Das Hochhaus erlebt weltweit eine Renaissance als Luxuswohnort im ökologischen Gewand
Kaum war am Ground Zero das neue One World Trade Center eröffnet, mit 541 Metern der höchste Wolkenkratzer der USA, vermeldete New York eine weitere Bestmarke: Vor kurzem ging die teuerste jemals in Manhattan verkaufte Wohnung auf den Markt. 100.471.452,77 Dollar legte ein unbekannter Käufer für das zweigeschoßige Penthouse im brandneuen, vom Pritzker-Preisträger Christian de Portzamparc entworfene Wohnhochhaus One57 hin und darf sich über den unverstellten Blick auf den Central Park freuen. Ein paar Blocks entfernt entsteht an der Park Avenue zurzeit das höchste Wohnhochhaus der westlichen Hemisphäre - Concierge und Catering inklusive.
"Straße der Milliardäre"
So schnell kann es gehen: War nach der Finanzkrise 2008 der Hochhausbau weltweit schockgefrostet, schießen heute die Skylines wieder wild in die Höhe. 2014 wurden 97 Bauwerke mit mehr als 200 Metern Höhe fertiggestellt, mehr als je zuvor. 58 davon stehen in China. Doch zwei Dinge sind anders als vor der wirtschaftlichen Atempause: Wie das Beispiel New York zeigt, bestehen Wolkenkratzer heute nicht mehr ausschließlich aus brav gestapelten und je nach Architektengusto außen glasverspiegelten Bürogeschoßen. Immer öfter wird in luftiger Höhe gewohnt. Sozialwohnungen sind eher keine darunter. In Manhattan ist schon die Rede von einer neuen "Straße der Milliardäre". Hier wohnt das obere eine Prozent, mit dem Weitblick über metropolitane Dächer als neues Statussymbol.
Die zweite Neuerung: Hochhäuser werden grün. Schon seit einer Weile rankt und wuchert es in den marketingkosmetischen Computervisualisierungen wie in einem botanischen Garten, sobald es darum geht, Hochhäuser zu bewerben. So sehr, dass ein gereizter Wissenschaftsjournalist schon vor zwei Jahren stöhnte: "Können wir bitte damit aufhören, Bäume auf Hochhäuser zu malen?" Denn bis dahin hatte noch niemand nachgewiesen, dass die zarten Pflänzchen in windumtosten Höhen überleben, geschweige denn ihren angepriesenen ökologischen Mehrwert entfalten.
Ein Hektar Wald in der Vertikalen
Bis jetzt. Denn 2014 wurde in Mailand das Doppelhochhaus "Bosco Verticale" (vertikaler Wald) von Stefano Boeri eröffnet, das auf seinen weit ausladenden Balkonen tatsächlich ausgewachsene Bäume übereinanderstapelt. Seinen Namen trägt es zu Recht, denn die über die 110 und 76 Meter hohen Türme verteilte Biomasse entspricht rund einem Hektar horizontalem Wald. Die rund 800 Bäume wurden mit botanischer Fachhilfe so ausgewählt, dass sie den klimatischen Bedingungen standhalten, ohne zu verdorren oder auf Passanten zu stürzen.
Im November wurde Bosco Verticale vom Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) im Rahmen der Ausstellung "Best Highrises" mit dem Internationalen Hochhaus-Preis ausgezeichnet, noch vor ebenfalls grünen Wolkenkratzern wie Jean Nouvels One Central Park in Sydney, das mit bepflanzten Fassaden von Landschaftskünstler Patrick Blanc aufwarten kann.
Architektonisch ist Nouvels Bauwerk mit seinem riesigen auskragenden Sonnenspiegel sicher das spektakulärere, dafür entwickelte Boeri seine Türme als Teil eines grünen Gesamtkonzepts unter dem Namen Biomilano: Dieses soll die luftverpestete und flächenfressend ausufernde italienische Metropole mit Biotechnologie und Stadtökologie überlebensfähig machen, in der Peripherie soll ein breiter Grüngürtel (Metrobosco) entstehen. Die begrünten Hochhäuser sind hier also ein Wald unter vielen.
Statussymbol "Baum vor dem Fenster"
Sollte dieser die Jahre wie geplant in voller Blüte überstehen, wäre in der Tat ein ökologischer Mehrwert zu verbuchen, den die lukrative Immobilie der Stadt zurückgibt. Denn letztendlich sind auch grüne Hochhäuser vor allem ein Luxusreservat: Eine 130-Quadratmeter-Wohnung im Vertikalwald kostet über eine Million Euro. Zum Statussymbol "Fernblick" kommt noch das Statussymbol "Baum vor dem Fenster" - vorausgesetzt, die beiden kommen sich nicht in die Quere.
Sind diese Zahlenspiele nicht Privatsache? Sollte man die Wolkenkratzer nicht einfach nach Form, Gestalt und Ästhetik beurteilen? Nein, denn ein Hochhaus ist immer zuerst ein Renditeobjekt. Wer davon profitiert, ist eine Frage, die auch in Wien zurzeit diskutiert wird. Am lautesten beim von Isay Weinfeld geplanten Neubau beim Eislaufverein. Etwas leiser, da nicht von Unesco-Weltkulturerbe-Hochfrequenzen verstärkt, beim Projekt Danube Flats an der Reichsbrücke.
Neue Wiener Richtlinien
Dort wird in Kürze anstelle des verwaisten Cineplexx-Gebäudes Österreichs höchstes Wohnhaus entstehen. Nach zahlreichen Protesten und Planänderungen liegt nun der Entwurf zum Flächenwidmungsplan vor. Verstummt ist die Kritik nicht: Die Architektenkammer monierte, die Stadt habe ihr Leitbild praktisch unverändert aus den Plänen des Projektwerbers (Soravia Group) übernommen, und dieses habe mit der bisherigen Planung für dieses Areal nichts zu tun. Keine Frage: Die Donauplatte ist ein Friedhof der Masterpläne, auf dem inzwischen jedes Hochhaus sein eigenes Leitbild vorweist, oft nicht viel mehr als eine nachträgliche städtebauliche Legitimierung der Eigentümerinteressen.
Immerhin: Das soll in Zukunft anders werden. Die reichlich vage formulierten Hochhausrichtlinien von 2002 wurden von TU-Professor Christoph Luchsinger überarbeitet. Transparenz ist das Ziel: Bei künftigen Hochhausprojekten soll die Bevölkerung von Anfang an eingebunden werden. Wien benötige Hochhäuser nur unter der Voraussetzung, dass diese außerordentliche Mehrwerte für die Allgemeinheit beisteuern, etwa öffentlich zugängliche Freiflächen. Im Dezember wurden die neuen Richtlinien beschlossen.
Fehde in London
Ein Schritt in die richtige Richtung oder bloß Gummiparagraf? Das hängt davon ab, wie treu eine Stadt ihren eigenen Richtlinien bleibt. Ein warnendes Beispiel: Die Hochhauspläne in London beschränkten den Neubau in der City auf einen genau definierten Bereich. Trotzdem ragt Rafael Viñolys soeben fertiggestelltes, nach oben prall anschwellendes 37-stöckiges "Walkie Talkie" jetzt alleine abseits dieses Clusters empor, plump und aggressiv wie ein verspiegelter Fehdehandschuh. Die Unesco war entsetzt.
Wie das passieren konnte? Nun, das Tolle sei ja gerade, dass man von diesem Hochhaus all die anderen, richtlinienkonformen Hochhäuser so schön sehen könne, begründete Londons langjähriger Stadtplaner Peter Rees die lukrative Ausnahme von der Regel. Die zu Projektbeginn versprochenen öffentlich zugänglichen Flächen, vollmundig Sky Garden getauft, sind nur mit Anmeldung zugänglich, die geplanten Bäume zu Büschen geschrumpft. Nicht jedes Luftschloss wird auch wirklich grün - manche bleiben grau.