Land der Dämmer, zukunftsreich

Vorgestern, Donnerstag, fang im Parlament eine Enquete zum Thema Umwelt, Bauen und Wohnen statt. Architektur spielte bei dieser Diskussion nur eine Nebenrolle.

Ganz Europa wälzt sich zur Zeit im Styroporfieber. Stuckverzierte Gründerzeitfassaden verschwinden unter Dämmstoffplatten. Mancherorts möchte man ganze historische Altstädte unter einer fugendichten Schaumstoffkruste verschwinden lassen. Nicht wenige kritische Stimmen weisen darauf hin, dass hier Berge von zukünftigem Sondermüll produziert würden. Die Lobby sagt kein Wort dazu.

Doch der Trend ist eindeutig. Er erklärt sich mit dem vielbeschworenen Reizwort “Nachhaltigkeit”. Seitdem die EU festgeschrieben hat, dass bis 2020 alle Neubauten als Niedrigstenergiehäuser zu errichten sind, seitdem man die Nachhaltigkeit also in Normen gegossen hat, heißt es mehr denn je: ”Fugen dicht!”

Da will auch Österreich nicht zurückstehen. So oft wie am 3. Februar des vorgestrigen Tages dürfte das übernutzte Wort “Nachhaltigkeit” im Sitzungssaal des Nationalrates noch nie gefallen sein. Der Grund: Die Parlamentsklubs von SPÖ und ÖVP hatten mehr als 400 Fachexperten zur Enquete "Zukunftsinvestitionen in Umwelt, Bauen und Wohnen" ins Parlament geladen. Wirtschafts- und Energieminister Reinhold Mitterlehner und Umweltminister Niki Berlakovich präsentierten ihre neue “Förderoffensive für die thermische Sanierung”:Diese wird bis 2014 jährlich 100 Millionen Euro an Geldern für die Wärmedämmung von Gebäuden ausschütten, den Großteil davon in Form von “Sanierungsschecks” für den Wohnbau.

100 Millionen Euro: Das entspricht ziemlich genau dem Kaufpreis eines gebrauchten Eurofighters. Um Österreich allerdings in die Nähe der durch die EU vorgegebenen Klimaziele zu bringen, wären laut WIFO, dem Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut, bis 2020 aber mindestens 300 Millionen Euro pro Jahr nötig. Vom Erfüllen der Ziele des Kyoto-Protokolls, die längst unerreichbar sind, ganz zu schweigen.

Gehhilfe für die Bauwirtschaft

Warum also nicht mehr? Man wolle damit verhindern, dass die geförderten Firmen die überschüssige Summe ins Ausland investierten, sagt der Wirtschaftsminister. “Mit dem Fördervolumen von jährlich 100 Millionen Euro setzen wir genau den richtigen Impuls zur Auslastung der Bauwirtschaft." Im Klartext: Gefördert wird die Anschaffung von Produkten, nicht aber die ökologische Verhaltensweise.Und zwar mit dem Ziel, noch mehr Kaufkraft für weitere Produkte freizumachen. Das ist zwar volkwirtschaftlich sinnvoll, doch ging es bei dieser Enquete nicht eigentlich um Ökologie, nicht eigentlich um Reduktion?

Die Fachexperten jedenfalls applaudierten, und alle stießen sie ins selbe Horn. Das lag daran, dass auch sie fast ausschließlich der Bauwirtschaft zugehörten. Oder – wie Margarete Czerny vom Wirtschaftsforschungsinstitut formulierte: Im Aufschwung nach der Krise hinke die Bauwirtschaft nicht nur den anderen Wirtschaftszweigen weit hinterher, sondern auch der europäischen Konkurrenz.

Und also erklärten die Experten, unterfüttert mit reichlich Zahlen und Daten, dass für die Erreichung der geförderten Niedrigenergie mal die Dämmstoffe am idealsten wären, mal der Holzbau, mal die richtigen Fassaden aus Ziegel oder Stein. Nachhaltig obendrein: die Wahl der richtigen Heizungstechnologie. Ganz sozialpartnerschaftlich scharte man sich einträchtig um das heimelige Kaminfeuer, entfacht von knisternden 400 Millionen Euro.

Die vergessenen Architekten

Doch wo waren eigentlich die Architekten? Wo waren die Städtebauer, Verkehrsplaner, Landschaftsplaner? Als Generalisten, die ja in ihrem Arbeitsalltag durchaus das eine oder andere Konzept für Nachhaltigkeit entwickeln, hätten sie als Experten doch sicher einiges zu sagen gehabt. Die einfache Antwort: Niemand hatte sie eingeladen. Sie waren schlicht vergessen worden.

Gekommen sind sie trotzdem, um in der Fragerunde ganz zum Schluss, nach den Ministern, den Klubobleuten, den Sozialpartnern und den Lobbyisten noch etwas Redezeit zu ergattern. Sie durften also unter Hochdruck die ganze Komplexität dieses für ihren Berufsstand so elementaren Themas in Zwei-Minuten-Appelle hineinzwängen und Fragen aufwerfen, die bis dahin nicht gestellt worden waren.

So wies etwa die klima:aktiv-Architektin Ursula Schneider darauf hin, dass die thermische Sanierung dann fragwürdig wird, wenn sie zwar perfekt isolierte, aber in der zersiedelten Landschaft verteilte Einfamilienhäuser betrifft. “Die Frage ist: Verlängern wir mangelhafte Gebäudekonzepte durch die Sanierung noch um Jahrzehnte, oder bieten wir ganzheitliche neue Konzepte an.”

Ein solches findet sich beispielsweise in der kleinen Vorarlberger Gemeinde Zwischenwasser, die 2009 als so genannte “LandLuft Baukulturgemeinde” ausgezeichnet wurde. Man baut im Passivhausstandard, der Bürgermeister nutzt vorbildhaft das Car-Sharing, und der Stromverbrauch der Gemeinde ist, entgegen dem landläufigen Trend des stetigen Wachstums, sogar um zwei Prozent gesunken.

“Baukultur ist der Schlüssel zur Energieeffizienz”, wandte sich Architekt und LandLuft-Initiator Roland Gruber eindringlich ans Plenum. Das Plenum nahm die Baukultur interessiert zur Kenntnis. Immerhin ein Anfang.

 

(Erschienen in DER STANDARD, 5./6.2.2011)