Mach mir den Hof!

Das Einfamilienhaus ist keine Zukunftslösung, so viel ist klar. Aber was dann? Die Antwort: verdichteter Flachbau!

In schreiendem Currygelb angepinselte Wärmedämmungsburgen, die wahlweise zu kleinen oder zu großen Fenster willkürlich ins Styropor gestanzt, umgeben vom gerade noch bezahlbaren Ausmaß an Garten, vor Nachbars neugierigen Blicken geschützt durch bodennah angedörrte Thujenhecken und Baumarkt-Holzpalisaden im Minimundus-Format, dazwischen hat das heute offenbar zur Standardausrüstung gehörende Outdoor-Trampolin gerade noch Platz. So sieht er nicht selten aus, der Traum vom Einfamilienhaus an der gürtelverspeckten Peripherie unserer Städte.

Er könnte auch so aussehen: eine schmale Gasse zwischen rauen Betonwänden, die von wildem Grün überwuchert sind. Keine Autos. Eine Kleinfamilie hat ihren Gartentisch zum Abendessen auf die Straße gestellt. Ein toskanisches Dorf, mit dem Lineal in den Hang gezeichnet. Hinter der Mauer lange schmale Gärten, dreigeschoßige Wohnungen dicht an dicht, rundherum Fuchs und Hase, Käuzchen, Waldidyll.

Diese Szene ist kein versponnenes Kuriosum, sie spielt sich schon seit über 55 Jahren ab. Die Siedlung Halen in der Nähe von Bern wurde 1961 bezogen und wirkt heute noch modern. Sie ist auch weit besser gealtert als manche der schon angeschimmelten Putzburgen unseres Jahrhunderts. Die vom jungen Büro Atelier 5 mitten in den Wald geplante Siedlung war bei den Bewohnern so beliebt, dass sie einen Steinwurf entfernt bald Nachfolger bekam, Thalmatt I (1974) und Thalmatt II (1985). Atelier-5-Mitglied Alfredo Pini lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2015 selbst dort. So viel zum Vorurteil, Architekten würden lieber im Stilaltbau als in ihren eigenen Häusern wohnen.

Was hier in der Schweiz entstanden war, war weder Einfamilienhaus noch Reihenhaus, sondern etwas Eigenes. "Verdichteter Flachbau" nennt es das Planersprech. Wie auch immer man es nennen will, gemeinsam ist den Siedlungen, die seitdem überall in Europa diesem Typ folgten, dass jede Wohnung wie ein Haus funktioniert, nur eben nicht allein auf einem Gartengrundstück steht. Stattdessen gibt es mal Atrien, mal Innenhöfe, mal Dachgärten. Dass Wohnanlagen dieser Art nur rund ein Viertel der Fläche von Einfamilienhausgebieten gleicher Einwohnerzahl verbrauchen, ist heute nützlicher denn je. Die Schweiz hat ihre "Hüslipest", die Städte ufern aus, die Landschaft zwischen Basel und Zürich ist längst von einem schwerverdaulichen Siedlungsbrei überschwemmt.

In Österreich ist es nicht viel anders. Rund 15 Hektar Fläche pro Tag werden hierzulande verbraucht. "Das Einfamilienhaus gilt allgemein als untragbar im Hinblick auf die allgemein befürchteten Kosten und vor allem den hohen Landverbrauch mit langen Wegen und hohen Erschließungskosten", sagte einmal ein kluger Mann. Dieser Mann hieß Fritz Kühberger, Geschäftsführer des Bauträgers Neue Heimat, und er sagte es erstaunlicherweise schon vor über 40 Jahren. Die Lösung für dieses Dilemma hatte Kühberger parat, und sie ist heute eine der berühmtesten Siedlungen des verdichteten Flachbaus: die Gartenstadt Puchenau bei Linz. Knapp 1000 Wohnungen beherbergt die von Architekturdoyen Roland Rainer konzipierte, in zwei Abschnitten (1963- 1968 und 1978-1995) errichtete Siedlung. Anfangs als "Rainer-KZ" verhöhnt, wird sie von ihren Bewohnern bis heute hoch geschätzt. Schon kurz nach der Besiedlung ergab eine Studie, dass 75 Prozent der Bewohner ihre Wochenenden zu Hause verbrachten.

Der Frage, wie aktuell das Dicht-an-dicht-Wohnen heute ist, widmete sich vorigen Mittwoch eine Podiumsdiskussion am Haus der Architektur in Graz anlässlich des vom Schweizer Triest-Verlag herausgegebenen Buches Verdichten, das 56 Siedlungen von den 1950er-Jahren bis heute mit helvetischer Gründlichkeit analysiert und vergleicht. "In der Schweiz ist das Problem der Zersiedelung immer noch ungelöst, der Landschaftsverbrauch ist immens", sagt die Architektin und Verlegerin Andrea Wiegelmann vom Triest-Verlag zum STANDARD. "Der verdichtete Flachbau kann auch heute noch viel zur Verbesserung beitragen, gerade an der Peripherie. Diese Siedlungen funktionieren wie eine Stadt im Kleinen, mit sehr menschlichem Maßstab."

Auch Wolfgang Köck vom Grazer Büro Pentaplan hat sich schon seit Jahren auf Atriumhäuser spezialisiert. "Das Wesentliche, was sie mit dem Einfamilienhaus teilen: Die Menschen können darin ihre eigene Welt aufspannen, ohne Einblick von außen." Beispiel: die 1999 errichtete Pentaplan-Wohnanlage mit dem poetischen Namen Liquid Sky. Ein großes Stück gebaute Masse, mit rotem Putz und Fensterläden von außen mediterran-italienisch anmutend, während die von oben eingestanzten Atrien selbst ganz skandinavisch daherkommen.

Die Wohnungen hier brauchen keinen Garten ums Haus, sagt Wolfgang Köck. "Wenn man ein Atrium in der Wohnung hat, wird der Garten durch den Himmel ersetzt." Somit ist auch das Rätsel um den Namen gelöst. Auch die jüngste Pentaplan-Siedlung Alphawolf in Mariatrost (2003-2011), an einem Nordhang gelegen, holt sich das Sonnenlicht mit Atrien ins Innere. Als Zusatzgarten ist das Dach begehbar, Hecken aus Weinreben verhindern unbefugtes nachbarschaftliches Hineinspähen. Wird dem Atriumwohnen also in Zeiten, da Grund und Boden immer teurer und Bauplätze immer winziger werden, endlich der Durchbruch im Kampf gegen das Einfamilienhaus gelingen? "Sinnvoll wäre es, aber ich glaube, es wird ein Minderheitenprogramm bleiben", so Wolfgang Köck. "Atriumhäuser tun sich schwer beim Verkauf, weil die Leute sich das schwer vorstellen können. Aber wenn sie es mit eigenen Augen sehen, sehen sie sofort, dass es funktioniert." Dass der verdichtete Flachbau gar nicht so gewöhnungsbedürftig ist, liegt auch daran, dass es eine der ältesten Wohnformen überhaupt ist: In antiken Städten, in Nordafrika und in niederösterreichischen Dörfern ist das Wand an Wand gereihte Hofhaus ganz normal. Und was sich so lange bewährt hat, wird vielleicht auch den längeren Atem haben als die Villa mit Doppelgarage.

Buchtipp: Martina Desax, Barbara Lenherr, Reto Pfenninger (Hg.), "Verdichten: Internationale Lowrise-Wohnsiedlungen im Vergleich". Triest-Verlag, 2016

 

Erschienen in: 
Der Standard, 28.01.2017