Beim 36.Bachmannpreis in Klagenfurt dominierten heuer Texte über Tiere und Jugenderinnerungen sowie die sportliche Schulausflug-Stimmung.
Klagenfurt: Stadt der Worte, Stadt des Schreibens. Auf dem Asphalt des kilometerlangen Wegs am Lendkanal zwischen Stadt und See reiht sich bunt gesprüht Schrift an Schrift. „Go Gröxi Go“, „Hermann, lauf!“, ein hämisches „Quält euch!“, und ähnliche neonfarbene Imperative. Die Überbleibsel des jährlichen Iron-Man-Triathlons sind auch nach einer Woche noch gut sichtbar, und schon ist der nächste Großevent in der Stadt.
Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur, wie es offiziell, Ingeborg-Bachmann-Preis, wie es traditionell, oder einfach „Der Bewerb“, wie es vor Ort unter Eingeweihten heißt, geht es eher ums Drinnen-Sitzen als Draußen-Herumrennen. Nur am Rande des dreitägigen Vorlesemarathons, der dieses Jahr zum 36.Mal stattfand, wird dem Wörthersee und dem Weg dorthin erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, wenn die mit roten Bachmannpreis-Umhängetaschen sichtbar gekennzeichneten Literatur-Aficionados nach getaner Zuhör-Arbeit zum Baden fahren: Lesen, Schwimmen, Rad fahren.
Das "Quält euch!" gilt hier den Autoren und Juroren, es dominiert, um es in den gewählten Worten von Juror Hubert Winkels zu sagen, ein „poetisch-masochistischer Diskurs“. Denn trotz des Formats „Deutschsprachiger Raum sucht den Super-Literaten“-wird Literatur hier ernst genommen.
„Wir sind ja nicht auf Urlaub hier“, sagt die Wiener Literaturkritikerin Daniela Strigl, die nach kurzer Pause letztes Jahr als Jurorin zurückgekehrt war. Während die Zuschauer sich beim Public Viewing am idyllischen Lendkanal in literarisch beschrifteten Liegestühlen räkelten und Milchkaffee und Stromanschlüsse für ihre Laptops gereicht bekamen, waren die Juroren drei Tage im schummrigen Studio eingesperrt.
Die fast schon rituelle Lieblingsbeschäftigung sowohl der Jury als auch des brummenden kommentierenden Betriebsbienenstocks um sie herum: Aus den 14 Texten Gemeinsamkeiten herauszulesen. Lange musste nicht gesucht werden, auffällig genug war das häufige Vorkommen von Tieren in verschiedenen Zuständen von Lebendig- und Symbolträchtigkeit. Gleich der erste Text, in dem Stefan Mosters Erzähler sich an eine vergessene Episode einer Tour per Anhalter nach Griechenland inklusive Hundebiss erinnert, war eine Amalgam der Topthemen „Tiere“ und „Jugenderinnerungen“.
Es folgten Kellerechsen (symbolisch), Katzen (sexuell), Frösche und Tintenfische, sowie im Text der 25jährigen Niederösterreicherin Cornelia Travnicek, ein weitere Hund, sowie ein Reh (beide tot). Travnicek, deren Debütroman „Chucks“ Anfang dieses Jahres auf breites Wohlwollen traf, erzählte in ihrem souverän vorgetragenen Text die Geschichte eines sommerlichen Erwachsenwerdens.
Die junge Autorin, seit kurzem stolze Inhaberin eines Kremser Bubble-Tea-Ausschanks, hat den Bachmannpreis schon seit längerem verfolgt: „Am Anfang kommt einem der Literaturbetrieb sehr groß und ominös vor. Klagenfurt ist eine der wenigen herausstechenden Veranstaltungen, die jeder kennt,“ sagt Travnicek.
Die netzaffine Autorin hatte den Bewerb in den letzten zwei Jahren per Blog kommentiert, und twitterte auch vor und nach ihrer Lesung ihre Eindrücke aus dem Real-Klagenfurt. „Es ist eine ganz andere Erfahrung, es gibt hier so viel, was man im Fernsehen nicht sieht,“ schwärmt sie. „Ich habe viel gelacht in den letzten Tagen, viele Leute kennengelernt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Kandidaten ist sehr stark, man teilt ja quasi ein Schicksal.“
Auch in den Texten der beiden anderen österreichischen Autoren, die zum Bewerb angetreten waren, Leopold Federmair und Hugo Ramnek, ging es um behutsam aufgerollte Jugenderinnerungen zwischen Bleiburger Wiesenmarkt und Dylan-Songs auf der Akustikgitarre. Beide fanden bei der Jury nur bedingt Zuspruch, noch weniger die Wienerin Isabella Feimer, deren Paarbeziehungsgeschichte scharf kritisiert wurde.
Eine Schärfe, die dieses Jahr eher die Ausnahme war. Die Jury gab sich harmonisch und blieb oft allzu vage in ihrem Urteil. Juryvorsitzender Burkhard Spinnen erging sich in augenzwinkernden Jugenderinnerungen und altersmilder Nachsichtigkeit, und bildete mit dem gedrechselt formulierenden Hubert Winkels ein souverän-gemütliches Elder-Statesman-Duo.
Lediglich Paul Jandl, der bisweilen Zähne zeigte, und Daniela Strigl in gewohnt pointierter Trockenheit gaben der Diskussion Konturen. Neuzugang Corina Caduff aus der Schweiz schlug sich wacker, während Meike Feßmann im Schnelldurchlauf mit immer neuen Forderungen um sich schoss, die der jeweilige Text ihrer Meinung nach erfüllen hätte sollen.
Der gerne formulierte Einwurf, dass die Texte nicht genug erklären würden, wird von Strigl zurückgewiesen. „Ich finde nicht, dass man alles immer verstehen muss“, sagt sie. „Es wird sprachlich zu wenig riskiert. Man verkennt die Schönheit komplexer Texte, deren Musikalität beim Lesen oder Zuhören nicht nur Anstrengung, sondern auch Genuss ist. Aber anscheinend sind wir schon so abgestumpft, dass wir nichts mehr aushalten.“
In der Tat: Eine sprachliche und strukturelle Bravheit in den Texten ließ sich auch heuer attestieren. Dreh- und Angelpunkt des Bewerbs ist jedoch die öffentliche Kritik an sich, in dieser Form immer noch einzigartig, bis hin zur in ihrer aufrichtigen Transparenz rührend umständlichen Preisvergabe.
Siegerin wurde völlig zu Recht die gebürtige Russin Olga Martynova mit einem so trickreichen wie unterhaltsamen und fabulierfreudigem, man ahnt es, Erwachsenwerdungs-Text, wobei der klagenfurtübliche Osteuropa-Bonus auch eine Rolle gespielt haben dürfte. Dass mit Matthias Nawrats Text aus dem Platinenzusammenlöt-Proletariat im surrealen Schwarzwald-Setting und Inger-Maria Mahlkes hypnotisch-sprödem Protokoll einer Alleinerziehenden zwischen Backshop und Domina auch Annäherungen an zeitgenössische Arbeitswelten honoriert wurden, ist ebenfalls erfreulich.
Und Cornelia Travnicek? Sie bekam den Publikumspreis, verbunden mit einem mehrmonatigen Job als Stadtschreiberin in Klagenfurt. Den vor Ort ins Herz geschlossenen Bewerb hätte sie ohnehin wieder besucht. Und für ihren Bubble-Tea-Shop wird sich auch eine Lösung finden: "Dann werde ich eben Teilzeitstadtschreiberin".
(erschienen in: FALTER, Heft 28/2012, 11.Juli 2012)