Architecture Awards ins Leben rief, deren Ergebnisse von der namhaft besetzten Jury vorige Woche bekanntgegeben wurden. "Unsere Erwartungen sind weit übertroffen worden, wir hatten Einsendungen von Deutschland, England und Italien bis nach Singapur", sagt Dodington.

Dass die Teilnehmer offensichtlich Spaß an der Sache hatten, zeigen die Siegerprojekte: Vom 3-D-Computerspiel, in dem der Teilnehmer in die Wahrnehmungswelt der Tiere schlüpfen kann, bis zu gigantischen Farmland-Erlebnisparks im Mittleren Westen, in denen gelangweilte Großstädter ein Wochenende lang Ökobauer spielen können.

Das Team von der Universität Nottingham verwandelte eine aufgelassene Fabrik in ein Stadthaus für Bienen, deren weltweite Population in den letzten Jahren dramatisch abgenommen hat. Friend & Co Architects aus England übersetzten die Hochhausplanungen von Le Corbusier in kleine Türme für Fledermäuse, die in den heutigen vollversiegelten Wohnhäusern keinen Lebensraum mehr finden.

Die Projekte werden demnächst im Architecture Center Houston gezeigt und finden, wenn es nach den Initiatoren geht, ihre Fortsetzung: "Sollen die Animal Architecture Awards eine Dauereinrichtung werden? Auf jeden Fall! ", sagt Ned Dodington. Ob abstrakt, humorvoll oder spielerisch: Klar ist, dass der Mensch schon zu lange und zu stark in die Lebenswelt der Tiere eingegriffen hat, um sie einfach unbehaust sich selbst überlassen zu können.

 

(erschienen in DER STANDARD, 20./21. August 2011)

www.animalarchitecture.org