Zwei Bücher über das Reisen: Navid Kermani und Franz Hammerbacher reisen – und vermitteln entgegengesetzte Erfahrungen
Anschläge, Vertreibungen, Angst als Dauerzustand: Reisen in den Nahen und Mittleren Osten von heute sind Reisen in Ausnahmezustände, die Normalzustände geworden sind und Kriegszustände, die oft nicht wie solche aussehen.
„Ausnahmezustand“ heißt folgerichtig der Band mit Reportagen aus Krisengebieten, die der Kölner Autor und Orientalist Navid Kermani in den letzten Jahren unternommen hat. Von Kairo bis Kaschmir spricht er mit denen, die betroffen sind, und gibt den Konflikten ein Gesicht.
So wird das, was in den Nachrichten als Fronten zwischen „wir“ und „sie“ erscheint, faszinierend komplex – wenn etwa in Kaschmir alle Beteiligten dieselbe Friedenslösung favorisieren, diese aber in der seit Jahrzehnten festgefahrenen Situation nicht möglich ist.
Es sind Regionen, in denen sich Religion und Politik vermischen, in denen die Prediger von heute die gemeinsamen religiösen Wurzeln von gestern vergessen machen wollen, unter dem wachsenden Druck, das sauber zu trennen, was über Jahrhunderte friedlich vermischt war, notfalls mit Gewalt.
Von Afghanistan bis Syrien wird die hierzulande oft vereinfachte Vielfalt des Islam aufgefächert, die immer wieder politisch instrumentalisiert wird. Paradebeispiel: Pakistan, wo Angriffe auf sufistische Schreine an der Tagesordnung und die ekstatischen Feierlichkeiten des mystischen Islam ein Dorn im Auge der konservativen Schriftgelehrten sind.
Diese Berichte, die durch die präzise beschriebenen Begegnungen vor Ort berühren, können aber insgesamt nur desillusionieren. Aus der Beschreibung der Demonstrationen in Teheran im Juni 2009 erkennt man den Trugschluss, die Proteste als erste „Twitter-Revolution“ zu bejubeln: „Man muss nur das Internet verlangsamen, das Mobilfunknetz abschalten und keine Journalistenvisa erteilen, schon ist der Stecker der Globalisierung gezogen“, konstatiert Kermani.
Solche Erkenntnisse bietet das Buch in Hülle und Fülle. Umso erschütternder sind die Momente, in denen Kermani seine Rolle als neutraler Berichterstatter verlässt, wenn er etwa in Palästina bitter beklagt, dass sich das Land seit dem letzten Besuch dem Bild angeglichen hat, das in Israel von ihm propagiert wird.
Kermani zeigt, wie wichtig es in Zeiten globaler Informationsflut immer noch ist, Geschichten zu erzählen. Ein Buch, das heute gelesen werden muss und das man in der Zukunft im Rückblick auf die heutigen Ausnahmezustände lesen wird.
Genau die gegenteilige Art des Reisens und Berichtens findet sich in Franz Hammerbachers „Passagen“. In 80 Tagen umrundete der Autor auf Frachtschiffen den Erdball, als einsamer Passagier zwischen Seemännern und Containern. Keine Konfrontationen, keine Kriege, keine Wüsten: Hier herrscht die ruhige Erhabenheit der Ozeane und das behäbige Brummen der Schiffsmotoren.
Da man wenig über die Motive des Autors erfährt, eine immerhin mehrmonatige Reise alleine anzutreten, entfaltet sich die Poesie der Weltmeere erst langsam – es passiert nun einmal eher wenig auf einem Frachtschiff. Wie Hammerbacher sich genau die Tage auf See vertreibt, bleibt in den aus Einzelbeobachtungen zusammengesetzten Logbucheinträgen schemenhaft, auch die Landgänge werden nur angedeutet.
„Ich bin kein Erzähler, mich interessieren Sprache und Denken, aber selten Geschichten“, gesteht er selbst. Hat man sich aber in diese meditative Ereignislosigkeit eingelesen, entwickelt dieser Reisebericht eine erstaunliche Sogwirkung.
Man entdeckt den wohldosierten trockenen Humor, wenn der Autor in distanzierter Verwunderung den dauerfilmenden Mitpassagier Steve beschreibt. Man sieht die wie nebenbei eingeflochtenen Details von Hafen und Containern vor Augen, die präzisen Regeln einer Arbeitsgesellschaft auf See, die uns Landratten sonst verborgen bleiben.
Man erfährt, warum der Suezkanal „Marlboro Channel“ heißt, und bekommt eine Ahnung davon, warum es außerhalb der Philippinen keine philippinischen Restaurants gibt. Und ist es nicht ein legitimes Ziel einer Reise, sich auf dieser zu verlieren?