Sie werden als Ausweg aus Krise, Stress und Wohlstandsmüdigkeit angepriesen. Askese statt Luxus! Zurück zur Natur! Doch Tiny Houses sind nichts als eine scheinheilige Lüge. Eine Polemik.
Small-Talk am Rande eines Immobilienevents in Wien. Ein österreichischer Investor berichtet, er sei jetzt in New York in den Markt für Kleinstwohnungen eingestiegen. Dies liege genau im Trend, denn solche Wohnungen, so der Developer, "wollen die Leute jetzt". Ob er das wirklich glaubte, oder ob ihm klar war, dass „die Leute“ nicht aus freien Stücken auf wenigen Quadratmetern hausten, blieb offen. Den Trick, ein Problem als Produkt zu vermarkten, ist jedoch typisch für diese prekären Zeiten.
Das bringt uns zum Thema Tiny Houses. Tiny Houses sind - passend zum Spätkapitalismus – einfach das Letzte. Seit etwa zehn Jahren kann man sich vor Tiny Houses nicht retten, sie sind überall: Tiny-House-Blogs, Tiny-House-Fernsehshows, Tiny-House-Bücher. Sie sind das perfekte Architekturangebot für Ich-AG, Influencer und verschwörungstheorievernebelte Aussteiger.
Natürlich ist es schick, mit Gwyneth-Paltrow-Pose verträumt zu erzählen, dass man sich von der Konsumgesellschaft befreit hat und „irgendwie aufs Wesentliche reduziert, weißt du". Aber das geht nur, wenn man vorher genug hatte, um es wegzureduzieren. Die Askese ist nur eine andere Art von Luxus, mit der bequemen Exit-Strategie, sich nach dem Ende der Tiny-House-Phase wieder neuen Konsumschrott anschaffen zu können. Diejenigen, die aus den Innenstädten vertrieben werden oder die mit Ex-Partnern zusammenleben, weil sich keiner von beiden die Miete nach einem Umzug leisten kann, haben diese Option nicht.
Pioniere und Hippies
Es ist kein Wunder, dass der Ursprung der Tiny-House-Bewegung in den USA liegt, wo die als McMansions bekannten Einfamilienhäuser absurde, jeden Maßstab sprengende Ausmaße angenommen haben. Das Land, wo jeder selbst schuld ist, wenn er ohne Krankenversicherung im Trailer Park vegetiert, und wo man das Tiny House als ur-amerikanischen Selbstverwirklichungs-Traum verkaufen kann. Wahlweise darf man sich dann als bärtiger Siedlerpionier imaginieren oder als Hippie, der in der Wüste von Arizona den Sonnenuntergang betrachtet.
Kein Zufall, dass der Hütten-Trend nach der Finanz- und Immobilienkrise 2008 an Fahrt gewonnen hat, die den Wohnungsmarkt aus den Fugen gehoben hat. Aber während die Profiteure dieser Krise heute 300 Meter über Manhattan im Penthouse residieren, begnügen sich die Opfer damit, ihre Wohnträume zu minimieren und sich trotzdem irgendwie gut dabei zu fühlen. Denn immerhin ist man ja Hausbesitzer, auch wenn das Haus zum Schuppen geschrumpft ist.
„Tiny Houses sind das Stockholm-Syndrom des Wohnungsmarktes,“ schrieb die niederländische Kolumnistin Emma Curvers kürzlich in der Tageszeitung Volkskrant und trifft dabei den Nagel auf den Kopf. Man mache stattdessen aus der Not eine Tugend, mit der Instagram-kompatiblen Atmosphäre als Pflaster auf der Wunde. Und was, so Curvers, macht man im Winz-Haus eigentlich, wenn sich Flatulenzen ankündigen? Noch expliziter: „Wie vögelt man auf dem Hochbett, während darunter die Kinder auf der Ausklappbank am Micro-Influencen sind?“
Favela als Lifestyle
Die Gesellschaft hat Richtwerte entwickelt, wieviel Fläche einem Menschen zustehen sollte. Doch heute werden die im Laufe des 20.Jahrhunders erreichten zivilisatorischen Errungenschaften wieder schrittweise abgebaut. Im Mutterland des Freien Marktes, dem Vereinigten Königreich, werden die Planungsrichtlinien so weit „liberalisiert“, dass man Developern gerade noch abringt, dass ihre Wohnungen Fenster haben. Währenddessen kaufen weitverzweigte Fonds und Firmen wie Blackstone weltweit den Bestand an Sozialwohnungen auf. Eine Mikro-Holzhütte ist kein Mittel gegen diese Missstände, sondern eine Kapitulation. Sie ist ein freiwillige Selbstverzwergung. Die Slums des 19.Jahrhunderts, verkauft als das neueste heiße Ding. Die Favela als Lifestyle.
Der deutsche Architekt Van Bo Le-Mentzel parkte sein Tiny House vorigen September in der Wiener Herrengasse, um gegen Mikro-Apartments zu kampagnisieren. Die Kleinsteinheit, die er als Lösung anbot, sei mit 100 Euro für 6,4 Quadratmeter leistbar und lasse sich geschossweise zu WGs gruppieren. Eine sehr gewagte Ansage, denn wie leistbar und würdevoll ist eine Wohnfläche, die kleiner ist als eine durchschnittliche mitteleuropäische Gefängniszelle, zu einem Quadratmeterpreis von 15 Euro?
„Tiny Houses sind keine Lösung,“ schrieb die amerikanische Autorin Arielle Milkman schon 2016. „Kleines Wohnen ist nur eine weitere oberflächliche Verbesserung, die cleveres Design vermarktet und an die Nostalgie appelliert, während sie zugleich die zugrunde liegenden sozialen Verhältnisse ignoriert, die Obdachlosigkeit, unsichere Wohnverhältnisse und Umweltzerstörung ursprünglich erst verursachen“.
Keine Lösung
Aber sind sie in ihrer Sparsamkeit nicht wenigstens ökologisch? Naja. Eh nett, wenn man mit Photovoltaik und Bio-WC energieautark ist und das Holzhaus in der Zimmerei ums Eck produziert wird. Die Frage, wo genau die Tiny Houses eigentlich hingestellt werden sollen, wird dabei gerne ausgeblendet. Beworben werden sie meist als vogelumzwitscherte Einzelobjekte mitten in der Natur. Doch wie sieht es mit dem Energiehaushalt aus, wenn man täglich mit dem Auto aufs gerade noch erschwingliche Grundstück am Ortsrand in Hinterspeckgürtelsdorf düst? Am besten mit einem SUV, der gleich groß ist wie das House?
Man stelle sich ein Österreich vor, das von 100.000 Tiny Houses bevölkert ist. Auf Wiesen, in Bäumen, auf Bergen, in Tälern, am Kreisverkehr und auf dem Hausdach. Wie eine Beulenpest der Ego-Trips. Kein schönes Bild. Deswegen: Vergesst die Tiny Houses. Und baut menschenwürdige Wohnungen, die man sich leisten kann.