Die Wiener Wohnbauoffensive soll 7500 neue Wohnungen schaffen. Offen ist, ob die bisherige Qualität der Architektur gehalten werden kann.
Christoph Lammerhuber schaut sich in der brandneuen Wohnung um und freut sich: Gerade eben hat ihn sein eigenes Gebäude überrascht. „Manchmal vergißt man fast, wo man noch einen Raum versteckt hat”, sagt der Architekt von der Wiener Planergruppe pool. Kein Wunder, denn von den 107 ineinander verschachtelten Wohnungen im gerade fertiggestellten L-förmigen Wohnbau in Wien-Donaustadt gleicht kaum eine der anderen. Durch trickreiche Auslegung der Bauordnung gelang es den Architekten, mehr Kubatur aus dem Grundstück zu schlagen als eigentlich zu erwarten war. Dieses Plus an Raum wurde jedoch nicht verwendet, um die profitbringenden Quadratmeter bis zum letzten Abstellraum auszureizen, sondern in räumlichen Mehrwert für die Bewohner umgemünzt.
Fast vier Meter hohe Wohnräume öffnen sich nun nach Süden, die Gänge bekamen breite Lichtschneisen an den Seiten, und die Stiegenhäuser wurden zu in feudalem Gold schimmernden Treppenkaskaden. Der langgestreckte Wohnriegel mit seinen wie ein Op-Art-Eierkarton gefalteten Balkonbändern war als Siegerprojekt aus einem Wettbewerb für „junge Architekten“ hervorgegangen - einem von 40 Bauträgerwettbewerben, die der für den geförderten Wohnbau zuständige Wohnfonds Wien bislang durchgeführt hat.
Bewährtes Erfolgsrezept
Ein bewährtes Erfolgsrezept: „Wettbewerbe garantieren Qualität, weil Konkurrenz belebt. Jeder versucht, sein ganzes Know-How einfließen zu lassen. Noch dazu werden durch dieses Verfahren die Baukosten reduziert”, sagt Wohnfonds-Geschäftsführerin Michaela Trojan.
Doch die Erfolgsgeschichte des traditionsreichen und international gerühmten Wiener Wohnbaus hat durch die Finanzkrise einen Knick erfahren. Die Bauproduktion ging zurück, die Mittel für die Wohnbauförderung wurden deutlich gekürzt, so mancher Baubeginn musste verschoben werden. Dabei ist der Druck auf den Wohnungsmarkt unverändert hoch, dann schließlich steuert die Einwohnerzahl Wiens zielstrebig auf die Zwei-Millionen-Grenze zu.
Zur Lösung des drängenden Problems präsentierte Wohnbaustadtrat Michael Ludwig Mitte März die „Wiener Wohnbauoffensive”. Aufgrund des kurzfristig niedrigen Zinsniveaus konnte die Stadt 500 Millionen Euro aufnehmen, die nun zu günstigen Konditionen an Konsortien aus Finanzdienstleistern zum Bau von 7500 freifinanzierten Wohnungen bis 2014 weitergegeben werden. So sollen auch künftig günstige Mieten gewährleistet sein und den drohenden Stillstand bei Entwicklungsgebieten wie Aspern verhindert werden. Ein sechsköpfiger Fachbeirat soll zudem für die Qualität der Wohnungen garantieren.
Nach Ablauf des nur zweiwöchigen Calls hatten sich sieben Konsortien beworben. „Die Einreichungen werden jetzt geprüft, etwa Anfang Mai werden wir dann die Konsortien bekanntgeben”, sagt Wohnbaustadtrat Michael Ludwig zum STANDARD. Wesentliches Kriterium sei, dass die Bewerber auch Grundstücke einbringen. Die für den geförderten Wohnbau vorgesehenen Flächen würden jedenfalls von der Wohnbauoffensive nicht berührt, so Ludwig.
7500 Wohnungen - zusammengenommen entspricht das immerhin einer Stadt der Größe Kufsteins, die hier in wenigen Jahren errichtet wird. Drohen also gestapelte Bettenburgen statt lichtdurchfluteter Räume und innovativer Grundrisse? Das befürchten die Architekten, die in einem gemeinsamen Papier die Frage stellten, ob der Fachbeirat ein Bauvolumen von insgesamt 1,25 Milliarden Euro in so kurzer Zeit überhaupt prüfen könne. Da zudem den Konsortien kaum nennenswerte Vorgaben gemacht wurden, drohe die Qualität zu leiden.
Verpasste Chance?
Dass schnelles Handeln vönnöten war, bezweifelt auch bei den Grünen niemand. Die Vorgaben seien jedoch zu vage. „Keine Anforderungen an die Grundrisse zu stellen, finde ich bedenklich”, sagt Planungssprecherin Sabine Gretner. „Es ist fraglich, ob die Bauträger daran interessiert sind, neue Wohnbautypologien für unsere heutigen Lebensformen zu entwickeln. Dass man diese Offensive nicht nutzt, um den Wohnbau auch inhaltlich weiterzubringen, halte ich für eine verpasste Chance.”
Beim Wohnbauressort will man das so nicht gelten lassen. „Wir haben in Wien ohnehin ein starkes Regelwerk, die Konsortien können sich also nur in einem gewissen Rahmen bewegen. In anderen Städten wird ganz ohne Auflagen gebaut”, sagt Michael Ludwig. „Von daher ist die Sorge, dass da Betonbunker hingestellt werden, aus der Luft gegriffen.” Außerdem habe man eh keine Alternative: „Entweder es gibt die Wohnbauoffensive, oder es gibt eben 7500 Wohnungen weniger.”
Dass es den Architekten tatsächlich um eine lebenswerte Stadt geht, wird in der Diskussion schnell übersehen. Den gerne geäußerten Vorwurf, es gehe ihnen bei der Kritik ja doch nur um ein Stück vom millionenschweren Kuchen, trifft nicht zu, sagt Walter Stelzhammer, Präsident der Architektenkammer. „Österreichische Architekten investieren jährlich 83 Millionen Euro in Wettbewerbe. Es gibt kaum eine Berufsgruppe, die ein so hohes Risiko auf sich nimmt.”
Dass immer nur einer zum Zuge kommt, ist klar. Wie man aber garantiert, dass es auf transparente Weise auch der Beste werden kann, ist die Frage. Als Anreiz dafür könnten Bauträger, so der Vorschlag, mit beschleunigten Genehmigungsverfahren bei der Stadt belohnt werden. Letztendlich ist Stelzhammer zuversichtlich, dass das Kooperationsangebot an Stadt und Bauträger Früchte tragen wird. „In der großen Dimension des Programms liegt schließlich auch eine Chance.”
Michaela Trojan sieht die Entwicklung ähnlich gelassen: „Um die Qualität mache ich mir keine Sorgen. Die Bauträger haben durch die Wettbewerbe der letzten Jahre gelernt. Schließlich müssen die Bauten auch in 15 Jahren noch vermietbar sein.”
(Erschienen in: DER STANDARD, 16./17.4.2011)